Was heißt und zu welchem Ende nutzen Satiriker Rassismus?

Der Comedy-Newsletter von Setup/Punchline: News über Stand-up, Comedy und Kabarett
Comedy-Newsletter von Setup/Punchline

Es ist schon wieder was passiert. Martin Sonneborn, Ex-Chefredakteur des Satiremagazins Titanic und jetzt Europaparlamentarierer der PARTEI, twitterte ein Foto, das ihn mit einem T-Shirt zeigte. Der Aufdruck: „AU WIEDELSEHERN, AMLERIKA! abem Sie Guter FrLug runtel! Printed in China für Die PARTEI“. Man kann schon erkennen, dass das irgendwie auf Kosten von Donald Trump gehen soll, der sich oft rassistisch und herablassend über Chines:innen geäußert hat. Man kann aber auch verstehen, dass es viele Menschen gibt, die das irgendwie nicht gut fanden. Später löschte Sonneborn den Tweet und erklärte sich etwas zerknirscht auf Facebook.

Sonneborn durfte das, klar. Niemand verbietet sowas. Und dass Satire uneigentliches Sprechen bedeutet, Sonneborn also gar nicht wirklich glaubt, dass Menschen in China so sprechen: geschenkt. Aber ich werde nie verstehen, warum man, um Rassismus satirisch bloßzustellen, Rassismus reproduzieren muss. Ist doch Kunst, der Auffassung kann man sein. Aber der Rassismus trägt in künstlerischer Hinsicht nichts bei. Hat er irgendwelche verborgenen Wahrheiten aufgedeckt, die uns wegen unserer übertriebenen politischen Korrektheit entgangen sind? Ich sehe keine. Und allein zu feiern, dass jemand die Regeln menschlichen Anstands verletzt, das mithin zur satirischen Leistung hochzujubeln, ist nun wirklich pubertär.

Was dürfen Satiriker:innen und Comedians heute überhaupt noch sagen? Die spannendere Frage wäre: Was können sie mit Rassismus anstellen? Wie können sie ihn so transformieren, dass er kein Rassismus mehr ist, sondern im Rahmen ihrer Kunst zu etwas anderem wird? Wer glaubt, darauf dieselben Antworten geben zu können wie gestern oder vor 20 Jahren, braucht sich nicht wundern, wenn er kritisiert wird. Da kann der Rassismus noch so augenzwinkernd geäußert sein.

Bei Setup/Punchline

Im Podcast sprechen Comedians über ihre Bits. Diesmal sind das Martin Niemeyer aus Hamburg und Kristina Bogansky aus Berlin.

STAND-UP-LEXIKON-ALARM! (wiuwiuwiu) Ich plädiere ja gerne (und oft) für eine differenzierte Auseinandersetzung mit Stand-up und Comedy im Allgemeinen. Dazu muss aber überhaupt erst einmal über diese Themen gesprochen werden. Und vielfach ist die Einstiegs- oder Hemmschwelle zu hoch. Ein kleines Nebenprojekt und Herzensanliegen ist mir darum das Lexikon der Stand-up-Begriffe. Das gibt es zwar schon länger. In den vergangenen Wochen habe ich das aber noch einmal erheblich erweitert und es hat einen schönen neuen Anstrich bekommen. Mit dabei sind nun nicht mehr nur handwerklich-technische Ausdrücke wie Bit, Roast, riffen, killen, sondern auch einige historisch für Stand-up wichtige Einträge wie etwa der Borscht Belt oder das Village – und natürlich interessanter Quatsch wie die brick wall, also die für Stand-up-Comedy so unerlässliche Ziegelmauer. Schaut rein, empfehlt das Lexikon weiter und schickt mir eure Kritik oder eure Vorschläge!

Comedy-News

  • Rowan Atkinson will nicht mehr Mr Bean sein, sagte er jüngst in einem Interview. Und Sascha Baron Cohen nicht mehr Borat. Schade, findet Stuart Heritage beim Guardian, aber doch auch mal an der Zeit. Die fiktiven Charaktere lasteten so tonnenschwer auf ihren Schöpfern, dass das Ende der Rollen auch eine kreative Befreiung darstelle.
  • Twitch ist eigentlich eine Plattform, auf der man Menschen beim Gaming zusehen kann. Muss man nicht verstehen (ich bin selbst zum Beispiel auch eher ein Let’s-Play’er, und ja: no commentary, ist ja klar, und jetzt hört bitte auf zu fragen), ist aber unglaublich erfolgreich. Jüngst auch unter Comedians, da Twitch zwar keine perfekten Möglichkeiten zur Interaktion mit dem Publikum bietet, die für Comedians so wichtig sind. Aber bessere als zum Beispiel Zoom. Der Guardian beleuchtet den Comedyboom auf der Gaming-Plattform.
  • Beim Paste Magazine schreibt Comedienne Olivia Cathcart über gute Vorsätze für Comedy im neuen Jahr, darunter: faire Gagen für Comedians, inklusivere Shows und null Toleranz für Missbrauchstäter. Und: Stop crediting venues for your talent. Denn: “ A club didn’t ‚make‘ you the same way LA Fitness is not the reason a football player gets drafted into the NFL.“
  • Mein heimlicher Favorit: Ja, es gibt Menschen, denen auch der katholische Glaube wichtig ist. Kann man ja manchmal vergessen, vor aller Aufregung über die angeblich so humorlose islamische Welt. Der irische öffentlich-rechtliche Fernsehsender RTE hatte nämlich kürzlich Ärger, weil er in einem Sketch zeigte, wie a man dressed as God (!!!) (Chortle) wegen sexual assault angeklagt wird. Stichwort Jungfrauengeburt und so weiter. Das fanden in Irland viele nicht lustig, wo Blasphemie offenbar auch erst vor einem Jahr den Status als Straftat verlor. Ach je, diese humorlosen Katholiken, dachte ich mir spontan, obwohl oder gerade weil selbst einer. Letzten Endes bekommt der Scherz aber einen schalen Beigeschmack, da er ja doch auch auf die „Verrücktheit“ solcher Anklagen in Zeiten von #Metoo abzielt.
  • 20-Minüter auf Youtube über die Entscheidung von Stand-up-Comedian Dave Chappelle, 2005 aus einem mit 50 Millionen US-Dollar dotierten Vertrag auszusteigen. Das nährt Chappelles Legendenstatus bis heute.

Schau-Tipp: Every Open-Mic Ever

Every Open Mic Ever

Kleine Typologie von Comedians, die bei Open-Mics auftreten. The Edgy One, The Hates His Wife One, The One Woman There etc. Mein Gott: It’s funny because it’s true. >>> Hier gehts zum Video

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