Werden Künstler wieder mächtig?

Der Comedy-Newsletter von Setup/Punchline: News über Stand-up, Comedy und Kabarett
Comedy-Newsletter von Setup/Punchline

US-Comedian Dave Chappelle hat sich jüngst bei einem Auftritt beklagt: Verschiedene Streamingdienste in den USA, darunter Netflix und HBO Max, zeigten die beiden alten Staffeln der Dave Chappelle Show. Er bekomme dafür aber kein Geld. Die Rechte liegen beim Unterhaltungskonzern Viacom. Juristisch sei das astrein, sagt Chappelle, aber moralisch? Also bat er Netflix, die Show zu entfernen. Der Streamingdienst kam der Bitte nach, was Chappelle dann zu Lobeshymnen veranlasste. Ein Comedian sagt an, die Plattform spurt: Bricht nun etwa eine Zeit an, in der die die Urheber im alten Streit mit den Verwertern wieder mächtiger werden?

Bedingt. Eigentlich hatte Netflix ja keine Wahl. Die Stimmung der Fans war erkennbar. Also hat der Streamer die Vorlage von Chappelle dankbar angenommen, sich von der „alten“ Industrie abzugrenzen. Viacom wiederum steht wie der herzlose Konzern da, obwohl der mit seinem Kapital die Chappelle Show ja erst ermöglicht hat, und zwar zu einer Zeit, als der Erfolg des Comedians noch nicht abzusehen war. Wichtig ist auch: Es ist nicht der Künstler an sich, der hier mächtig auftritt. Sondern halt ein Künstler: Dave Chappelle. Der hat mit Netflix einen mit 60 Millionen US-Dollar dotierten Vertrag über drei Stand-up-Shows. Wäre er ein erfolgreicher, kleiner tourender Comedian und Autor, wäre alles womöglich anders ausgegangen.

Wird Chappelles Fall also der Auftakt für eine Initiative für gerechtere Verträge für Comedians und Autor:innen sein, wie manche vermuten? Wird sich dadurch an der Situation der vielen, oft prekär beschäftigten Comedyarbeiter etwas ändern, die nicht ganz so berühmt sind? Oder kämpft da halt ein Millionär gegen Konzernmilliarden, und bleibt doch eine kleine Wurst? Where do we go from here? Ich habe keine Ahnung und wage keine Prognose über das Geschäft. Außer die: Comedy is always on the way somewhere else.

Bei Setup/Punchline

… gibts zwei neue Podcastfolgen, mit Drew Bulkeley und Doro Fesel. Bulkeley ist ein US-Amerikaner, der seit 20 Jahren in Deutschland lebt und mit der deutschen Direktheit zu kämpfen hat. Und Fesel spricht über ihre Witze über das Kinderkriegen und -haben. Das ist zwar ein wichtiger Aspekt ihres Lebens, aber eben nicht alles. In ihrem Segment bündelt sie viele Perspektiven, unter anderem die der Mutter, der Freundin oder die der rotzigen Berliner Mama.

Eines der bündigsten und am besten lesbaren Bücher über Stand-up-Comedy ist Born Standing Up, die Autobiografie von US-Comedian Steve Martin. (Genau, den man in Deutschland wieder mal eher als Schauspieler kennt.) Martin sah mit seinen Ballontieren und seinem Banjo aus wie der größte Quatschmacher. Dabei hatte das Quatschmachen System, wie einem das wohl bei wenigen Comedians begegnet. In der Rezension erfahrt ihr mehr.

Comedy-News

  • Der Komiker Karl Dall ist gestorben. Der Komiker, dessen Rolle es war, aus der Rolle zu fallen (Zitat Spiegel). Mir begegnete Dall in den 1990ern schon nur noch als Ikone des Privatfernsehens. Womöglich war er aber mehr.
  • Auch Comedienne Hazel Brugger parodiert in ihrem neuen Special Tropical ein paar Dialekte. Allerdings sind die Parodien nur kurz hingetupft. Es gab und gibt aber Künstler, die darauf, und vor allem auf der Politikerparodie, ganze Karrieren aufbauen. Mit ihnen rechnet Matthias Kalle bei der ZEIT ab: „Heute braucht diese Form der Entlarvung keiner mehr, Parodien sind eine antiquierte Kunstform, die nur noch handwerkliche Könnerschaft unter Beweis stellt, mehr aber auch nicht.“
  • Die Grammy-Nominierungen für Best Comedy Album 2021 wurden bekannt gegeben und sind ziemlich langweilig. Jerry Seinfeld, Bill Burr, Patton Oswalt. Am unbekanntesten dürfte noch Tiffany Haddish sein, immerhin auch mit Netflix-Special in der Tasche und Millionen Followern auf Instagram. Spannend wird die Verleihung also eher weniger. Aber allein dieses Tableau an potenziellen Gewinnern zeigt, wie unfassbar arriviert und millionenschwer Stand-up in den USA ist.
  • Einige Kritiker:innen arbeiteten sich an der neuen Doku über Saturday-Night-Live-Star (und Blues Brother) John Belushi ab bzw. an dem Umstand, dass sie keine neuen Perspektiven beiträgt. Siehe etwa Jason Zinoman in der New York Times.
  • Für das ZDF entsteht derzeit mit Queens of Comedy eine neue sechsteilige Sketch-Comedy, die sowohl in den Hauptrollen als auch hinter der Kamera durchweg weiblich besetzt ist.
  • Comedian Till Reiners sagt im Interview mit der Süddeutschen Zeitung die so rätselhaften wie schönen Sätze: „Humor hat für mich keine Funktion […] Humor ist kein Schraubenzieher, kein Werkzeug, das eine Aufgabe hat.“

Lese-Tipp: Boom Time

Das Impro-Theater Boom Amsterdam

David Peisner erzählt bei Vulture, wie zwei erfolglose Impro-Comedians aus Chicago 1993 einen Ableger des Chicagoer Impro-Theaters Boom gründeten. Allerdings in Amsterdam. Bis heute ist das Boom dort Pilgerstätte für Gastspieler. Eine rauchige Geschichte über Irrsinn, Rock’n’roll und – was ja selten in diesen Reihungen auftaucht – Impro-Comedy. >>> Zum Artikel

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