Meine Oma ist ‘ne alte Comedysau.
Eine fiktive Oma, die im Hühnerstall Motorrad fuhr, wurde in einem Song “Umweltsau” genannt, und meiner Meinung nach trifft das schon zu. Man muss sich schon sehr anstrengen, um aus dem Lied etwas herauszulesen wie: “Diese fiktive Oma ist eine Umweltsau, mithin also alle real existierenden Menschen über 60, alle Rentner sowieso, ferner auch die Trümmerfrauen, lasst mal schnell Franz Josef Wagner von der BILD einschalten und uns einen WDR-Mitarbeiter einschüchtern, indem wir vor dem Haus dessen Eltern demonstrieren.”
Willkommen im neuen Jahr und willkommen zurück in derselben alten Misere, die da heißt: deutsche Debattenkultur. Beim WDR haben sie eine ganz nette, harmlose Idee gehabt. Aber anstatt weiterzuzappen, unterstellen ein paar rechte Trolle auf Twitter eine politische Agenda. Und Politiker und Journalisten springen auf. Hilflosigkeit. (Mit vereinzelten Ausnahmen.)
WDR-Intendant Tom Buhrow lieferte den skurrilsten Auftritt und telefonierte vom Krankenbett seines Vaters in die WDR-Sendung zur Aufarbeitung des “Skandals”. Er entschuldige sich, für was eigentlich, ist ihm wahrscheinlich selbst nicht so ganz klar. Dieser vorauseilende Gehorsam ist aber der Modus, in dem die öffentlich-rechtlichen Sender heute operieren. Nicht unbedingt ein Klima für Innovation, mutige Serienformate oder experimentelle Comedy. Sollte man im Hinterkopf behalten, wenn wieder irgendwelche Kampfansagen in Richtung amerikanischer Streaming-Dienste abgegeben werden.
Neu bei Setup/Punchline
Ja wenn wir über [Thema X] keine Witze mehr machen dürfen, darf man ja überhaupt nicht mehr lachen! Solche Sätze hört man oft in Deutschland, zuletzt bei #Omagate (siehe oben). Vergeht ja keine Woche, wo sich irgendein Kabarettist “nicht den Mund verbieten” lässt. Und vor der Tür wartet schon Dieter Nuhr für seinen allmonatlichen Aufreger. Der Politically Correct Comedy Club (PCCC*) aus Wien geht exakt in die andere Richtung. Comedy tritt viel zu oft nach unten, finden die Gründer Josef und Denice. Das heißt eben: auf die Minderheiten, auf Schwule zum Beispiel, Lesben oder People of Color. Muss nicht sein. Darum arbeitet der PCCC* mit einer Sensitivity Readerin daran, die Witze gewalt- und diskriminierungsfrei zu halten. Wie das funktioniert, erklären die Gründer im Interview |
Comedy-News
- Die legendäre US-Sketch- und Comedy-Show Saturday Night Live wird jede Woche von einem wechselnden Host präsentiert. Nun große Aufregung, denn Eddie Murphy ist zurück. Murphy war vor ein paar Jahrzehnten einer der bestimmenden Comedians in den USA, bevor er sich seiner Filmkarriere zuwandte (u.a. Dr Dolittle und Der verrückte Professor). Klar, dass es hochkarätigste Überraschungsgäste gab. Bei Vulture gibt es den Auftritt nachzulessen. Bill Cosbys Sprecher beschwerte sich wegen Witzen auf Kosten seines Mandanten.
- Noch einmal Jahresrückblick time! Denn die Official Unofficial Comedy Timeline of 2019 von The Interrobang ist so unglaublich vollständig wie schön anzusehen.
- Der amerikanische Comedian John Mulaney hat für Netflix ein “musical comedy special” für Kinder gemacht: John Mulaney & the Sack Lunch Bunch. Kein klassisches Stand-up-Special nur mit Mensch und Mikro, sondern eine wilde Mischung, die es schafft, weder bevormundend oder herablassend zu sein. Bei der NY Times gibt es eine Rezension.
- Der deutsche Comedian und Fernsehmacher Olli Dittrich hat Frust gedreht, eine Doku-Parodie über Promis, die tief gefallen sind. (Zu sehen in der Mediathek vom Ersten.) Die SZ nennt Frust “grandiosen Irrsinn”.
Lese/Hör-Tipp: The State of Comedy 2019
Marmeladen-Paradoxon-Time! Es gibt viel zu viel Comedy, viel zu viele Stand-up-Specials, viel zu viel von allem. Und kein Mensch kann das sehen. Immerhin gibt es einen guten Überblick: Die Redaktion von Slate hat sich vor ein paar Monaten Artikel und Podcasts zur Lage der Comedy (aus US-Sicht) 2019 publiziert. Ich habe darauf etwa so reagiert.