Wir kommen gleich zu Luke Mockridge, Nizar Akremi und Shayan Garcia, keine Sorge. Davor aber ein kurzer, lohnenswerter Umweg in die USA, wo einmal Witze über die Vergewaltigung von Frauen, rape jokes, ziemlich in Mode waren. Und es dürfte niemanden wundern, dass darüber, ob solche Witze denn ok seien, Uneinigkeit herrschte. Die US-Sendung Totally Biased with W. Kamau Bell lud darum im Sommer 2013 zur Debatte. Zu Gast war die Comedienne und Autorin Lindy West, die argumentierte: Die meisten rape jokes richten Schaden an. Den Gegenpart übernahm der Comedian Tim Norton. Comedy brauche absolute Freiheit um zu funktionieren, sagte er. Dann wurde diskutiert. Und dann gingen alle klüger nach Hause.
Ja oder eben nicht. Denn “Comedyfans” reagierten in der unnachahmlichen Weise von Comedyfans. Nach dem Auftritt schrieb West einen Artikel mit dem Titel If Comedy Has No Lady Problem, Why Am I Getting So Many Rape Threats? Was soll man auch sonst tun, als jemandem, der Bühnenkünstler:innen zu Vorsicht und Verantwortung beim Umgang mit Vergewaltigung anhält, Vergewaltigung zu wünschen? Und nun ist es keine leichte Aufgabe, zu entscheiden, wo die “lustige”, “gar nicht ernst gemeinte” Drohung endet und die handfeste Drohung beginnt. Drum muss man wohl konstatieren: Die Reaktionen gaben Lindy West in ihrer Argumentation recht.
Und dabei lag ihr nichts ferner, als solche Witze “verbieten” zu wollen. Zu glauben, jemand würde durch das Hören eines Vergewaltigungswitzes zum Vergewaltiger, sei absurd, schrieb sie. “But I do believe that comedy’s current permissiveness around cavalier, cruel, victim-trageting rape jokes contributes to a culture of young men who don’t understand what it means to take this stuff seriously.”
Das würde ich gerne festpinnen: unbedarfte Männer, die nicht wissen, wovon sie sprechen. Und: permissiveness around cavalier, cruel jokes – also: Nachgiebigkeit in Bezug auf lässige, grausame Witze. Dieser unseligen Kombination begegnen wir auch heute noch regelmäßig. Und damit wären wir dann wieder in Deutschland im Spätsommer des Jahres 2024, bei den genannten Herren Akremi, Garcia und Mockridge.
Dieser Artikel gehört zur Reihe Noten zur Comedy, in der wir unregelmäßig einen Blick auf ein virulentes Thema rund um Comedy werfen. Ihr könnt die Noten auch als Newsletter abonnieren, dann kommen sie direkt (mit aktueller Presseschau und besonderem Comedytipp) ins Postfach.
Kurz zur Erinnerung: Akremi und Garcia betreiben den Podcast Die Deutschen. Dort hört man öfter transphobe, rassistische oder antisemitische Witze. Das geschah lange außerhalb des Fokus konventioneller Medien, vermutlich hat es darum trotz großer Hörerschaft lange niemanden interessiert. Aber als mit Mockridge eine zu bekannte Figur aus dem Mainstream-TV zu Gast war und alle drei sich minutenlang in behindertenfeindlichen Witzen ergingen, war es dann genug. So einhellig wie selten wurde Mockridge kritisiert, Sat.1 sagte eine mit dem Comedian fertig gedrehte Show ab, Mockridge selbst die Auftakttermine seiner Tour.
Der freie Markt entschied, dass er vorübergehend keine Lust mehr auf Luke Mockridge hat. Der entschuldigte sich, dann liefen seine Auftritte wieder an. Vermutlich entgehen ihm in Zukunft ein paar Engagements. Wer weiß, vielleicht ergeben sich neue Chancen, vielleicht ja auch in einem ganz anderen Feld. Nur weil man mal Bühnen- und Fernseherfolg hatte, heißt das ja nicht, dass man ewig ein Anrecht auf Bühnen- oder Fernseherfolg hat. Man könnte es an dieser Stelle also dabei bewenden lassen.
“Die Deutschen” spielen ein Bullshit-Bingo fragwürdiger Comedy
Aber Akremi und Garcia wollten den hellen Kegel der Aufmerksamkeit weiter nutzen, indem sie ein längliches wie trotziges Statement posteten, das Punkt eins auf der kurzen Liste von Lindy West erfüllte: Sie traten wild um sich und wussten doch nicht, wovon sie sprachen. Vor allem wurde deutlich, dass sie nicht einmal begriffen hatten, warum sie kritisiert worden waren.
Das Statement lässt sich als eindrucksvolle Vorlage für ein Bullshit-Bingo fragwürdiger Comedy verwenden. “Wir werden uns bei der Cancel Culture nicht entschuldigen”, sagen sie darin. Kritiker würden Dinge aus dem Kontext reißen und hätten keine einzige ihrer Episoden gehört. Medien würden nur berichten, “weil mit Kontroverse Geld gemacht wird”. Sie würden alle Menschen respektieren, sich über “jegliche Minderheit” lustig machen. Und selbst wenn sich “der eine oder andere angegriffen fühlt”: All das sei ja immer noch Humor, “der nicht jedem gefallen muss”, heißt es in ihrem Statement. Manchmal wollten Menschen einfach nur lachen, “ohne Message dahinter”. Die Kritik an Mockridge sei vollkommen überzogen gewesen (“Dieser Mann hat alles verloren”). Woke Vorstellungen von Gesellschaft sorgten nur dafür, “dass Leute Hass entwickeln”.
Wer sich je gefragt hatte, was der Ausdruck flood the zone with shit bedeutet, findet hier vorzügliches Anschauungsmaterial. Man weiß ja gar nicht, wo man anfangen soll, darum belassen wir es bei dem Hinweis: Ich habe einige Episoden von Die Deutschen gehört und muss sagen, dass es die Sache leider nicht besser macht. Man möchte die beiden fast in den Arm nehmen und sagen: Selbst wenn sich der eine oder andere angegriffen fühlt – das ist immer noch Kritik, die nicht jedem gefallen muss. Einzig überzeugend ist ihre Einsicht, dass mit Kontroverse Geld gemacht wird. Wer wüsste das besser als Die Deutschen?
Gedankenlose Witze über Minderheiten richten Schaden an. Sie setzen die Schwelle herab, Dinge zu äußern, die aus gutem Grund ein bisschen tabuisiert sind. Dass ein verspult-sympathischer, mithin also harmlos wirkender Wirrkopf wie Nizar problematische Dinge äußert, macht nicht die problematischen Dinge harmlos. Es macht das Äußern der problematischen Dinge normal.
Und selbst wenn man das anders sieht, muss doch überraschen, für welche Einfallslosigkeit hier Applaus gefordert wird. In seinem Special Shitstorm zeichnet Nizar Zum Beispiel ein Bild von jüdischen Männern, indem er Klischee an Klischee reiht. Weiß ja jeder, wie solcheLeute™ aussehen. Mehr tut er nicht. Und diesen Glauben, dass die Welt im Jahr 2024 darauf gewartet hat, dass ich als Comedian Klischees über Juden aneinanderreihe und sich das dann auf magische Weise in weltverbessernde Comedy verwandelt (weil wir ja alle endlich mal ohne Message drüber lachen können) – ja, um dieses Brett vorm Kopf ist Nizar dann fast zu beneiden.
Eine solche Comedykultur, die neben heißer Luft auch Menschenverachtung produziert, wird allerdings nicht allein von Provokateuren wie Nizar oder Mockridge am Laufen gehalten. Daneben braucht es ein System an Erklären, Rechtfertigern und enablern.
Zwei aktuelle Beispiele dazu, die nur stellvertretend für viele stehen: Das harmlosere ist ein Artikel von Imre Grimm beim Redaktionsnetzwerk Deutschland. Grimm mahnt: “Wenn eine entwässerte, artige, zahme, zaudernde Comedy jedes potenziell riskant-sensible Thema ausblendet, um bloß niemandem auf den Schlips zu treten, ist sie tot.” Das ist ein rätselhafter Satz, denn niemand hatte das ja verlangt. Zu suggerieren, dass Kritiker:innen solche pauschalen und überzogenen Forderungen aufstellen, unterminiert die Kritik an einem konkreten Witz. Und es lässt eine wichtige Frage unter den Tisch fallen: Warum können so viele Comedians nur über riskant-sensible Themen sprechen, indem sie beleidigen, diskriminieren, nach unten treten?
Comedy bedeutet nicht, die Schleusen zu öffnen, sondern eben einen Staudamm zu bauen und ganz präzise zu entscheiden, was durchfließt und was nicht. “In a way”, schreibt Lindy West an anderer Stelle, “comedy is censoring yourself—comedy is picking the right words to say to make people laugh”. Wer ohne Unterscheidung und Gewichtung vor sich hinplappert, ist ein Affe mit einer Schreibmaschine, aber kein Comedian. Und wer Comedy und Nach-unten-Treten in eins setzt, normalisiert, dass Comedians die wirkliche Arbeit verweigern, und macht Generationen komischer Künstler:innen unsichtbar
Ein anderes, lustigeres Beispiel, das mir unterkam, stammt vom Kabarettisten Florian Schroeder. Der wusste zum Beispiel, was das für Leute sind, die sich über Luke Mockridge aufregen. Nämlich “unsere lieben, inklusiven linksliberalen Freunde, die immer voll für Inklusion sind, aber dann sofort Angst haben, wenn ein behindertes Kind in die Schulklasse des eigenen Kindes kommt”.
Schroeder, der schon mal sagte, dass er “Lagerdenken” und die “Grabenkämpfe” in der Gesellschaft satt habe, hat kein Problem damit, ein ganzes Lager über einen Kamm zu scheren, so hinkonstruiert das auch sein mag. Ist es nicht unendlich faszinierend, welche geistigen Verrenkungen manche zu vollführen bereit sind, um, egal was passiert ist, ja am Ende den bösen Linksliberalen noch einen mitzugeben? Es ist ein Lehrbuchbeispiel für reactionary centrism, der sich als vernünftige Position einer imaginierten Mitte inszeniert (hey, der Schroeder zitiert ja sogar Hegel!), aber es einfach nicht unterlassen kann, auf “Linksliberale” loszugehen.
Es mag ja sein, dass es linksliberale Menschen gibt, die in mancher Hinsicht heuchlerisch sind – aber was hat das denn bitteschön mit Luke Mockridge zu tun? Der hat menschenverachtende Witze gemacht, genauso wie Nizar, genauso wie Die Deutschen in ihrem Podcast, regelmäßig. Wen juckt es, was Linksliberale denken? Vielleicht muss man es einmal wieder hinschreiben, weil es sich offenbar nicht von selbst versteht: Das Problem an menschenverachtender Hassrede ist nicht die Reaktion auf diese Hassrede, sondern die Hassrede selbst.
In Deutschland wird Comedy gerne auf die Frage eingedampft, über welche Minderheit man sich denn jetzt gerade lustig machen soll, und das dann gleichzeitig im Welterklärergestus als große Philosophie und Einsatz für Meinungsfreiheit verkauft. Dabei verschleiert ein großes Netz an Unterstützern die Faulheit, Reaktanz und den kindischen Trotz von Comedians wie Akremi, Garcia und Mockridge. Comedians und interessierte Fans sollten protestieren, wenn eine wertige Kunstform als Feigenblatt für Idiotie herhalten muss.
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