Vor kurzem hatte ich wieder mal eine typische Stand-up-Schrecksekunde. Im Nachgang zu Bo Burnhams aktuellem Werk Inside habe ich wieder in sein Special Make Happy von 2016 reingekuckt. Und plötzlich fuhr es mir (Achtung, kleine Grünwald-Referenz) wie Schuppen in die Glieder: Bo Burnham hat tatsächlich beim deutschen Comedian Luke Mockridge geklaut.
Der begann sein Special Lucky Man von 2018 nämlich mit einer Call&Response-Nummer mit dem Publikum, genau wie es dann auch Burnham tat. In beiden Fällen werden die Aufforderungen, wer nun yeah rufen solle, immer absurder. Und beide Stücke enden mit einem Spotlight auf den Performer, der auf die Knie geht und die Absurdität der Auftrittssituation kommentiert. Hier abzukupfern ist schon irgendwie schwach, zumal Mockridge sich die Nummer ja auf den Leib geschneidert hat. Bei ihm ist der Metakommentar über Bühnenperformances eine der bestimmenden inhaltlichen Konstanten. Und ein Maßanzug passt immer nur einem.
Oh, Moment, ich glaube, ich bin da kurz mit den Jahreszahlen durcheinander gekommen: Burnhams Special ist von 2016, Mockridges von 2018. Entschuldigung, mein Fehler. Es war genau anders herum. Also: Bo Burnham ist der mit dem Maßanzug. Bei Burnham ist der Metakommentar über Bühnenperformances eine der bestimmenden inhaltlichen Konstanten. Der Anfang von Make Happy ordnet sich nahtlos in sein Oeuvre ein. Bei Mockridge dagegen ist alles ironisch und unpersönlich und endet im Sexwitz. (Beziehungsweise das, was in Deutschland als Sexwitz durchgeht: eine indirekte Erwähnung von Sex mittels einer verschämt-ironischen Auslassung des Wortes „gefickt“.)
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Warum war das also eine Schrecksekunde? Wenn Bühnencomedians abkupfern, macht das Dinge kompliziert. Es führt weg vom konkreten Witz und vom konkreten Moment, tief hinein ins Grundsätzliche. Und da Originalität in Stand-up besonders hochgehalten wird, ist man plötzlich genötigt, über das Wesen der Kunstform und die Entstehungsbedingungen von Kunst im Allgemeinen nachzudenken. Man erschrickt, weil die Konsequenzen so weitreichend sind: Die Bewertung eines Comedians kann in nur einer Sekunde dramatisch umkippen.
Ähnlich ging es mir, als ich das Special der Kölner Comedienne Lena Kupke sah. (Das ZDF zeigt in der Mediathek neuerdings fünf halbstündige Stand-up-Specials.) An einer Stelle im Set spricht Kupke über ein Dilemma, dem sie sich bei ihrer Frauenärztin ausgesetzt sieht: Socken bei der Untersuchung ausziehen oder anbehalten? Ich fuhr erschrocken auf. Schrecksekunde.
Über diese Frage hatte ich erst jemanden sprechen hören, ausgerechnet jemanden vom Fach, nämlich Hazel Brugger in ihrem Special Tropical. Aber, puh, Entwarnung. Selbstverständlich hat niemand von niemandem abgekupfert. Die Segmente von Kupke und Brugger sind sehr unterschiedlich.
Manche Themen liegen einfach in der Luft: Comediennes sprechen über Besuche beim Frauenarzt, weil die zu ihrer Lebenswelt gehören. Und dann kann man ja dasselbe Thema auch auf unterschiedliche Weisen behandeln. Der Reiz von Stand-up besteht auch in der Spezifität der takes. Dass ein Thema variiert werden kann, ist ein wichtiger Motor der Kunst. So testen Künstler:innen, welche Werkzeuge sich für welche Zwecke eignen. Das Praktische wird durch Wiederholung zur Konvention ausgetrampelt. Allmählich prägt sich Stil aus, Genres, ja, ganze Kunstformen.
Und natürlich Klischees. Irgendwann ist eine Form so ausdifferenziert und bewährt, dass manche Leute sie als bloßes Gefäß betrachten. Dann heißt es zum Beispiel „Wir brauchen noch ‘nen Stand-up für den Anfang der Show“ oder „wer schreibt die Mod“. Man erkennt diese Haltung auch in der Fixierung von Fernsehdeutschland auf das Format Late-Night-Show. Es bedeutet meistens nichts gutes, wenn nur in Formaten gedacht wird. Es bedeutet allzu oft: Hier ist unser Gefäß. Jetzt füll’ halt mal irgendwas rein. Inhalte erstmal auszuklammern, fördert nicht unbedingt ihre Qualität. Und die Einbußen an Qualität sind der Preis, den man für eine höhere Planbarkeit zu zahlen gerne bereit ist.
Es ist, wenngleich schade, also irgendwie verständlich, wenn das ARD „neue“ Comedyformate ankündigt: einmal eine Satireshow, freitags um 21 Uhr 45 – also 45 Minuten vor der heute show im ZDF. (Laut Spiegel ist die Sendung ebenfalls als Wochenrückblick konzipiert.) Und dann soll es, na klar, eine Late-Night-Show geben, samstags mit Carolin Kebekus.
Anstatt einfach mal zu experimentieren (um Zuschauer:innen vielleicht eine wirkliche Auswahl zu bieten), kopiert man bewährte Formate. Jedoch, wie der Comedian sagt, hier ist die Sache: Auf etwas Bewährtes zu setzen, heißt ja nicht, dass sich das neue Produkt ebenfalls bewährt. Die Kopie einer erfolgreichen Idee kann selbst scheitern. Eine etwas bittere Pointe ist, dass die ARD gerade beim ZDF wildern, das ja mit Studio Schmitt vormacht, wohin dieser Weg führt: zu einer ziemlich egalen Show mit egalen topical jokes und einer merkwürdigen Ehrerbietung gegenüber Tech-Schwadroneur Frank Thelen.
Letzten Endes muss man doch immer erst mal einschalten, um sich ein Bild machen und aussieben zu können. Hier beruft sich Kunst (in zulässiger Weise) auf Kunst, hier wird referenziert oder zitiert, und dort wird schamlos abgekupfert. Viel zu oft wird uns alter Wein in alten Schläuchen vorgesetzt. Über alten Wein in neuen Schläuchen kann man schon fast dankbar sein.
Ganz selten erlebt man es, dass jemand mal eigenen Wein ausschenkt, und zwar nicht aus vorgefertigten Schläuchen, sondern aus einem individuell angefertigten Gefäß mit persönlicher Note. Die umfassendste individuelle künstlerische Vision, die ich in den vergangenen Wochen gesehen habe, ist ein kleiner Film des Berliner Comedians und Autors Alex Upatov. Der Film ist nicht in Topqualität gefilmt, manchmal nicht sauber geschnitten, die Illustrationen scheinen (liebevoll) in Microsoft Paint gemalt. Aber das macht nichts. Weil kein Sender der Welt den Film jemals klauen können wird.