Bitte etwas angelegentlicher!

Loriot als Dichter Lothar Frohwein im Film "Pappa ante portas"
Loriot als Dichter Lothar Frohwein im Film "Pappa ante portas"
Loriot als knarzender Dichter Lothar Frohwein in „Pappa ante Portas“ (Foto: IMAGO/United Archives)

Am 24. April 2009 tritt im im Berliner Palais am Funkturm der 85 Jahre alte Bernhard Victor Christoph Carl von Bülow vor die versammelte deutsche Filmszene. Er wird den Ehrenpreis „für herausragende Verdienste um den deutschen Film“ in Empfang nehmen. Loriot, wie sich der Mann prägnanter nennt, ist 85, nicht mehr gut zu Fuß. Er fischt einen Zettel mit seinem Redemanuskript aus der Tasche, hält eine kurze Rede. Im Abgehen schäkert er mit Moderator Bully Herbig, scheint kurz seine Trophäe zu vergessen und muss noch einmal umkehren. Alle Anwesenden erheben sich und applaudieren minutenlang.

Keine große Sache, so eine Preisverleihung? Nicht für Loriot. Im Buch Der Glückliche schlägt keine Hunde (2013) von Stefan Lukschy kann man nachlesen, wie minutiös er sich selbst für diesen kurzen Auftritt vorbereitete. Nicht nur die Choreografie mit Bully und die Rede sind einstudiert, sondern sogar die Art und Weise, wie er auf der Suche nach einem Zettel an seinen Taschen nestelt.

Die Szene vom Filmpreis ist symbolisch: Es besteht große Einigkeit über das Werk eines ganz Großen. Loriot hat ein Panoptikum entworfen an tattrigen Großvätern, Staubsaugervertretern, irre gewordenen Politessen, würdevollen Angestellten, penetranten Skatbrüdern. Menschen, die es gut meinten und trotzdem scheitern: an Medien, Technik und selbstverständlich immer wieder an der Kommunikation. Er zeichnete, malte, schrieb Bücher, inszenierte Opern, drehte Fernsehsketche und zwei Filme. Er hat unzählige Auszeichnungen erhalten. Straßen, Plätze und ein Gymnasium sind nach ihm benannt worden. Sein Werk hat sich eingebrannt ins kollektive Bewusstsein – der BRD und der DDR. Der Historiker Christoph Stölzl schrieb über Loriots Werke einmal: „Das sind wir, in Glanz und Elend.“

Ist halt Loriot. Was hat das mit uns zu tun?

Vicco von Buelow
Loriot im Jahr 1971 (Foto: Pacific11 via cc by 2.0)

Und dennoch: Die deutsche Komiklandschaft hat erstaunlich wenig von Loriot profitiert. Er ist ein Denkmal, auf das man stolz verweist, mit dem man ansonsten aber nichts mehrzu tun hat. Loriot hätte der Anfangspunkt einer Tradition sein können. Kaum Komiker:innen griffen seine Themen und Techniken auf. Kaum Schauspieler:innen seine Akribie. Produktionsfirmen und Sender lernten nichts aus Loriots Erfahrungen.

Deutlich wird das an den den vielen Etiketten, die ihm im Laufe der Jahrzehnte angeheftet wurden: Loriot ist ein präziser Beobachter mit Auge fürs Detail, ein fleißiger Arbeiter, ein akribischer Handwerker. Locker, flockig und ein bisschen prüde war er. Unpolitisch, aber mit breitem Anklang. Und hingehört hat er, der Bonner Bundesrepublik aufs Maul geschaut hat er, ihr den Spiegel vorgehalten hat er. Und dann all die lustigen Worte und Namen!

Diese Zuschreibungen sind nicht falsch. Aber weil sie nicht hinterfragt werden, verdecken sie den wahren Loriot. Schlimmer noch: Sie verhindern eine Auseinandersetzung mit seinem Werk. Halb in Ehrfurcht, halb in Faulheit erstarrt konnten Epigonen fragen: Ist halt Loriot, was hat das schon mit uns zu tun?

Die Loriot-Etiketten bringen nur halbe Wahrheiten zum Ausdruck

Loriot und Evelyn Hamann Anfang der 1980er Jahre auf einer Lesung in Dortmund
Loriot und Evelyn Hamann bei einer Lesung Anfang der 1980er (Foto: Ralf Zeigermann via cc by 2.0)

Die Loriot-Etiketten bringen Wahrheiten zum Ausdruck, aber immer nur halbe Wahrheiten. Um etwas von Loriot mitzunehmen, wäre es entscheidend, die Etiketten wieder mit Anschauung zu verknüpfen. Was bedeutet es schon, dass Loriot „akribisch“ gearbeitet hat? Nicht viel. Aber wenn man im Making-of sieht,wie er noch die Türklinken für Filmkulissen ausgewählt oder am Set Evelyn Hamann die Betonungen für einzelne Silben vorgesprochen hat, wird dieses Label mit Leben gefüllt. („Bitte etwas angelegentlicher“ sagte er, wenn die Schauspieler weniger distanziert klingen sollten.) Es bekommt Sinn, wenn man weiß, dass Loriot Improvisation hasste. Ihm waren Betonung, Rhythmus und sauber konstruierte Komik sehr wichtig? Mag sein, aber das Etikett bekommt nur Bedeutung, wenn man den „ein Klavier, ein Klavier“-Sketch kennt.

Es gibt einen Überschuss, der verloren geht, wenn man Loriots Werk von den Etiketten her erschließt und nicht vom Werk selbst. Loriot war ein präziser Beobachter, ja, er beobachtete, dass das Publikum bei klassischen Konzerten häufig stört. Aber dies zu beobachten, schafft jeder. Was nicht jeder schafft: Die Beobachtung zum Anlass nehmen, ein Stück für Orchester und Störer zu inszenieren. Auf Anweisung des Dirigenten agieren nicht nur die Musiker, sondern auch Solist:innen, die husten, sich räuspern, ein Telefon, das klingelt, oder eine Frau, die ihre Handtasche lautstark auskippt.

Anstatt einen Witz auf Kosten von nicht mit dem Konzertbetrieb vertrauten Menschen zu machen, macht Loriot einen Witz auf Kosten eines Betriebs, bei dem viele nicht mehr recht unterscheiden können zwischen Kunst und Drumherum. (Interessant ist es, das Original mit nachgespielten Aufnahmen zu vergleichen. Ausnahmslos bleiben die Dirigenten hinter dem würdevollen, minimalistischen Spiel Loriots zurück.)

Es gäbe so viel abzuschauen bei Loriot

Schlicht falsch ist das Urteil, dass Loriot gemütliche Alltagskomik machte. Tatsächlich stecken in seiner Komik viel subtiler Sex („Halten Sie mal den Sack auf“) und Düsterkeit: etwa wenn in einem Sketch der Protagonist gegen seinen Willen in die Fernsehsendung Das ist ihr Leben gezerrt wird und dort von einem Moderator das eigene Leben referiert bekommt – inklusive der dann anstehenden Beerdigung. Düsterkeit spricht auch aus einem älteren Sketch aus der Reihe Cartoon von 1969, wo Loriot die Vorzüge des Bastelns für die kindliche Entwicklung lobte, und dann das Programm der aktuellen Bastelstunde bekanntgab: „Wir basteln ein Hakenkreuz.“

Die Liste ließe sich fortsetzen, aber das soll hier genügen. Es gäbe so viel abzuschauen bei Loriot – nicht nur für Künstler:innen, auch für die, die Kunst ermöglichen könnten: Sender und Produktionsfirmen. Mehrere Monate arbeitete Loriot an jeder Folge seiner Sketchsendung. Klar, das sind Bedingungen, die heute kaum mehr jemand bekommt. Aber man sollte sich eben auch nicht wundern, wenn in immer kürzerer Abfolge haufenweise Sketche oder Serien produziert werden, und die dann oberflächlich, vorhersehbar und einfach nicht lustig sind.

Loriot war genial, aber diese Genialität hatte Methode. Und die gilt es sich anzuschauen. Liebe Komikerinnen, Comedians, Filmemacherinnen und Humoristen: bitte mehr Mut, mehr Experimentierfreude und vor allem:weniger Ehrfurcht. Zerpflückt den großen Loriot. Kopiert ihn, klaut von ihm, baut ihn neu zusammen und versetzt die Mischung mit etwas eigenem. Er hätte es genauso gemacht.

Eine Antwort

  1. […] Bernhard Hiergeist schreibt in seinem Comedy-Magazin „Setup/Punchline“ über Loriot und stellt fest: Die deutsche Komiklandschaft verweist stolz auf ihn als Denkmal, hat aber wenig von ihm gelernt. Wenn über Loriot gesprochen wird, würden Etiketten verwendet. Es würde aber versäumt, diese mit Anschauungen zu verknüpfen. Sowohl Künstler*innen, Sender und Produktionsfirmen könnten dabei von ihm lernen. Hier lesen […]

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