Wie die „Legion of Skanks“ Hass verbreitet

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Am 12. Juli setzte Luisa Díez, eine Bookerin aus der alternativen New Yorker Stand-up-Szene, einen verhängnisvollen Tweet ab. Sie schrieb: „not a single sk*nkfest performer announcement has been a surprise.“ Sie bezog sich auf das Skankfest South, ein Comedyfestival, das im November im texanischen Houston stattfindet. Díez fand das Line-up des Festivals also vorhersehbar. Eigentlich nichts besonderes, man kann das ja über viele Festivals sagen. Aber Díez hatte in ein Wespennest gestochen.

Fans des Skankfest schrieben ihr daraufhin über Wochen: dass sie fies und rufschädigend handle, dass sie das Festival „and its integrity“ beleidigt habe, dass sie nur Aufmerksamkeit wolle, dass sie eine Versagerin sei, beruflich und privat, psychisch krank, hässlich und dumm obendrein. Die Fans riefen in Clubs an, wo Díez Shows veranstaltet hatte, und verlangten, die Zusammenarbeit mit ihr einzustellen. Und sie drohten ihr, das Ganze könne unvorhersehbare Konsequenzen haben. Man werde „sie finden“. Manche der Tweets (auch der ursprüngliche über das Line-up) sind inzwischen gelöscht, die meisten kann man immer noch auf Díez‘ Account nachlesen.

Befeuert wurde der Hass online immer wieder durch Luis Gomez, einen Comedian und Co-Host des Podcasts Legion of Skanks (LoS) – aus dem Podcast gingen vor einigen Jahren das Skankfest in New York und später in Houston hervor. Gomez, der in Sozialen Medien Zehntausende Follower hat, erwähnte Díez wiederholt auf Twitter und in verschiedenen Podcasts, und beschuldigte sie, sie wolle ihn, das Festival und die auftretenden Comedians „canceln“. Als jemand schrieb, dass Gomez seine Fans zur Mäßigung aufrufen könnte und sollte, antwortete der: „Tell people to stop defending us when people are actively trying to hurt our reputations and livelihoods? Fuck that. Go harder.“ Der Tweet ist inzwischen gelöscht. Díez und Gomez haben Anfragen bezüglich des Vorfalls unbeantwortet gelassen.

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Puh. Wäre das Ganze nicht so erschreckend, es wäre fast ein wenig lustig. Denn es gibt keine andere Marke in Comedy wie LoS, die sich so aggressiv als Kämfper für free speech und gegen angeblich ständig drohende cancel culture positioniert. Die Comedy der Hosts des namensgebenden Podcasts (Gomez, Big Jay Oakerson und Dave Smith) und von Comedians aus dem Umfeld ist geprägt von Nach-unten-Treten, von Homo- und Transphobie, Ableismus, Frauenverachtung und rassistischen Beleidigungen. Die Skanks und ihre fast kultische Gefolgschaft betrachten Comedy als Vehikel für ekelhafte Gedanken. Man pocht auf das Recht, alles aussprechen zu können, womit dann eine ständige Selbst-Viktimisierung einhergeht. Wenn Kampf für free speech der Markenkern ist, liegt es im eigenen Interesse, free speech permanent bedroht zu sehen. Imaginierte Attacken auf das angeblich hochgehaltene Gut rechtfertigen dann Vergeltungsschläge jeglicher Intensität. Man kann das dumm finden und als comic fragility verlachen (wie ich das schon öfter getan habe). Aber die Auswirkungen für Betroffene wie Díez sind ja konkret spürbar. Der Hass löst sich nicht in Luft aus, nur weil die, die ihn verbreiten, einer widersprüchlichen und lächerlichen Ideologie anhängen.

Das Recht auf free speech besitzen nämlich nicht alle gleichermaßen. Frauen zum Beispiel. Oder Menschen, die dieses Recht dazu gebrauchen wollen, Kritik an LoS zu äußern. Hier erkennt man schon, wie brüchig dieses Weltbild ist. Wer es näher kennenlernen will – vor allem um zu sehen, wie groß die kulturelle Dominanz von Stand-up nach diesem Vorbild in den USA ist – dem lege ich zum Einstieg diesen Artikel von Slate ans Herz.

Na, ein Künstler kann ja auch nichts dafür, wenn er mal Applaus von der ‚falschen Seite‘ bekommt!“ Das stimmt zweifellos. Damit kommen wir aber bei LoS nicht weiter. Denn die bekommen ja nicht „mal“ Applaus für einen ambivalenten Witz. Sie bekommen ihn ständig. Und es passiert nicht versehentlich, sie suchen den Applaus gezielt.

Es ist ein sich selbst verstärkender Zirkel: Comedians wie Gomez sammeln Fans, indem sie sich als cool, edgy und Kämpfer gegen cancel culture inszenieren. Sie radikalisieren ihre Fans, die dann mehr vom Gleichen suchen und die Comedians wiederum dazu bewegen, mehr vom Gleichen zu liefern. Die Fans radikalisieren die Comedians.

Damit schwindet dann die Bereitschaft der Comedians, zu experimentieren. Das Erprobte funktioniert und ein gewisses Maß an Bringschuld empfinden Künstler:innen ja dann doch gegenüber ihren Fans. Und so verschwinden dann auch das Neue und Experimentelle in der Comedy selbst, beziehungsweise werden sie immer mehr an den Rand gedrängt oder ganz ausgeklammert. In der Zeit, in der Luis Gomez auf Twitter oder in Podcasts gegen vermeintliche Kränkungen agitiert, entwickelt er sich allenfalls als Medienpersönlichkeit weiter, nicht jedoch als Comedian.

In seinem Memoirenbuch How I Escaped My Certain Fate erzählt der britische Comedian Stewart Lee eine Anekdote über seinen Kollegen Daniel Kitson. Der hatte 2002 den renommierten Perrier Award des Fringe-Festivals in Edinburgh gewonnen, was seine Ticketverkäufe schlagartig steigen ließ. Kitson war im Mainstream angekommen, wo er sich aber nicht wohlfühlte. Nachdem er auf der Toilette einer Veranstaltungslocation Unterhaltungen seiner neuen Fans mitbekommen hatte, entschloss er sich zu einem besonderen Schritt: Sein nächstes Programm gestaltete er radikal anders, merkwürdiger, experimenteller – um die Mainstream-Fans wieder zu vertreiben.

Kitson hatte die Gefahr klar erkannt: Wer massentauglich wird, droht bequem zu werden. Er gab Geld und breite Anerkennung auf, weil es ihm wichtiger war, künstlerisch nicht zu stagnieren. Ein Bedürfnis, dass Luis Gomez und andere LoS-Comedians offensichtlich nicht teilen.