Eine oft geäußerte Hoffnung im deutschen Kabarett geht so: Es mangelt im Land nicht an kritischen jungen Menschen, wie man zum Beispiel an Fridays for Future sieht. Ein kleiner Teil dieser kritischen, politisierten Masse wird sich irgendwann dem Kabarett zuwenden. Das bedeutet dann eine neue Blüte, der Negativtrend wird umgekehrt. Oder zumindest gestoppt.
Doch das ist eine gefährliche Hoffnung, die das Kabarett noch mehr an Bedeutung verlieren lassen könnte. Sie suggeriert, dass man nur warten muss und alles kommt schon wieder in Ordnung. Die Missstände werden sich schon von alleine auflösen. Aktionismus ist selten eine gute Devise. Aber ist Stillstand eine bessere?
Kabarett in Deutschland hat zwei Probleme. Eines ist ein Nachwuchsproblem, erkennbar etwa daran, dass bei Nachwuchs-Wettbewerben immer weniger Menschen antreten. Der in München vergebene Nachwuchspreis Kabarett Kaktus wurde 2017 nach gut 30 Jahren eingestellt. Und beim Passauer Scharfrichterbeil, legendär in der Szene und dieses Jahr immerhin zum 37. Mal vergeben, lag der Altersdurchschnitt der sechs Finalistïnnen bei 39 Jahren.
Das andere Problem ist ein inhaltliches, wie man in der Meldung zur Verleihung des Scharfrichterbeils nachlesen kann: „Ebenso auffällig und für Oldschool-Kabarett-Fans erschreckend war, dass Politisches nahezu vollständig ausgeblendet blieb.“
Kaum Nachwuchs. Und der wenige Nachwuchs, der da ist, ist nicht politisch genug. Man kann hier zwei Negativpunkte sehen. Man kann aber auch beide Punkte als Symptome eines größeren Missstandes erklären. Das Kabarett macht sich nämlich selbst das Leben schwer. Meine These: Es hat über die Jahrzehnte eine Systematik von expliziten und impliziten Erwartungen und Anforderungen an Kabaretistïnnen ausgebildet. Wie sie zu sein haben etwa oder worüber sie zu sprechen haben. Für Neueinsteiger ist das eine enorme Hürde. Und die, die länger dabei sind und das System verinnerlicht haben, tun sich schwer, daraus auszubrechen und sich zu erneuern.
Das Insidertum ist stark – und abschreckend
Was heißt das konkret? Man kann das schön an dem oben erwähnten Artikel über das Scharfrichterbeil erkennen. Der Autor schreibt zum Beispiel über den niederbayerischen Kabarettisten Mathias Kellner:
„Sehr unterhaltsam, aber – das muss man als neutraler Beobachter konstatieren – noch kein Kabarett, dafür fehlt die Brechung und das Satirische.“
Man muss sich vergegenwärtigen, was das bedeutet: Hier erfährt sich ein Journalist, also jemand, der selbst kein Kabarett macht, als Autorität, darüber zu entscheiden, was die Kunstform „Kabarett“ ausmacht. Er kennt sogar das genaue Kochrezept, legt also mithin nahe, dass es so ein klares Rezept überhaupt gibt.
Dabei ist Kabarett wie jede Wortkunst eine Form, die unglaublich schwer zu definieren und zu fassen ist. „Kabarett“ als Begriff ist eine andere Kategorie als etwa „Film“: Jeder, der einen Film sieht, weiß zu 100 Prozent, dass er einen Film sieht. Beim Kabarett dagegen mag es Anhaltspunkte geben, aber keine unverrückbaren Kriterien. Indem der Autor auf seine Position als angeblich neutraler Beobachter verweist, tut er aber so, als gäbe es diese. Wie soll ein junger, am Kabarett interessierter Mensch sich von diesem Insidertum nicht abgeschreckt fühlen?
Und dann fehlte in Passau eben auch noch der „Tiefgang und die für Kabarett eben nicht unwichtige ‚gesellschaftliche Relevanz‘“, wie selbst die Jury festhält. Da sind sie wieder, die Anforderungen: Witzig darf es schon sein, aber vor allem soll es bitte tief sein und klug, politisch, relevant und kritisch, so dass man laut lacht, befreiend und reinigend, aber nicht zu laut, und einem ohnehin das Lachen dann im Hals steckenbleibt und man nachdenklich und mit einem kleinen schlechten Gewissen heimgeht.
Bei den Jungen ist das Interesse am Kabarett gering
Das ist alles legitim, macht aber das Kabarett unattraktiv für Menschen, die sich schlicht einmal ausprobieren wollen. Oder die sich den vielen, vielen Regeln, die es zu beachten gibt, nicht fügen wollen. „Schon seit einigen Jahren drängen außer Business-Plan-Mixed-Show-Comedians kaum junge Kabarettisten nach“, heißt es im Artikel. Man kann das so sehen: dass die Menschen, die sich nicht für Kabarett interessieren, schuld sind, dass das Interesse am Kabarett so gering ist. Man könnte natürlich auch sagen: Das Kabarett selbst ist schuld. Es war in den vergangenen Jahren sehr schlecht darin, junge Menschen anzuziehen.
Und dann kommt das eingangs angesprochene Argument:
„Man mag sich damit trösten, dass es schon immer Wellenbewegungen gab, und angesichts der wieder bewegteren ‚Friday For Future‘-Jugend wohl bald wieder kritische Geister nachrücken müssten.“
Warum das so sein sollte, bleibt offen. Denn vielleicht ist das Kabarett eben keine notwendige Begleiterscheinung politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen. In Politik und Gesellschaft passiert X, das Kabarett reagiert darauf – so war das vielleicht früher einmal. Vielleicht ist das Kabarett als notwendig politische oder „relevante“ Ausdrucksform auch einfach obsolet geworden. Junge Menschen auf der ganzen Welt demonstrieren, äußern ihre politische Stimme auf Twitter oder Instagram. Millionen Menschen sehen auf Youtube Videos von Rezo oder den Space Frogs. Millionen machen sich Gedanken über Nachhaltigkeit und interpretieren es sogar als politischen Akt, wenn sie eine Zahnbürste aus Bambus kaufen.
Braucht so eine politisierte, aufgeklärte, kritische Generation noch Aufklärer und Ankläger, Hofnarren, Spiegelvorhalter? Klar, es schadet sicherlich nicht. Die Zeiten aber, in denen diese Funktion allein Kabarettistïnnen ausfüllen konnten, sind vorbei. Wer darauf vertraut, dass sich auch ohne Zutun alles wieder einrenken wird, könnte enttäuscht werden.
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