Warum Deutschland Comedyfestivals braucht

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Comedy-Newsletter von Setup/Punchline

Natürlich scheint das Gras in Nachbars Garten grüner, die Pflanzen üppiger, die Früchte saftiger. Aber das Vergleichen hilft nicht, es macht den eigenen Garten nicht schöner. Nur interessant ist es ja trotzdem. Man schaut sich an, was die Nachbarn so anbauen, und fragt sich: Könnte das auch in meinem Garten wachsen? So geht es mir häufig bei deutscher Comedy: Ich sehe viel Schönes, und dann schaue ich in die USA und denke, ich sehe die Zukunft. Wow, was da alles noch wachsen wird bei uns!

Wird es aber vielleicht gar nicht. Der Garten der deutschen Comedy kopiert ja nicht einfach zeitverzögert den US-amerikanischen. Die Bedingungen sind ganz andere. Das Klima ist anders. Manche Pflanzen würden sich mit dem einheimischen Ökosystem gar nicht vertragen. Manche Pflanzen will man vielleicht im heimischen Garten gar nicht einführen.

In den USA steckt unglaublich viel Geld in der Unterhaltungsindustrie. Zu diesem Geld kann sich der Nachwuchs durch ein Netzwerk an Comedyschulen und -clubs vorarbeiten. Und als Reaktion auf eine sehr hack gewordene Clubkultur entstand dann in den 1990er Jahren die alternative Stand-up-Szene.

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In Deutschland dagegen gibt es schon auch eine Unterhaltungsindustrie, aber kaum einen Starkult; auch obszön reich werden ist eher die Ausnahme. Comedyschulen gibt es keine, wenn man von experimentellen Phasen von Fernsehsendern (MTV! Viva! RTL Samstag Nacht! Etc.) mal absieht. Und ein Netzwerk an Comedyclubs gibt es schon gar nicht. Zwar gibt es den Quatsch Comedy Club, aber der entstand nicht, weil eine Szene Auftrittsmöglichkeiten suchte, sondern schuf sich gewissermaßen auch seinen eigenen Bedarf. Eine alternative Szene reagierte weniger auf hacky Clubcomedy als auf hacky TV-Comedy und gründet heute ihre eigenen Clubs, was man in den vergangenen Monaten in Berlin zum Beispiel an Ma’s Comedy Club oder dem neuen Mad Monkey Room beobachten konnte.

Entwicklungen wie in den USA kann man in Deutschland nicht mal eben innerhalb von ein paar Jahren nachholen. Es gibt keine Abkürzungen, um ein widerstandsfähiges Ökosystem aufzubauen. (Manchmal bin ich froh, dass das Budget für den deutschen Garten relativ niedrig ist, manchmal meine ich, ein hohes Budget wie in den USA führt zu vielem, aber nicht zu Qualität; manchmal bin ich wegen des niedrigen Budgets auch traurig. Und nun reicht es mit der Gartenmetapher.)

Eine Pflanze (ok, einmal noch), von der ich hoffe, dass sie auch (don’t do it) in Deutschland (please) Wurzeln schlägt (…), ist das Comedyfestival. Es gibt diese Festivals weltweit und ja, lieber deutscher Städtetag, selbstverständlich lässt sich damit auch Standortmarketing betreiben, fragen Sie gerne in Leicester, Edinburgh oder San Francisco nach, oder in einer beliebigen Kleinstadt in UK.

Ein Comedyfestival bedeutet ein paar Tage (oder Wochen) lang Stand-up, Impro und alle Arten Bühnencomedy, mal mehr Mainstream, mal mehr Nische. Mal steht eher das gemeinschaftliche Event im Vordergrund, mal das Business. Letzteres trifft zum Beispiel auf das Just For Laughs (JFL) im kanadischen Montreal zu. Das ist im Grunde eine Messe für Agent:innen, die sich als Festival tarnt. Business bleibt Business, schon klar, irgendwo muss man sich ja treffen, um zu plaudern und Verträge anzubahnen.

Was für Auswüchse das allerdings annehmen kann, wenn ein Gatekeeper zu mächtig wird, wurde vergangene Woche wieder mal offenbar. Ein Comedian erhob öffentlich Vorwürfe gegen Jeff Singer, den Booker der Nachwuchs-Sektion des JFL. (Auf Twitter hat jemand Singer unglaublich passend als „guy who literally looks like a nose and glasses disguise“ beschrieben – finde den Tweet leider nicht mehr.) Mehrere andere Comedians wie Jen Kirkman beschrieben daraufhin ihre Erfahrungen, eine ehemalige Mitarbeiterin Singers bestätigte sie.

Im Kern geht es darum, dass Singer eine frauenfeindliche und homophobe Kultur gepflegt und, konkreter, bei einer Show im Gespräch mit Comedians mehrmals im Spaß das N-Wort benutzt habe. Singer bestätigte Letzteres und trat von seinem Posten beim JFL zurück.

Um das deutlich zu sagen: Nichts, was Singer zum Vorwurf gemacht wird, wäre justiziabel. Es ging bei der Bewertung der Nachwuchskünstler:innen beim JFL halt um vieles, aber eher nicht um Comedy. Natürlich verwundert das nicht wirklich, es ist immerhin viel Geld im Spiel. Und niemand wird ja zum Vorsprechen in Montreal gezwungen, das JFL ist ein privates Festival. Es ist nur bezeichnend, dass in der Comedyindustrie weltweit das Label „ekelhaft, aber nicht justiziabel“ nicht nur als Rechtfertigung, sondern sogar als Gütesiegel fungiert.

Und das Gänze wäre nicht so schlimm, wären es nicht genau solche mächtigen Gatekeeper wie Singer oder das JFL, die sich dann häufig öffentlich wundern: Wo sind sie denn, die angeblich so zahlreich vorhandenen talentierten queeren oder weiblichen Comedians? Ich kenne sie nicht, also gibt es sie wohl nicht! Dass man mit einer jahrelang gepflegten Betriebskultur genau solche Stimmen in den Comedyuntergrund bzw. in die Unsichtbarkeit treibt, dieser Zusammenhang wird in der Comedy-Businesswelt selten gesehen.

Nun ist Singer also weg, was erst einmal viele gefreut hat, was mich wiederum wundert. Denn die Umstände sind ja nicht wegen einer Person so, sondern auch wegen eines Umfelds an Ermöglichern und Mitläufern. Ein Rädchen wird ausgetauscht, die Maschinerie dreht sich weiter.

Diese Pflanzen bräuchte es nicht im Garten der deutschen Comedy, meiner Meinung nach. Aber das zu hoffen, ist natürlich naiv. Es gibt Pflanzen, die wachsen überall.

Noch gibt es in Deutschland ja kein JFL. Bis es so weit gekommen ist, wäre es schön, wenn hier überhaupt erst einmal Comedyfestivals stattfinden. Und zwar welche von der guten Sorte: Festivals für Comedians und Zuschauer:innen, nicht für die suits. Ein paar Versuche in diese Richtung gab es ja, bevor dann Corona alles ausbremste. Es wäre schön, wenn dieses Feld nicht nur von Unternehmen besetzt wird, sondern auch von gemeinnützigen Organisationen. Weil dann darf nur in engen Grenzen Gewinn erzielt werden. Und wer sich darüber schon mal keine Gedanken mehr machen muss, hat Kapazitäten, um sich um das Wesentliche zu kümmern: um Comedy.