Kann man Stand-up eigentlich auch im Sitzen machen? Kann man Stand-up eigentlich auch machen, ohne mit dem Mikroständer herumzuhantieren? Und was tun Comedians, wenn sie auf der Bühne Schluckauf bekommen? Es gibt hierauf Antworten (ja/vermutlich nicht/sie haben einfach niemals einen), ich komme trotzdem immer wieder auf diese Fragen zurück, weil die eben eine gewisse Faszination ausüben.
Eine andere Frage, die die Unterhaltungsbranche und Menschen in ihrer Umlaufbahn fasziniert, ist: Was macht eigentlich Harald Schmidt? Auch darauf gibt’s eine Antwort. Schmidt hat den NDR-Podcast Raus aus der Depression moderiert. Er lässt sich ab und an auf Bühnen interviewen. Und er ist ab Mitte Juli in Amazons One Mic Stand zu sehen, wo er einen Nachwuchscomedian coachen wird.
Künstlerisch ist das nicht direkt überbordend, aber die Medien kommen trotzdem immer gerne auf Schmidt zurück. Andererseits springt vielleicht auch eine Legende manchmal nur so hoch, wie sie muss. Möglich wär’s, dass es anders herum ist, und also Schmidt sich fragt, warum er sich anstrengen soll, wenn die Medien doch ohnehin ankommen. Geschenkt – eine Legende der deutschen Unterhaltung, darin ist man sich weitgehend einig, ist Schmidt auf jeden Fall. Diesen Status begründen Sendungen wie Schmidteinander und natürlich die Harald Schmidt Show, in einem Land, das Legenden nun eben auch nicht zum Schweinefüttern bereit hat und zum Starkult sowieso ein ambivalentes Verhältnis pflegt. Alles irgendwie verständlich also, das mit dem Medieninteresse.
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Weniger verständlich, bisweilen irritierend, ist die Melange aus Ratlosigkeit, Eilfertigkeit und Ehrehrbietung (durch die Journalist:innen) und Herablassung (durch Schmidt), die in den Interviews regelmäßig zum Ausdruck kommt. Der Journalist Stefan Niggemeier hat es einmal so zusammengefasst: „[Schmidt] gewährt eine Audienz, die Fragesteller werfen ihm ein paar Brocken zu und hoffen, dass er Pointengold zurückwirft. Dafür nehmen sie es in Kauf, von ihm gedemütigt zu werden; vielleicht lieben sie ihn auch gerade dafür.“
Man konnte das zuletzt in der NZZ beobachten, im Stern oder im Spiegel. Beim PR-Portal oberoesterreich.at wurde Schmidt gefragt, ob Oberösterreich „eine besondere Wirtshauskultur“ habe, obwohl der Interviewer das doch selbst vermutlich besser wissen müsste. Auf die Frage „Ist Essen der Sex des Alters?“ antwortet Schmidt: „Bei mir ist es so: Ich kombiniere das. Ich esse beim Sex.“ Die Such nach dem Pointengold kann eben auch eine sehr angestrengte Tätigkeit sein.
Im jüngsten Beispiel, einem Gespräch mit der Berliner Zeitung, will der Fragensteller von Schmidt wissen: „Kommen Print-Journalisten auf Sie zu, weil Sie [sic] Orientierung brauchen in einer sich immer schneller verändernden Welt?“ (Das „Sie“ im Nebensatz ist tatsächlich groß geschrieben, der Satz hat aber nur mit kleingeschriebenem „sie“ Sinn.) Der Journalist fragt den Gesprächspartner also, warum dieser vom Journalisten interviewt wird. Selbst wenn man zugibt, dass ein Schmidt-Interview keine dankbare Aufgabe ist, ist das eine nachgerade Kapitulation. Aber egal. Man will halt schauen, „was jemand antwortet, der antworten kann, was er will“ (wieder Stefan Niggemeier).
Bei der Berliner Zeitung wechselt Schmidt zwischen den Metaebenen hin und her und sagt launige Dinge. Amüsiert sich über die Aufregung anlässlich eines älteren Interviews. Lästert über Berlin. Behauptet wieder einmal, dass er Jan Böhmermanns ZDF Magazin Royale gar nicht kenne. Auf den ersten Blick sind das eher substanzlose Dinge. Auf den zweiten Blick wird klar, dass sie qua Spielregeln des Schmidt-Interviews auch gar nicht wie Dinge von Substanz gemeint sind. Schmidt nennt sich ja selbst eine „Interview-Maschine“ und spricht davon, dass er „aktuelle Sprachmodule“ lernt und Formulierungen „zusammenbaut“.
Natürlich ist das eine Dekonstruktion des journalistischen Genres Interviews, das halt allzu oft talking points abhakt und sich damit zufrieden gibt, aktuell im Schwange befindliche Floskeln abzubilden. Den Rest gibt sich der Journalismus dann selbst, indem er, weil er funktioniert, wie er heutzutage funktioniert, munter weiter berichtet und weiterdreht. Schmidt lästert über Berlin, Schmidt mit Seitenhieb gegen Böhmermann, Schmidt trollt, Schmidt schießt „frechen Verbal-Pfeil“ ab (klatsch-tratsch.de)… quod erat demonstrandum.
Beeindruckend, wie geschwind Schmidt gedanklich ist. Und doch steigert es die Wucht solcher Streiche nicht unbedingt, wenn man sie über mehrere Jahre durchhält. Trotzdem gibt es Menschen, die das nicht ermüdend, sondern erfrischend finden. Er hat’s wieder einmal geschafft, las ich mehr als einmal auf Twitter, dass sich die Richtigen aufregen. Und genau darum geht’s ja! Wenn Schmidt schon durch sein Kokettieren auf keine Position festzulegen ist, weil er sich ad-hoc Sprachmodule zusammenbaut, so kann man ihm immer noch die Position andichten, Unruhe bei den woken Twitter-Brigaden™ auslösen zu wollen. Und das gilt ja in manchen Kreisen als ein sehr ehrenwertes Anliegen.
Schmidt kann natürlich machen, was er will oder was ihn glücklich macht. Und von wem man Applaus bekommt, kann ein Künstler nicht gänzlich kontrollieren. Aber wenn die eigene Arbeit am stärksten von Boomern bejubelt wird, deren Komikverständnis mit der Formel „owning the libs“ noch wohlwollend und vor allem erschöpfend beschrieben ist, kann das durchauch auch etwas bedeuten.
Da betreibt einer humoristisches Schattenboxen, mit abnehmender Leichtigkeit (Stichwort „Sex des Alters“). Da ist sich einer (Stichwort Berlin-Verachtung) immer öfter auch für die ausgelutschtesten Topoi nicht zu schade. Da kann man erleben, wie einer hack wird, der doch eine Legende war. Und zuzusehen, wie einer all das schafft, anstatt irgendwas Künstlerisches, das ihm die Leute ja ebenso aus der Hand fressen würden, löst bei mir ein bedrückendes Gefühl aus.
Mit seinen kleinen Provokationen und gezielt gestreuten Uneindeutigkeiten erinnert mich Schmidt manchmal an Comedians wie Faisal Kawusi oder Chris Tall. Und dass er so oft in allen Zeitungen, Magazinen und Onlinemedien auftaucht, hat er wiederum mit Comedians gemein, deren Äußerungen oder Leben gerne in „Leute“- oder Lifestyle-Spalten verwurstet werden. Hey, Pete Davidson hat geheiratet. Hey, Bülent Ceylan hat eine Feier im baden-württembergischen Landtag „aufgemischt“. Hey, Matze Knop tut sich schwer, Nationaltrainer Hansi Flick zu parodieren. („Der Hansi weiß immer, was er sagt. Da denkst du dir: Für ihn gut, für’n Parodisten blöd.“)
Hey, Harald Schmidt übernachtet lieber in Hannover als in Berlin. Es ist schon eine merkwürdige Reihe, in die ich ihn gestellt habe, und war das zwar mein Werk, so wäre sowas früher ja undenkbar gewesen. Der stets über allen schwebte, ist herabgetreten und vergleichbar geworden.
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