Comedy im Maßanzug

Der Comedy-Newsletter von Setup/Punchline: News über Stand-up, Comedy und Kabarett
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Comedy Dynamics, eine US-amerikanische Produktionsfirma für Stand-up und weitere Allotria, vertreibt nun auch Actionfiguren von Comedians. Laut The Laugh Button gibt es bislang Miniaturen aus Plastik von Lenny Bruce, Joan Rivers und Bill Hicks.

„Das ist eine neue Art und Weise, das Vermächtnis von Lenny Bruce zu ehren, als einem der größten Pioniere, der stets dem treu blieb, an das er glaubte, als ein Freiheitskämpfer für das first amendment“, hängte die Tochter von Lenny Bruce das ziemlich hoch. Dem Anlass angemessener ließ sich die Tochter von Joan Rivers zitieren: „Der Ausdruck ‚Actionfigur‘ ist möglicherweise eine gewagte Beschreibung für eine Frau, für die es schon Anstrengung bedeutete, einen Martini zuzubereiten.“

Mir stellt sich da unmittelbar eine Frage und, nein, es ist nicht die, ob nicht die Plastifizierung und Vermarktung ehrwürdigster Verfassungsrechte auch ein wenig deren Abschaffung bedingen, zumindest aber befördern. Ebenso wenig interessiert mich, ob nicht ein politischer, von staatlicher Zensur gebeutelter Comedian wie Lenny Bruce derartigen Ausverkauf der Demokratie doch gerade aufgespießt hätte.

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Vielmehr ist es die: Wen würde man da eigentlich in Deutschland nehmen? Welche deutschen Comedians oder Kabarettist:innen ließen sich am ehesten in Plastik pressen? Dieter Hildebrandt, der deutsche Lenny Bruce? Hanne Wieder, die deutsche Joan Rivers? Volker Pispers, der deutsche Bill Hicks? (Bitte dreimal untertänigst um Verzeihung.) Passt aber irgendwie alles nicht.

Einer dagegen, bei dem ich’s mir vorstellen könnte, ist Helge Schneider. Nicht, weil er in irgendeiner Weise symbolisch für Kommerz stünde, sondern weil es auf mich manchmal so wirkt, als habe er tatsächlich Superkräfte. Im Circus Krone, wo Schneider in München traditionell auftritt, konnte ich mich vor kurzem wieder davon überzeugen: die musikalischen Fähigkeiten, angefangen bei der theoretischen Kenntnis des Jazz hin zur Umsetzung an Klavier, Gitarre, Trompete, Vibraphon; der Slapstick, seine wortlose Körpercomedy; nicht zuletzt die Sprache – die Fähigkeit, dem Zeitgeist immer wieder Vokabeln abzulauschen, die jeder kennt und die doch überraschen, die Kombination und Variation, das Spiel mit Worten. Die Mischung ist verblüffend.

Keinen anderen Künstler habe ich so oft live gesehen wie Helge Schneider. Man merkt dann natürlich, dass viel von dem, was aussieht wie anarchische Improvisation, gar keine ist, sondern „nur“ angelegt ist, so zu wirken. (Kein Vorwurf.) Und natürlich ist über die Jahre vieles ähnlich geblieben. Immer gibt es in wechselnden Besetzungen Jazz, immer gibt es dadaistische Geschichten, immer gibt es Spielchen wie den Mikrofonausfall (oder zuletzt in München Stromschläge aus dem Gitarrenkabel an den stillen wie großen Begleitkünstler Sergej Gleithmann).

Der Inhalt wechselt, die Form bleibt bestehen. Ohnehin ist der Inhalt von Schneiders Shows eigentlich nebensächlich – der Satz „Kunst ist Form“ lässt sich an seiner Comedy prächtig illustrieren. Man sieht sich Schneider ja nicht an, um seine Witze weiterzuerzählen. Er ist davon nicht zu trennen: Schneiders Comedy braucht Schneider als Protagonisten. Diesem Protagonisten sieht man zu, wie er König Midas gleich egal was berührt und dann nicht in Gold, sondern in Quatsch verwandelt. (Tragische Verwicklung inklusive – aber das ist ein Thema für einen anderen Artikel.)

Jazz sieht für Laien oft vollkommen beliebig aus. Ein Jazzpianist klimpert in scheinbar chaotischer Folge auf vielen weißen und noch mehr schwarzen Tasten herum. Dadurch entsteht verwirrender Klangbrei. In Wirklichkeit steckt aber Methode dahinter, die erklärbar ist (Harmonielehre, Skalentheorie, Grundsätze der Improvisation etc.), und nur ein Prozent Chaos; ein Prozent Wahnsinn als Funke, der das Ganze zum Leben erweckt.

Helge Schneider ist Jazzpianist. Und er ist Comedian, der auch mit Worten so spielt wie sonst am Klavier mit Tönen. Es wirkt so beliebig – aber jeder, der schon einmal versucht hat, diese Albernheit zu imitieren, merkt, dass das so gut wie nie lustig ist. Offensichtlich plappert da einer nicht einfach, was ihm gerade in den Sinn kommt. Und natürlich wäre es Unfug, Schneider vorzuwerfen, dass viele seiner Shows so ähnlich sind. Als würde man einem Musiker vorwerfen, immer dieselben zwölf Töne zu spielen. Oder einer Autorin, dass sie immer dieselben 26 Buchstaben verwendet. Entscheidend ist ja nicht das Material, sondern wie man es anordnet.

So einer taugt zur Actionfigur, würde ich sagen. Und von mir aus könnte er sofort loslegen, Verbrechen aufzuklären, hätte er das nicht eh auch schon getan.

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