Hanns Dieter Hüsch: Das schwarze Schaf vom Niederrhein (1976)

Hanns Dieter Hüsch (1925-2005) ist einer der wichtigsten deutschen Kabarettisten und gilt als einer der Gründerväter des deutschen Nachkriegskabaretts. Jedoch: Man würde das nicht vermuten, wenn man sich gut ein halbes Jahrhundert nach Erscheinen mit Das schwarze Schaf vom Niederrhein beschäftigt. Ein typisches Fragment daraus geht etwa so:

“Viele sehen das wieder anders. Und sollen es auch anders sehen. Ich hab immer gesagt: Jeder soll alles anders sehen können dürfen. Und nicht sehen sollen müssen. Das ist doch das ganze Dilemna. Oder heißt es Dilemma? Ich verwechsel das immer mit missa solemnis. Da heißt et ‚lemnis‘, da heißt et ‚lemma‘. Komisch, oder? Wenn man’s einmal weiß, ist es jut.”

Hüsch geht verschlungene Gedankengänge hinab, mitunter ohne erkennbares Ziel. Dann und wann kommt ein kleines Lied, an der Orgel, einer Philips Philicorda 752, begleitet. Aber die meiste Zeit wird gelabert, gelabert, gelabert. “Wollma erst mal die Brille putzen, damit die leute nicht sagen, die Gläser haben auch nachgelassen. Joa, gibt so leute, die sagen das!” Welche Leute so etwas sagen, warum sie so etwas sagen, was für ein Problem solche Leute eigentlich haben und wen das alles eigentlich juckt, all das wären berechtigte Fragen, die im Fluss der Worte untergehen, wie auch die ja durchaus vorhandenen schönen Beobachtungen („Aggressionsnische“).

Man könnte noch lange mit derartigen Beispielen weitermachen. Aber, nun das große Aber: Das mit dem Nachkriegskabarett, das mit dem „einer der wichtigsten Kabarettisten“ – das stimmt schon. „Es gibt eigentlich keinen deutschen Liedermacher, der nicht von der Vorarbeit Hüschs profitiert oder aus seiner Quelle geschöpft hätte”, so stand es damals, 1976, in der Süddeutschen Zeitung geschrieben. Und das stimmt auch heute noch, beim Kabarett merkt man es mehr, bei Stand-up-Comedy weniger. Aber alle profitieren davon, dass da mal einer kam, der mit dem Publikum sprach wie ein netter Onkel, der den Nachbarskindern Klavierunterricht gibt. und der so die Tür für die Wortkunst ein gewisses Stück auftrat.

Man könnte Hüsch mit einem Comedian wie dem US-Amerikaner George Carlin vergleichen, wäre er (Hüsch) politischer. Er hat sich aber selten, wie das Kabarettisten sonst oft tun, an Politikern, Parteien, den Verhältnissen etc. abgearbeitet, auch in Das schwarze Schaf vom Niederrhein nicht. Allenfalls findet man, wie im Lied über eine Selbstmörderin, zarte Sozialkritik. Dass sich Hüsch mehr mit dem Kleinen, Alltäglichen, mitunter auch Banalen, Niedlichen beschäftigte als mit den Herausforderungen der Zeit, trug ihm oft Kritik durch die radikaleren 68er ein und machte es dem Establishment leicht, den Kritiker zu assimilieren. Den „poetischsten aller Kabarettisten“ nannte ihn einmal Bundespräsident Johannes Rau, und genau das sollte doch eigentlich ein Kabarettist nicht wollen: von einem Bundespräsidenten so staatstragend geadelt zu werden.

Allerdings fand die künstlerische Vorarbeit Hüschs sowieso nicht auf inhaltlichem Gebiet statt, sondern vielmehr auf formalem. Das Spiel mit Sprache, das Wortgeklingel, die Wortklaubereien, die Bereitschaft, Sprache bis zum Erbrechen als zu formenden Rohstoff anzusehen – all das ist es, was Hüsch aus der Riege der Kabarettisten hervorhebt.

All das ist es auch, was Dutzende Epigonen ihm nacheifern ließ. Der Stil hat sich durchgesetzt. Viele Kabarettisten labern das Publikum an, als träfen sich entfernte Bekannte auf der Straße. Sogar Helge Schneider muss man angesichts des Sprechduktus und jazzigen Orgelspiels, mit dem Hüsch sich bei eingestreuten Liedern begleitet, den Fans zurechnen.

Manchmal entstand durch die semantischen Dudeleien Poesie, manchmal auch nur beliebige Kalauerei. Wenn man’s einmal weiß, ist es jut. Ja, aber was weiß man denn eigentlich? Hüschs Einfluss ist unbestritten, aber das ist mit das Fiese an dieser Welt: Einfluss bedeutet nicht automatisch zeitlose Qualität. Aber dass das nicht mehr taufrisch wirkt, sondern sehr verstaubt, das kann man Hüsch nicht vorwerfen. Er ist ein Wegbereiter, der von der Zeit überholt wurde.

Das schwarze Schaf vom Niederrhein, 91 min, abrufbar in der WDR Mediathek

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Eine Antwort

  1. Wer das Rollenkabarett als sinnfreies Labern abwertet, weiß vielleicht nicht, dass Hüsch in dem Programm seinen Vater karikierte und damit als erstes ein treffendes Psychogramm des Niederrheiners gab. Nach 30 Jahren experimentellen Kabaretts sein erstes Niederrhein-Programm überhaupt. Kennt der Rezensent die LP Camina Urana – Gesänge gegen die Bombe? Das Programm „Enthauptungen“? Man muss Hüsch nicht mögen, aber bei 70 Kabarettprogrammen eines auf das ganze Werk zu verallgemeinern, greift zu kurz.

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