Ja, es hilft, bairisch zu können, wenn man Shows von Günter Grünwald ansieht. Ja, diese sind mitunter provinziell. Ja, diese sind derb und vulgär. Die wichtige ästhetische Erkenntnis aber, die man von Grünwalds Werk im Allgemeinen und aus seinem Programm Botschafter des guten Geschmacks im Besonderen mitnehmen kann, lautet: Nicht der Künstler ist schwer verständlich, provinziell, derb und vulgär. Es handelt sich hierbei um verschiedene Klangfarben, derer sich Comedians bedienen können. Und wenn sie ihr Handwerk verstehen wie Grünwald, tun sie das gezielt und absolut kontrolliert.
Grünwald ist nicht vulgär, weil Vulgarität witzig ist. Er ist vulgär, weil es die Show an diesen bestimmten Momenten erfordert, zum Beispiel weil er einen krassen Gegensatz erschaffen möchte. Eine surreale Geschichte über einen Onkel, der von Außerirdischen entführt wurde, kippt ins Bodenständig-Dumpfe; auf Ausführungen über kulinarische Vorlieben folgt ein Act-out über kulturlose Rüpel, die sich über „sooooooichterne Schnitzel“ freuen, „de kannst du ned dafressn“.
Grünwalds Bühnenpersona changiert permanent zwischen seliger Naivität und kalkulierter Provokation. Er zeigt einen kultivierten Bayern („na du wackerer Wandersgesell“), der sich aber emotional nicht im Griff hat. Die zivilisierte Persona hält so viel auf Anstand und Menschlichkeit, dass sie diese Werte Unkundigen gerne mit einem Backstein einprügeln würde. Der Schleier der Zivilisation ist dünn, dahinter warten Arroganz, Publikumsbeschimpfung oder animalische Wutausbrüche.
Innerhalb weniger Sekunden stürzt Grünwald vom hohen Stil ins Derbe und relativiert alles mit einem gebildeten Spruch, der aber falsch ist, worauf er das Publikum beleidigt, sich dann mit einer Klarstellung entschuldigt, die alles noch schlimmer macht und immer so fort. Für das Publikum bedeutet es, permanent aufmerksam sein zu müssen. Es ist in den Bann geschlagen wie bei einem Tennismatch.
An manchen Stellen wundert man sich über vermeintlich überflüssige Exkurse (z. B. in der Geschichte über den verlorenen Vater), aber man kann bei Grünwald immer sicher sein, dass alles augenscheinlich Überflüssige später noch für einen Callback oder eine andere Art Ringschluss gebraucht wird.
Selbst wo kein Joke angelegt ist, ist irgendeine Albernheit, irgendeine lustige Spielerei verborgen. Dann schimpft Grünwald unvermittelt auf Kühe oder inszeniert sich völlig zusammenhangslos als arroganter Schnösel oder führt durchaus gesellschaftskritik Figuren vor, wie man das sonst etwa von Gerhard Polt kennt („Hitler, Hitler, Hitler, ich kann’s nimmer hören“). Er verwendet bayerische Redensarten, die nie ganz genau passen oder legt dem Publikum Sätze in den Mund („bitte fragen Sie mich doch nicht so einen Krampf“). Dann wieder gibt es surreale Einlassungen („Igel können nicht fahrradfahren – auch wenn du den sattel ganz runter machst. Drum sagt man ja auch: Igel haben kurze Beine„). Bayerische Jovialität, Alltagslustigkeit und als Meta-Zitate verwendete Comedyfloskeln („wir alle kennen es“) werden als Kitt für die großen Bausteine eingesetzt.
Es gibt in allen Disziplinen, Act-out, Jokewriting, Figurendarstellung, Comedians, die besser sind als Grünwald. Man darf auch keine grundlegenden persönlichen Einsichten erwarten. Und manch eine Überleitung quietscht, weil Grünwald aus der Kabarett-Tradition kommt, als Jokes noch nicht auf Dutzenden offenen Bühnen rundgespielt werden konnten. (Oder mussten. Oder einfach wurden.) Aber die Vielfalt an komischen Techniken und die Dichte, mit der sie eingesetzt werden, macht ihn in seinem Metier einzigartig.
Botschafter des guten Geschmacks, 1h 52min, abrufbar etwa auf Spotify
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