Ein „Stachel im Fleisch der Obrigkeit“, Sezierer und Bloßsteller der bayerischen und generell menschlichen Schlechtigkeit: Der Erfolg von Gerhard Polt und den Well-Brüdern (u.a. Biermösl Blosn) wird gerne aus ihrer politisch-satirischen Wirkung erklärt. Das allein wird ihnen aber nicht gerecht – sonst wären sie kaum immer noch so beliebt. Ein Gespräch zum 40. Bühnenjubiläum mit Gerhard Polt und Michael Well, über Humorkulturen, die Beziehung zum Publikum und was sie mit Schriftstellern wie Oskar Maria Graf und Lion Feuchtwanger gemeinsam haben.
Setup/Punchline: Seit 40 Jahren steht ihr gemeinsam auf der Bühne, als ungewöhnliche Kombination. Da ist das lustige, beschwingte Moment der Musik der Well-Brüder. Und auf der anderen Seite die schwere, nachdenkliche Präsenz von Polt. So schwarz-weiß sieht das zumindest auf den ersten Blick aus. Aber ist das wirklich so? Wie spaßig und lebensbejahend ist denn Gerhard Polt, Michael?
Michael Well: Sehr! Wir würden ja nicht miteinander spielen, und auch nicht 40 Jahre lang, wenn wir uns nicht verstehen, schätzen und respektieren würden. Wir haben täglich miteinander zu tun, und es ist immer inspirierend. Ich weiß noch, wie wir die erste Platte von Gerhard gehört haben. 1979 war das und das war eine Begegnung der dritten Art. So etwas haben wir nicht gekannt.
Gerhard Polt: Drei Millionen Kilometer sind wir gefahren in 40 Jahren, der Stofferl [Christoph Well, s/p] hat’s einmal ausgerechnet. Da hocken wir in dieser Schäsn [Bairisch für: heruntergekommenes Auto, s/p] drin und fahren umeinander. Wenn einer von ihnen lacht, lachen wir oft alle miteinander.
Und anders herum gefragt: Wie viel existenzielle Schwere und wie viel Ernsthaftigkeit steckt in den Wells, Gerhard?
Polt: Bleiben wir mal beim Stofferl. Der war ja Solo-Trompeter bei den Philharmonikern in München. Der hat eine solche Liebe zur Musik. Zu der Musik, die die Wells spielen, aber auch zur klassischen. Diese Ernsthaftigkeit, wie der Musik sieht oder Musikgeschichte – das kommt normalerweise nicht raus. Der drängt sich nicht auf. Aber wenn einer neugierig ist und fragt, hat er eine Engelsgeduld. Der hat mir Sachen erklärt, die hätt‘ ich in meinem Leben nie gewusst. Da merkst du die Tiefe, die da ist, die tiefe Zuneigung. Ist jetzt nur ein Beispiel.
Und bei jedem ist diese Tiefe da, meinst du?
Polt: Jeder von denen ist wieder anders. Das ist ja das Irre: Drei Brüder sind’s, aber du merkst oft nicht, dass es Brüder sind. Und manchmal merkst du es schon. Die Wells sind für mich auf jeden Fall ohne Musik gar nicht denkbar. Das ist ihr Leben. Ich glaub, dass sie gern spotten, aber Musik ist das Allererste, was sie markant macht. Oder?
Well: Ja, freilich.
Polt: Und wir haben uns auch gemeinsam entwickelt. In der Gesellschaft, in der du bist, fallen dir halt Leute auf. Manche unangenehm. Manche sehr unangenehm. Und über die redest dann, oder über gemeinsame Erinnerungen, an die Fahrten, an die Hotels, an das verschimmelte Käsebrot beim Catering. Das verbindet einen.
Well: Dadurch dass wir immer miteinander fahren, mit geringstem Aufwand, immer in einem Auto, haben wir viel Zeit zum Ratschen. Für mich ist das fast wie Urlaub.
Auch zum Publikum baut ihr eine besondere Verbindung auf. Sogar in Berlin oder Hannover kommen Leute, die an sich ja mit bayerischer Kultur oder dem Dialekt nicht so viel anfangen können.
Well: Wir stellen uns nicht auf das Publikum ein, wir sind einfach wie immer und verstellen uns nicht. Auch nicht sprachlich. Ich glaube, live verstehen uns Preußen auch besser. Über CD ist das schwieriger. Und dann hast du außerhalb von Bayern sowieso immer Exotenbonus.
Polt: Du merkst halt: Bayerische Volksmusik, das kennt so ein Hannoveraner nicht. Da ist eigentlich null vorhanden. Was ein Boarischer ist oder ein Zwiefacher [bayerische Volkstänze, s/p]. Das haben die noch nie gehört.
Well: Aber sie hören das gern, weil das etwas ist, was sie selber nicht mehr haben.
Polt: Sie haben es nie gehabt.
Well: Vielleicht früher.
Polt: Nein, sie haben’s nie gehabt. Du musst diesen Hannoveranern wirklich zubilligen: Bestimmte Sachen haben sie nie besessen. Drum können sie es auch nicht verlieren, das ist ja auch ein Vorteil. Du kannst ja nur verlieren, was du gehabt hast.
Ihr entwerft auf der Bühne ein ganzes Spektrum von Anekdoten und wiedererkennbaren Figuren. Das ist auch ein Bild von Bayern, das ihr transportiert. Ist euch wichtig, dass dieses Bild akkurat ist?
Well: Was mich betrifft, will ich immer Brüche haben. Die man vielleicht auf den ersten Blick nicht gesehen hat. Dass die Geschichten nicht so geradlinig ablaufen und dass das Bayern-Bild nicht so einordbar in die Schublade passt.
Polt: Ich würde das nicht als Bild bezeichnen, eher vielleicht als Skizzen. Ein Bild ist ein Gesamtwerk und das haben wir gar nicht im Kreuz. Selbst große bayerische Schriftsteller, nimm doch Ludwig Thoma, Oskar Maria Graf oder Feuchtwanger, haben auch kein Bild gemalt. Die haben Geschichten erzählt. Und das machen wir auch. Ich bin Geschichtenerzähler. Und die Wells mit ihrer Musik sind das auf ihre Art auch. Ich mache eben das, was mir liegt und was ich kann. Ich kann schlecht auf die Bühne gehen und einen Wiener oder einen Tiroler nachmachen. Also mache ich Figuren, die aus Bayern sind. Aber ich will nicht unterstellen, das ist jetzt Bayern.
Du bist in Schweden auch auf Schwedisch aufgetreten. Waren das dann die bayerischen Figuren übersetzt?
Polt: Wenn du so willst, ja.
Wie hat das funktioniert?
Polt: Gut.
Ja?
Polt: Die Figuren, die ich zeige, sind halt Leute, die erzählen was. Und die gibt’s. Und die gibt’s vielleicht in Schweden genauso wie in Bayern.
Well: Einmal hat’s aber nicht funktioniert, weißt noch? Mit Mai-Ling.
Also der Nummer, in der ein Mann erzählt, wie er sich eine Frau aus Ostasien per Katalog bestellt hat und die dann wie ein Haustier behandelt?
Well: In Schweden war der Einkauf von Frauen aus Ostasien auch ein Riesenthema. Und bei dem Auftritt, 1986 war das, haben wir dann eine Thailänderin auf der Bühne gehabt. Die Leute haben Mitleid mit der Frau gehabt. Die haben die Satire nicht annehmen können.
Polt: Ich wollte zeigen: So geht dieser Mensch mit der Frau um. Der behandelt die wie ein Hundsvieh. Aber da war die Stimmung anders. Grad, dass nicht einer gekommen ist und mir eine reingehauen hätte.
Woran lag das? Konntest du vielleicht bestimmte sprachliche Nuancen im Schwedischen nicht so gut ausdrücken?
Polt: Nein, nein, nein, das war’s nicht.
Well: Das war ungeheuerlich für die Leute, dass er über eine Frau spricht und die sitzt da einfach. Vielleicht wär’s anders gewesen, wenn die nicht da gewesen wär.
Polt: Das Bild der Frau in Skandinavien ist seit Jahrzehnten ein anderes als bei uns. Wir kommen aus einer katholischen Gegend, Skandinavien ist ur-protestantisch, ur-sozialdemokratisch. Schweden hat andere ethische Maßstäbe als wir und natürlich auch einen anderen Humor, verstehst? In vieler Hinsicht ist das eine andere Kultur. Die haben keine Weinkultur, die haben auch keine gute Bierkultur, wenn dann noch eine Schnapskultur. Nichts gegen die Leute, ganz im Gegenteil. Es gibt bestimmte Dinge, die gehen manchmal, und woanders gehen sie nicht.
Das kann einem ja sogar innerhalb einer Kultur passieren…
Polt: Wenn’s hier passiert, liegt es, glaub ich, weniger an der Region als an der Art des Publikums, an der sozialen Komponente. Wobei das Verrückte, wo wir selber auch manchmal erstaunt sind, schon auch wieder ist: dass wir im Bierzelt spielen, und das, was in einem Bierzelt geht, geht sogar im Burgtheater in Wien. Das möchtest du doch nicht glauben.
Well: In so ein Bierzelt geht ja das ganze Spektrum der Bevölkerung rein, das ganze Dorf ist da. Und dass die mal still sind und zuhören, das war immer interessant für uns. Ein Bierzelt suggeriert ja normalerweise etwas anderes.
Ihr erzählt Geschichten oder zeigt Figuren, bei denen es einem manchmal kalt den Rücken hinunterläuft. Wundert ihr euch, dass die Leute das in erster Linie lustig finden?
Well: Mei, was willst du machen? Gerhard geht auf die Bühne, setzt sich hin und die Leute toben. Diese Ausstrahlung von einer Persönlichkeit macht schon etwas aus.
Polt: Dieter Hildebrandt hat mal gesagt, er würd‘ das auch gerne so machen wie ich. Ich geh hin, sag einmal „Schliersee“ und alle sind begeistert. Es ist ein bissl wie in der Schule. Da gab’s einen Lehrer, der plärrt und alle schreien weiter. Und dann gab’s die Lehrerin, die sagt nix und alle sind still. Du kannst nicht genau sagen, warum das so ist.
Ist es eure Motivation, komisch zu sein?
Polt: Komisch, ja vielleicht. Aber ich würde vor allem eine Figur nicht erzählen wollen, wenn ich an der nichts finde, was mich interessiert. Das ist grundsätzlich einmal, dass eine Figur nicht unsympathisch sein muss. Sie kann aber unsympathisch werden. Und wenn das kippt und wie, das ist das Spannende. Ich horch mal zu, das ist ja ganz nett. Auf einmal kommen aber Sachen, die dich irritieren, aber dann kommst du nicht mehr aus. Da wird’s dann theatralisch. Die Person kassiert einfach dein Einverständnis. Die fragt nicht mehr, ob du ihrer Meinung bist, die setzt das voraus. Die sagt (nimmt scharfen Tonfall an) „Ist’s nicht so? Der Deutsche hat doch, der wurde doch… diese Ausländer haben uns das und das…“ – und du kommst gar nicht mehr zum Widerspruch.
Well: Bei uns ist’s natürlich eine andere Form. Im Lied musst du versuchen, bestimmte Pointen zu setzen, wo die Leute noch folgen können. Manchmal arbeitest du ewig lang an einem Text, aber er kommt beim Publikum nicht an. Und irgendwann dann doch. Sowas ist einfach unerklärlich.
Wann wisst ihr: Da ist jetzt etwas, woraus man auf der Bühne etwas machen kann?
Polt: Manchmal, wenn dir eine Figur oder ein Mensch etwas sagt, wo bei dir ein „Eha!“ kommt. Es gibt Leute, die einfach mit einem Nebensatz was sagen, wo ich die Ohrwaschl spitz. Die Menschen sagen ja viel. Natürlich kannst du viel schreiben und das dann in den Papierkorb schmeißen. Aber du kannst auch viel hören, wo du weißt: Wenn ich den Gedanken von dem oder der jetzt weiterverfolge, dann ist das Wahnsinn. Der hat eine Welt, eine Vorstellung, die der da erklärt, eine Art, wie der sich gedankenmäßig durchschlängelt, wobei man das manchmal nicht mal Gedanken nennen kann, eher so einen Wurmfortsatz, wo du sagst, das ist jetzt wirklich irrsinnig.
Arbeitest du immer so, dass du gut zuhörst?
Polt: Du machst das nicht nur in der direkten Konfrontation. Du hast ja selber eine Biografie, du hast in deinem Leben viel gehört, viel gelesen, viel erlebt. In Fast wia im richtigen Leben haben wir eine Szene gemacht, von der ich weiß, dass sie so stattgefunden hat. Eine Familie fährt an einem Unfall vorbei, Mann, Frau, Bub schauen zum Fenster raus. Und die Frau sagt: Geh weiter, die anderen wollen auch noch was sehen. Das ist jetzt nur ein Beispiel. Ich halte das für bemerkenswert. Nicht dass das jemand sagt, ist entscheidend, sondern dieses Voyeurhafte, dieses Hängenbleiben. So etwas ist im Menschen offensichtlich. In vielen Menschen. Und wenn ich das erzähle, erzähle ich nicht irgendeinen Einzelfall, sondern das ist ein Symptom.
40 Jahre Gerhard Polt und die Well-Brüder
Anlässlich des Jubiläums erscheint am 25. September auch ein eigenes Album. Dieses ist ein Zusammenschnitt von drei Auftritten und folgt der klassischen Dramaturgie: gesprochene Polt-Nummer, musikalische Well-Nummer, Polt-Nummer etc. Auch eine Tour mit etwa 20 Shows ist geplant. Hier geht es zu den Terminen.