Deutsche Comedy ist mies. Viele halten das für einen Fakt, dabei ist es nur ein zur Gewissheit geronnenes Vorurteil fauler Menschen. Anstatt sich auf die Suche nach besserer Comedy zu begeben, sprechen sie dieser einfach die Existenz ab.
Neutraler könnte man formulieren: Deutsche Comedy ist anders. Zumindest die Art, ihn wahrzunehmen und zu verarbeiten, also der Humor. Aber selbst das ist kein Naturgesetz, vielmehr verschleiern die Sätze, dass Kunst und Kultur immer Resultate von historischen Entwicklungen sind. Lange bevor man also die angeblich so niederen deutschen Comedy in den Blick nimmt, lohnt es zu fragen: Wie ist der deutsche Humor zu dem geworden, was er ist?
Hans-Dieter Gelfert, ein ehemaliger Anglistikprofessor an der Freien Universität Berlin, ist einer der wenigen, der dieser Frage in mehreren Werken nachgegangen ist. Von diesen will ich zwei herausgreifen, die sich dezidiert mit Humor beschäftigen, nämlich Max und Monty und Madam I’m Adam. In Max und Monty stellte Gelfert 1998 deutschen und englischen Humor gegenüber, in Madam I’m Adam führte er 2007 die Aspekte des englischen Humors noch näher aus.
Das Einzigartige an Gelferts Untersuchungen ist, dass er eine Theorie entwickelt, warum sich der Humor in beiden Ländern unterschiedlich entwickelt hat. Diese lautet in Kürze so: Die englische Aufklärung setzte früher ein als die kontinentale, es gab früher ein Parlament und Freiheitsrechte, das Lehenswesen wurde früher abgeschafft. Es entstand früher eine (stadt-)bürgerliche Gesellschaft.
Humor als Schmiermittel
In Deutschland dagegen gab es diese Entwicklungen erst später. Zudem bestand wegen der zentralen Lage in Europa große außenpolitische Unsicherheit. Das Spannungsverhältnis zwischen den Individuen und dem Ganzen wurde zugunsten des Ganzen aufgelöst. Die deutsche Gesellschaft war eine staatsbürgerliche: Sie sehnte sich lange Jahrhunderte nach einem schützenden Staat.
Diese Analyse wendet Gelfert dann auf den Humor an: In England habe der Humor als soziales Schmiermittel fungiert, das dem Einzelnen gestattete, seine seine individuelle Freiheit zu bewahren. In Deutschland werde eher im geschützten Raum gelacht, Humor hat gemütlich zu sein oder moralisch. In Madam I’m Adam heißt es:
„Der Gemütlichkeitshumor versucht einen störungsfreien Innenraum zu schaffen; der moralisierende strebt das gleiche an, indem er den Störer hinauslacht. In beiden Fällen steht der Lacher auf der Seite der Ordnung und lacht auf den Störer herab.“
Die Einordnung des Einzelnen in ein großes Ganzes erkennt Gelfert dann nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch in Philosophie und Ästhetik: Im spekulativen Idealismus wird in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert Totalität zu einem zentralen Konzept. Und das Schöne und vor allem das Erhabene werden zu dominierenden ästhetischen Kategorien. (Erhabenheit erlebt, wer in ehrfürchtiger Scheu vor etwas Großem steht.)
Gelferts Untersuchung ist insofern sehr deutsch, als sie auch von einer Totalität ausgeht, nämlich der des Humors, der dann lediglich als Funktion von historischen Variablen erscheint: Je nachdem, welche politischen/philosophischen/ästhetischen Ideen in einem Land vorherrschen, entscheidet sich dann, worüber in diesem Land gelacht wird. So funktioniert das natürlich nicht, und es lassen sich in jedem Fall zahlreiche Gegenbeispiele finden.
Gut lesbarer Einblick in die innere Architektur der Kultur
Aber das weiß Gelfert auch selbst. In beiden Werken will er auch gar nicht eine umfassende und korrekte Einordnung jeglichen Humors vornehmen. Vielmehr lässt er die Leser:innen die jeweils vorherrschenden Ideen, Denkmuster und Moden nachvollziehen und gibt ihnen so Analysewerkzeuge an die Hand.
Archetypen des deutschen und englischen Humors werden gegenübergestellt (z. B. Falstaff, John Bull, Till Eulenspiegel, Münchhausen) und aus diesen dann die besonderen Merkmale destilliert und immer wieder an die Großtheorie rückgebunden. So etwa, wenn es darum geht, dass in England beim Gebrauch von Ironie das understatement vorherrscht, um sich selbstironisch vor respektlosen Angriffen zu schützen. In Deutschland dagegen: das overstatement, das meist von oben von einem Richterstuhl aus in moralisierender Absicht gebraucht werde.
Ein Vorwurf, den man machen darf und muss, ist natürlich der der Unvollständigkeit. In Max und Monty kommt Gelfert komplett ohne Dadaismus, Expressionismus und die Neue Frankfurter Schule aus. Aber das ist verschmerzbar angesichts der Fülle an Material: Von Eulenspiegel und Reineke Fuchs geht es über Simplicissimus und Kladderadatsch hin zu Monty Python, Otto Waalkes und Harald Schmidt.
Trotz kleinener Irritationen beim Lesen (der Darsteller von Mr Bean wird zum Beispiel in Madam I’m Adam falsch als Rowan Atkins aufgeführt – und das in einem Buch über Humor?) und des Irrsinns, den es bedeutet, diese Untersuchung überhaupt anzustellen, halten wir also fest: Gelferts Bücher bieten einen zwar nicht mehr ganz taufrischen, aber einzigartigen und gut lesbaren Einblick in die innere Architektur der deutschen und englischen Kultur. Und, wirklich, das ist nicht wenig.