Es geschah aber in jenen Tagen, dass der Statthalter von Setup/Punchline um Weihnachten ein Mietauto steuerte und so in den Genuss kam, seit langem einmal wieder einem der örtlichen Hitsender und damit auch aktueller Radiocomedy zu lauschen. Und da gab es also einen Stimmenimitator zu hören, der in den Zungen eines anderen sprach, nämlich des Schauspielers Til Schweiger (also waren es eher gepresste, nuschelnde Zungen). Und so sprach der Imitator die Pointe: Schon als Kind habe er, der falsche Til Schweiger, beim Krippenspiel überzeugend geschauspielert. Er sei nämlich der Esel im Stall gewesen.
Wo geht es hin mit Comedy in Deutschland? Wenn man so etwas hört wie den Til-Schweiger-Esel-Joke, möchte man alle Hoffnung fahren lassen und sich auf düstere Zeiten vorbereiten. Fürs Protokoll: Das ist Komik gewordenes Fastfood, oder halt, es ist Komik gewordenes verdorbenes Fastfood. Fahler Lustigkeitshumor, der träge macht und das Hirn verkleistert. Wer sowas verantwortet, sollte sich schämen. Selbst wenn er beim Radio arbeitet. Und selbst, „wenn die Leute das doch hören wollen“.
Natürlich ist Geschmack subjektiv, aber wenn wir uns mal drauf einigen würden, dass Til-Schweiger-Imitationen in Verbindung mit dem ältesten aller Weihnachtswitze ganz objektiv scheiße sind, wäre schon viel gewonnen. Das Geschmacksargument wird nämlich viel zu oft bemüht, um massentauglichen Schwachsinn zu rechtfertigen. Und leider viel zu selten das Neue, Experimentelle, das aus der Reihe schlägt.
Dieser Artikel gehört zur Reihe Noten zur Comedy, in der wir alle zwei Wochen einen Blick auf ein virulentes Thema rund um Comedy werfen. Ihr könnt die Noten auch als Newsletter abonnieren, dann kommen sie direkt (mit aktueller Presseschau und besonderem Comedytipp) ins Postfach.
Comedy war und ist noch immer meist ein Synonym für: Orientierung am Publikumsgeschmack, den man sich nach Belieben zusammenreimt. (Und nicht: für ein Konzept, einen Blick auf die Welt, eine Möglichkeit, sich mitzuteilen.) Und wenn man das mal eine Zeit macht, bilden sich Strukturen und Automatismen aus, und wer will sich auf verschlungenen Trampelpfaden verirren, wo es doch auf der Autobahn so schön schnell vorwärts geht? (Programmchefs im Radio sicher nicht.) Manche Moden sind einfach schwer totzukriegen.
Ein besonderer Trick der Verhältnisse ist es ja, das Nicht-tot-zu-Kriegende dann auch noch als neu und besonders zu verkaufen. 2021 bedeutet das: Cancel-Culture-Alarm! Beispiele wurden hier bei s/p zahlreich dokumentiert. Jüngster Auswuchs: Die BBC hat Unsafe Space angekündigt, eine anti-woke Comedyshow, in der endlich, endlich einmal die unterdrückte Mehrheitsmeinung ihren Ausdruck finden kann, ohne Rücksicht auf Verluste.
Im Ernst: Ich weiß und schreibe ja oft genug darüber, dass es in UK (wie eigentlich in allen Ländern?) einen konservativen Backlash gegen eine angebliche alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringende Vorherrschaft der Wokeness gibt, und die BBC natürlich (wie alle öffentlich-rechtlichen Rundfünker) unter großem Druck steht. Trotzdem habe ich nur wenig Verständnis für Unsafe Space. Denn wer schon mal britische panel shows oder in Deutschland Kabarett und Comedy in den dritten Programmen gesehen hat, weiß, dass es mit der woken Hegemonie im TV nicht allzu weit her ist. Trotzdem gönnt man sich vorsichtshalber lieber noch eine Sendung mehr vom Gleichen.
Es ist der Esel-Joke im großen Stil. So zementiert man die bereits ausgetretene Karrierepfade und setzt falsche Anreize: Anti-woke Comedians finden noch eine Anlaufstelle für ihre Comedy, während woke Comedians (oder, solls ja auch geben, Comedians, die einfach ihr Ding machen und von dem Cancel-culture-Bullshit nichts wissen wollen), kaum eine finden. Alles soll bleiben, wie es ist. Dabei ist das Paradoxe: Wenn alles bleibt, wie es ist, bleibt nichts, wie es ist. Sondern alles verödet. Gerade Comedy ist darauf angewiesen, dass nicht alles bleibt, wie es ist.
Wo bleibt also das Positive? Nun, 2021 hatte ja dann doch einiges zu bieten. Es war das Jahr von Bo Burnhams Inside, von Tig Notaros Drawn oder dem Street Special von Carmen Christopher. Und was man auch nicht vergessen sollte: wie viel Comedy es gibt, die mehr konventionell war als experimentell, aber trotzdem sehr sehr gut (James Acaster, Jo Firestone, Nate Bargatze…)
Nun, wo geht es hin mit der Comedy? Wie wird Comedy in Zukunft sein? „You have to provoke! It’s a good thing“, schlägt etwa der britische Comedian Ricky Gervais in die Kerbe des Bewährten. Oder richtet sich die Kunstform mehr in Richtung experimenteller documentary comedy à la John Wilson und Eric Andre aus, wie das Jason Zinoman in der New York Times nennt? Sind Comedy-Hörbücher das next big thing oder die eitle Flüchtigkeit von Tiktok?
Niemand kann das sagen. Mein Wunsch für 2022 wäre: Comedians, veröffentlicht endlich Specials! Viele Stand-up-Comedians in Deutschland sind noch nicht so weit. Viele aber doch. Drum hoffe ich, dass Letztere im kommenden Jahr diesen Schritt wagen. Ob selbst gefilmt auf Youtube zum Schauen oder die half-hour als Album auf Spotify zu hören, ist ganz egal. Denn wie soll moderne Stand-up-Comedy in Deutschland bekannter werden, wenn das Land nichts davon erfährt?
Lassen wir uns überraschen. Wie der US-Comedian John Wilson sagt: „If you only think about stuff that already exists, the world will never change.“
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