Die Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland machen nur noch Late-Night-Shows. Und auch bei den Streamingdiensten gibts nur immer mehr vom Gleichen. Man kann leicht zu diesem Urteil kommen, doch enttäuscht abwenden sollte man sich auch nicht: Denn jenseits davon warten Perlen und subtilere Produktionen: wie Lu von Loser, eine Kurz-Serie der Schauspielerin und Filmemacherin Alice Gruia, die nicht auf Effekt setzt, sondern von ihren Ideen und präzisen Beobachtungen lebt. Im Gespräch erklärt Gruia, wie das Projekt zustandekam.
Setup/Punchline: Lu von Loser ist eine Serie über eine Frau, die ein Kind kriegt und darauf gar nicht vorbereitet ist. Damit das authentisch rüberkommt, habt ihr kurz vor und nach der Geburt deines zweiten Kindes gedreht. Wie schwierig war das?
Alice Gruia: Ich war zum Glück gesegnet mit einer guten Schwangerschaft. Es gab keine Komplikationen, und die Übelkeit war in dem Stadium auch soweit schon vorbei. Wir haben auch sehr schwangerenfreundlich gedreht, so einmal, zweimal die Woche, mit einem kleinen Team. Wir haben es sehr flexibel gestaltet, bis Corona kam, dann musste es doch wieder schnell gehen. Aber es hat einfach alles gut geklappt.
Die Serie besteht aus acht kurzen Folgen, die insgesamt eine knappe Stunde dauern. Wieso hast du nicht einfach einen einzelnen Film gedreht?
Klar, man kann sich die Folgen alle hintereinander ansehen, dann sieht man es auch wie einen Film. In der TV-Ausstrahlung im ZDF wird das ja so gemacht. Aber an sich ist jede Folge für sich genommen wie ein Kurzfilm. Man sieht immer nur wenige Menschen, denen Lu begegnet, meistens nur an einer Location. Das hat etwas Kammerspiel-Sitcom-Artiges. Das lag auch daran, dass ich komplett ohne Mittel produziert habe, da muss man den Dreh begrenzt halten. Abgesehen davon hatte ich einfach immer eine Serie vor Augen.
Trotz der Kürze der Episoden ist die Serie sehr dicht erzählt. Mit einer Handvoll Einstellungen, die nur wenige Sekunden dauern, ist zum Beispiel Lus Familiengeschichte entfaltet. Wie lange musstest du schreiben, um diese Dichte zu erreichen?
Es war ein sehr kurzer Schreibprozess für den ersten Entwurf. Es klingt so abgedroschen, aber es war halt ein Flow. Ich hatte auch das Glück, dass ich schon mein zweites Kind gekriegt habe, nicht wie Lu das erste. Ich hatte schon mehr Distanz zum Mutterwerden, hatte schon eine klarere Vorstellung davon, was das bedeuten kann. Ich wusste schon viel mehr über das, worüber ich schrieb.
Du hast gesagt, Lu sei auch Ausdruck deiner Generation. Was an Lu ist typisch für Menschen in den 30ern?
Manche Facetten, die Lu hat, habe ich auch. Wahrscheinlich hat die jeder. Aber ich weiß natürlich auch, wo die Grenze ist zwischen mir und ihr. Auf jeden Fall durchlebt Lu gerade eine Phase, in der viele zum ersten mal Bilanz ziehen. Mein Eindruck ist, dass viele in den 30ern generell mal innehalten und sich fragen: Bin ich auf dem richtigen Weg? Viele haben eine längere Beziehung, man wohnt länger in derselben Wohnung. Man ist am Geldverdienen. Man definiert ein Zuhause. Man ist langsam erwachsen, in Anführungsstrichen.
Nach diesen Maßstäben ist Lu aber gar nicht erwachsen. Als Musikerin ist sie gescheitert, zumindest vorerst, sie lebt bei ihrer Mutter, sie kriegt ein Kind mit einem wahnsinnig pedantischen Exfreund…
Sie ist nicht wirklich erwachsen, nein. Sie ist auch eine Tagträumerin. Sie sagt es selbst ja im Monolog bei der Hebamme: Sie ist nicht präsent, sie ist konstant abgelenkt von den eigenen Gedanken, sie ist nicht wirklich im Moment. Sie sagt auch sonst nicht viel, ist eher zurückhaltend. Von daher waren diese Traumsequenzen auch eine gute Möglichkeit, um ihr als Figur näherzukommen.
Die Gesellschaft erwartet heute nicht nur, dass man ein erfolgreicher Erwachsener ist. Sondern man sollte dieses Spiel auch motiviert und fröhlich mitspielen. Wolltest du mit Lu einen Gegenpol zu diesem Zwang zur positiven Emotion entwerfen?
Es gibt heute so viele Selbsthilfebücher, jeder Zweite geht zum Therapeuten oder zu einem Coach, ein anderer zur Meditation und so weiter. Ich bewerte das gar nicht. Jeder braucht andere Hilfestellungen. Was wir, glaube ich, aber alle gemeinsam haben: Jeder will optimal glücklich sein. So entspannt, so gesund sein wie möglich. Aus diesem Optimierungswillen entwickelt sich für viele Menschen auch ein Stress: der Stress, entspannt zu sein.
Man könnte aus diesem Stress und der Depression einer Schwangeren wunderbar ein Drama machen. Lu von Loser tut aber mehr als das. Lu ist nicht isoliert, sie schafft es immer wieder, sich zu behaupten, auf ihre eigene Art. Sie verarscht ihre nervtötende Mutter und spielt ihr Wehen vor. Oder sie verschreckt den Vater, indem sie dem Kind im Bauch „Hitler-Hitler-Hitler“ entgegenblafft.
Das ist dann wohl Lus Weg, um nicht aus dem Fenster zu springen. Ihre Superkraft, ohne dass sie es so benennen würde. Und die kommt daher, dass sie eben nicht einen auf erwachsen macht, sondern kindisch bleibt. Es ist ihre Art von Humor. Und Humor hilft immer.
Es gibt in Lu die anstrengende Mutter, die nervig-fröhlichen Paare mit Kindern, die verzweifelten Paare. Elternschaft ist eher als Horror inszeniert. Findest du, ein positives Elternbild ist eine absurde Vorstellung?
Ich denke schon, dass es das gibt, und dass es die gibt, die es gut machen. Der Grund, warum Lu solchen Menschen begegnet, ist natürlich in der Serienlogik die Bestätigung ihrer schlimmsten Alpträume. Wenn man weiter erzählen würde, könnte sie durchaus jemanden treffen, der es drauf hat und dem sie dann hinterhereifern könnte. Mir würde für eine Fortsetzung schon noch viel einfallen: Was ist mit dem Exfreund und seiner komischen Simone? Wie geht es weiter mit der Musik? Wie macht sie sich als Mutter? Mir kommt diese Staffel wie eine Einleitung vor, eine Einführung in Lus Welt.
Das ZDF nennt Lu eine „Sadcom“, man könnte stattdessen auch sagen: „etwas leisere, subtilere Comedy“. Warum hast du Comedy als Form gewählt?
Es war klar, dass Lu ein Comedyformat wird. Ich könnte aber nie Comedy machen, ohne auch andere Momente zu zeigen. Nur lustig würde ich, denke ich, gar nicht hinbekommen. Nur traurig oder nur dramatisch auch nicht. Immer wenn ich in der Vergangenheit dachte, jetzt mache ich ein Drama, wurde es nie ein Drama. Es war immer etwas dazwischen. Das ist vermutlich meine Schreibe, meine Tonalität. So funktioniert’s für mich anscheinend am besten – nur in der Kombination mit dem Gegenteil.
Heraus kommt dann etwas anderes, Neues. Den Zuschauer:innen werden zum Beispiel alle Enden vorenthalten, an die man gewöhnt ist. Es gibt kein tragisches, kein melodramatisches, kein happy end. Lu gelingt es, irgendwo in der Mitte zu schweben.
Einen Film hätte ich anders strukturiert, hätte eine andere Dramaturgie benutzt, vielleicht auch ein anderes Ende. Da ich wusste, es wird eine Serie, hab‘ ich mir keinen Kopf gemacht, wofür das Ende jetzt stehen soll. Die Serie hört auf mit der Geburt, das kann man sagen, ohne viel zu verraten. Und eine Geburt ist ja nichts anderes als ein Anfang. Da wird ein neues Kapitel aufgemacht: Lus Leben mit Kind. Das reicht als Cliffhanger, fand ich.
Lu von Loser, Buch, Regie, Hauptrolle: Alice Gruia, mit Jonas Baeck, Stephanie Kämmer und Martina Eitner-Acheampong, acht Folgen, zu sehen am 10. Mai im ZDF oder in der ZDF-Mediathek