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Was ist klassische Stand-up-Comedy? „Spaßmacher steht vor einem Live-Publikum und improvisiert einen Scherz nach dem anderen“so hat das vor kurzem der Journalist Peter Huth von der Welt definiert. Zugegeben: Das ist zwar der Effekt, den Stand-up-Comedians erzielen wollen, aber natürlich ist es nicht wirklich so. Man muss das nicht wissen, kann trotzdem an Comedy seinen Spaß haben. Aber was man dann nicht machen sollte, ist, einen Tausende Zeilen langen Artikel schreiben über das Wesen und die Essenz von Humor, Satire Comedy, Leben, Universum und dem ganzen Rest.

Im Laufe der Zeit habe ich einige Artikel gelesen, die in deutschen Medien über irgendwas mit Humor, Satire und Comedy geschrieben werden. Mich viel darüber geärgert, den Kopf geschüttelt, selber oft darüber geschrieben. Diese Art Artikel liegt fertig in den Schubladen in den Köpfen der Feuilletonisten und, egal was passiert, sie passen ja meistens auch. Satire darf alles. Satire darf nicht alles. Trump ist gut für Comedy. Trump ist schlecht für Comedy. Comedians sind Helden. Comedians haben immer einen psychischen Knacks. Humor ist Medzin. Humor ist keine Medizin. Das ist so oberflächlich wie erwartbar, jedes Land bekommt nicht nur die Comedy, sondern auch die Comedy-Reflexion, die es verdient.

Also alles schon gesehen? Jawohl, aber noch nicht wie im Fall des besagten Artikels von Peter Huth. Ein dermaßen virtuoses und spektakuläres Verquirlen von abgedroschenen Humortopoi und ihr großformatiges Auswalzen auf drei großformatige Zeitungsseiten habe ich noch nicht erlebt. An der Stelle mit der merkwürdigen Definition von Stand-up-Comedy hätte man aufhören können zu lesen – aber da war man ja schon viele hundert Zeilen im Artikel drin. Ich denke mir als eine der Comedy zugeneigte Person: Na bringen wir es halt hinter uns.

Dieser Artikel gehört zur Reihe Noten zur Comedy, in der wir alle zwei Wochen einen Blick auf ein virulentes Thema rund um Comedy werfen. Ihr könnt die Noten auch als Newsletter abonnieren, dann kommen sie direkt (mit aktueller Presseschau und besonderem Comedytipp) ins Postfach.

Wie kam das eigentlich, dass Menschen über Comedy schreiben, die ganz offensichtlich an zeitgenössischer Comedy kein Interesse haben? Der Artikel ist mit einigen Cartoons aus der Reihe Nicht lustig von Joscha Sauer bebildert, eines davon sogar seitengroß. Über Sauers Werk habe ich auch schon sehr gelacht – damals, Anfang der 2000er, als ich die Strips als Jugendlicher mal im Internet entdeckt habe. „Jeder, der meint, das Zeug zum Komiker zu haben, startet einen TikTok-Kanal“, schreibt Huth, der keinen dieser offenbar in großer Zahl existierenden TikTok-Kanäle anführen kann oder mag, dafür aber Witze aus Witzebüchern oder dem Karneval. Wer über Komik im Jahr 2024 schreiben will, sollte Komik aus dem Jahr 2024 kennen.

Und als man denkt, es wird nicht mehr gestriger, googelt sich Huth Coronawitze herbei, die er auch nicht für sehr gut hält, die aber, so glaubt er, auf der Bühne oder „in einem TV-Format“ dagegen „ein Knaller“ wären. Zum Glück ist uns Huth als Programmverantwortlicher bei einem TV-Sender erspart geblieben, möchte man sagen, aber das ist ja auch gar nicht wahr, denn dann wäre uns zumindest dieser Artikel erspart geblieben. Was soll’s, am Boom der Comedy in Deutschland könnte beides nichts ändern. Dass der real ist, erfährt Huth nicht durch Sichtung von TV- oder Streamingprogrammen oder durch Nachfrage bei Fernsehsendern, sondern durch einen alten journalistischen Trick: „Wer bei Google ‚deutsche Comedy‘ eingibt, erhält 25 Millionen Einträge. Comedy boomt.“

Ich sage ja: Wer bei Google „deutscher Cringe“ eingibt, bekommt sogar über 37 Millionen Einträge. Und „Durchfall“ erzielt gar 42 Millionen. Man muss sich den Autor als sehr überzeugten und glücklichen Menschen vorstellen, der sich als ehemaliger Chefredakteur der Welt am Sonntag genug Verdienste erworben hat, um nicht mehr in der Genuss eines Redigats kommen zu müssen.

Möglicherweise wäre dann aufgefallen, dass die These, die der Text hat, erst nach etwa 1000 Zeitungszeilen angekündigt und dann nach nur weiteren 400 Zeilen auch schon formuliert wird. Vorher muss ja noch erklärt werden, warum nicht von „rechtem Kabarett“ gesprochen wird, denn es gehe ja nicht um Rechtsradikalität (?), und rechtsradikal ist ja nicht mal Lisa Eckhart (??), deren „schlamperte Sexyness“ (???) in Kombination mit Klartext aussprechen (????) das männliche Publikum (!) gleich doppelt errege. Wait – what?

Die These lautet dann übrigens: Humor ist in Deutschland vor allem nur noch zur Standortbestimmung da. „Sag‘ mir, über wen du lachst, und ich sag‘ dir, wo du stehst. Sag‘ mir, wo du stehst, und ich sag‘ dir, worüber du lachst“, schreibt Huth. Und das ist ja nun wirklich einfach Quatsch. Möglicherweise ist es mein naiver Glaube an das Gute, aber so viel Selbstachtung haben Menschen dann ja wohl doch, dass sie nicht jeden Witz von Nuhr oder Böhmermann gut finden, allein weil sie politisch mit denen auf einer Wellenlänge liegen. Wer hat noch nie über einen problematischen Witz gelacht? Im besten Wissen und Gewissen? Aber das Lachen war schneller. Das ist ja die Krux mit diesem verflixten Humor. Lachen beglaubigt alles und nichts.

Nach 1600 Zeilen – ich wundere mich allmählich „hm, noch gar kein Zitat von Tucholsky“ – kommt dann ein Zitat von Tucholsky, der mal davon geschrieben hat, dass Satire Wahrheit aufbläst. Huth macht daraus „aufblasen muss“, um diese schamlos Tucholsky untergeschobene Agenda dann relativieren zu können. Wie sollen wir schon noch erkennen, was Wahrheit ist? „Richtig: Es geht nicht mehr“, schreibt Huth. Und wir freuen uns mit ihm, dass er das mit der Wahrheitsfindung nicht auch noch beruflich machen muss.

Wahrheit? Keinen blassen Schimmer. Aber was Ideologie ist, da schlägt der Detektor zielsicher aus. Aktivisten sollten nie Satire machen, denn sie seien eben immer ihrer Ideologie verpflichtet. „Und der Ideologe ist immer unlustig“, weiß nicht Tucholsky, sondern Huth.

Tucholsky dagegen klingt zum Beispiel so: „Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist.“ Er benutzt dabei ein wichtiges Wort, und es spricht Bände, dass Idealismus in den Augen von Huth offenbar nur Ideologie sein kann. Offen bleibt dabei, wie Satire ohne „Ideologie“ eigentlich aussehen soll. Wenn Satire doch Kritik an irgendwelchen Verhältnissen ist? Ist ihr dann nicht implizit eine Abneigung gegen besagte Verhältnisse eingeschrieben? Wie soll man Satire machen, wie soll man irgendetwas kritisieren – ohne eine Idealvorstellung im Kopf? Woher wissen Menschen, warum sie etwas kritisieren? Was erscheint denn in dem verdammten Spiegel, den die Satiriker der Gesellschaft ständig vorhalten?

Das ist die nächste Krux in der an Kruces(?) reichen Auseinandersetzung mit allem Komischen, Satirischem, Humorigem: Ohne eine Vorstellung davon, wie die Dinge eben auch aussehen könnten, gibt es kein Verzweifeln an den Dingen, wie sie sind, das dann überhaupt erst zur Triebfeder der Komik werden könnte. (Ob dann daran noch eine Haltung andockt, ein politisches Projekt, ein Aktivismus, ist nicht mehr Sache der Comedy.)

Wer der Comedy untersagt, idealistisch zu sein, verbietet ihr, die Welt mit anderen Augen zu sehen, zu träumen, kreativ zu sein. Comedy soll sich nicht hinausdenken über den Status quo – denn der ist das einzig Verlässliche in einer Zeit, in der nicht einmal mehr klar ist, was Wahrheit ist. Was für ein trostloser Gedanke. Und obendrein höchst ideologisch.

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