Heute startet Jokes mit Till Reiners. Der Podcast wurde von der Produktionsfirma Turbokultur (u. a. Heroes im ZDF) gemeinsam mit Spotify produziert und will Hörer:innen laut dem Streamingdienst „einen Blick hinter die Kulissen der deutschsprachigen Comedyszene“ bieten. Im Interview spricht Till über das Konzept, über Comedians als Podcast-Gäste und die Evolution von Comedy in Deutschland.
Setup/Punchline: Till, in Jokes unterhältst du dich in jeder Folge mit Stand-up-Comedians wie Tahnee oder generell Menschen aus der Unterhaltungsindustrie wie Christian Ulmen. Grade in der Comedy gibt es schon unzählige Laberpodcasts. Wie wollt ihr euch abheben?
Till Reiners: Das Konzept ist ähnlich: Zwei Kollegen unterhalten sich auf Augenhöhe. Aber wir haben auch überlegt: Lasst uns doch mal nicht nur reden, sondern das Ganze auch ein wenig formatieren. Also in eine Bahn bringen mit wiederkehrenden Rubriken. Es gibt eine Rubrik, in der es um das Handwerk und die Geschichte hinter einem Bit geht. In einer anderen geht es darum: Wie wirst du in der Öffentlichkeit wahrgenommen? Und gibt es ein paar falsche Behauptungen, die kursieren und die du vielleicht korrigieren möchtest? Es ergibt eine ganz gute Tiefe, wenn man das Gespräch ein wenig vorstrukturiert.
Es soll auch darum gehen, welche Sicht auf die Welt die Comedians haben, weil sich daraus ihre Comedy speist. Also, was ist deine?
Ich rede auf der Bühne zum Beispiel über einen Typen, der in der U-Bahn Crystal Meth raucht. Und dann rede ich über einen Kalenderspruch, der mir mal untergekommen ist: Sei frech, verrückt und frei. Das passt überhaupt nicht zusammen. Aber gleichzeitig passt es natürlich wunderbar zusammen. Sowas mag ich gerne. Generell Abgründiges. Die eigenen Selbstwidersprüche auszuleuchten oder die Momente, in denen die Welt brutal ist und Gegensätze auftauchen – und sich darüber lustig zu machen, finde ich sehr spannend.
Comedians sind generell in Interviewpodcasts gern gesehen Gäste. Was macht sie als Gesprächspartner:innen so interessant?
Rein küchenpsychologisch gesprochen: Ich glaube, bei Comedians gibt es häufig etwas, das kaputt gegangen ist im Leben. Und das versuchen sie dann mit Humor zu kompensieren. Es sind Leute, die sich dem Leben ausliefern und eine ungewöhnliche Perspektive darauf haben. Über diese Quelle zu reden, ist spannend. Und dann kommt noch dazu, dass sie im Gespräch mal nicht unter dem Zwang stehen, lustig sein zu müssen. Einfach mal eine Geschichte zu erzählen, ganz ohne Witzzwang, das fördert überraschende Sachen zutage.
In der Pilotfolge kündigst du die Rubrik über den handwerklichen Aspekt von Jokes mit einem Warnhinweis an: Ihr wolltet das „so unnerdig wie möglich“ machen. Warum eigentlich? Gerade Stand-up zieht ja Nerds an.
Ich will schon über Nerdthemen reden und möglichst in die Tiefe gehen. Aber nicht so, dass es Leute ausschließt. Ich will nicht nur die Nerds abholen, sondern es wäre doch schön, wenn der Podcast erst die Nerds macht, also es nach dem Hören mehr Nerds gibt als vorher. Da achten wir auch sehr auf die Sprache und erklären die Fachbegriffe, damit alle mitkommen.
Der aktuelle Stand-up-Boom wird auch begleitet von einer Nerdbewegung. Du hast früher Kabarett und Poetry Slam gemacht, heute Stand-up. Wo verortest du dich in diesem riesigen Feld?
Auch wenn ich ja schon ziemlich lange auf der Bühne stehe: Ich würde mich schon in dieser neuen Welle von Comedians einordnen. Ich hab irgendwann angefangen, mich verstärkt mit Stand-up zu beschäftigen. Richtig viel Stand-up schaue ich nicht, weil mir das immer zeigt, was ich selber nicht mehr machen kann. Ab und zu mal ein Special, das ist gut, um sich selber zum Schreiben zu motivieren. Aber wenn es eine Überdosis wird, dann läuft man auch Gefahr, Comedians zu imitieren. Und das kann auch ganz unbewusst passieren.
Wie kam es bei dir zu diesem Umschwung auf Stand-up?
Ich wusste: Kabarett oder Poetry Slam sind es noch nicht so ganz. Und am Kabarett zum Beispiel hat mich diese Ansprachehaltung gestört. Alles ist so ein bisschen dozentenhaft. Und mir war auch klar, dass ich es anders kann. Vor ungefähr zwei Jahren habe ich dann angefangen, Material bei Open Mics in Berlin zu testen. Ich stand ja vorher schon lange auf Bühnen, das war ein gewisser Startvorteil. Aber ich hatte trotzdem das Gefühl, neu anzufangen. Meine erste Show war bei Chips und Kaviar, das damals noch nicht so hieß. Die ersten zehn bis 20 Auftritte waren die nervösesten, die ich bis dahin hatte. Sehr wacklige Gehversuche waren. Aber man wächst daran und wird, ich sage mal, kugelsicherer.
Gibt es jemanden, den du dir unbedingt als Gast im Podcast wünschen würdest?
Wir haben natürlich schon tolle Leute. Aber es gibt auch noch einige aus der alten Garde, die ich sehr interessant finde. Harald Schmidt zum Beispiel, Stefan Raab, Anke Engelke oder Hape Kerkeling. Man muss nicht persönlich alles geil finden, was die gemacht haben, wie übrigens auch bei den heutigen Comedians nicht. Aber man muss irgendetwas an der Person spannend finden. Zu Stefan Raab fallen mir sofort tausend Fragen ein.
Was unterscheidet Stand-up heute von dem, was in den 1990ern als Stand-up bekannt war?
Es gibt heute mehr Witze, die mit einer Mechanik funktionieren. Comedians stellen ihre ureigenen Gedanken aus und Ideen, denen sie nachgehen. In den 90ern gab es noch viel Ausprobieren und so eine Art Knopfdruck-Humor. Es gab lustige Wörter. Ficken, Jacqueline, Dennis, und das war dann die Pointe. Das ist jetzt alles sehr überspitzt gesagt, es gab ja auch viel Gutes in den 90ern. Aber der Wiederentdeckungswert hat eine große Rolle gespielt, es ging weniger darum, überraschende oder eigene Perspektiven aufzuzeigen.
Hast du einen Witz, auf den du stolz bist? Also darauf, dass er so gebaut ist, wie er ist, und funktioniert?
Es gibt manche Sachen, klar. Man ist am stolzesten auf die Witze, die lange nicht ankommen, an die man als Comedian aber glaubt. Dann feilst du zehn Mal, 20 Mal, baust alles um und irgendwann klappt es und wird total gut.
Was, wenn das ein Irrglaube ist – und der beste Witz, den man vielleicht noch findet, ein ganz schlechter ist?
Bei einer Geschichte in meinem Set war das so, dass ich gemerkt habe: Ich weiß noch nicht so richtig, wohin ich eigentlich will. Ich habe das ein paar Mal frei vor Publikum ausprobiert und mich dabei ein wenig treiben lassen. Man kennt das zum Beispiel von normalen Gesprächen: Man sitzt mit Freunden am Tisch, erzählt eine Geschichte und merkt, dass man die Leute allmählich verliert. Und dann erzählt man einfach Quatsch, damit man sie wieder kriegt. Ein bisschen so ist die Arbeit an einem Bit. Man muss offen sein und auch bereit, die Richtung zu ändern. Etwas anderes ist es, einen festgelegten Gedanken unbedingt durchdrücken zu wollen, über den niemand lacht. Das kannst du vergessen.
In den USA gibt es Giganten wie Joe Rogan oder Marc Maron, denen Millionen Menschen zuhören. Glaubst du, Podcast ist in dieser Intensität auch in Deutschland möglich?
Die Deutschen sind immer besonders gründlich und auch kompetitiv. Man kann das ja häufig beobachten. Zum Beispiel beim Poetry Slam. Da ging es irgendwann damit los, dass das Publikum die Beiträge bewerten durfte. Und weil in Deutschland immer alles mega ernst genommen wird, wurde eine riesige Kultur daraus. Es wurde total wichtig, einen Poetry Slam zu gewinnen. Die Satire hat sich im Grunde wieder selbst aufgefressen. Ob Comedy in Podcasts so groß wird wie in den USA? Keine Ahnung. Aber der Trend, mit größter Ernsthaftigkeit an Lustigkeit herumzuschrauben und ihr auf den Grund zu gehen, der wird sich sicher noch verstärken.