Ein Porträt des Comedians als hässlicher Mann

Artwork des alternativen Covers von Running the Light von Sam Tallent (Design:
Artwork des alternativen Covers von Running the Light von Sam Tallent (Design:
Artwork des alternativen Covers von Running the Light von Sam Tallent (Zeichnung: Yung Richard Ingersoll)

Hinter jedem erfolgreichen Comedian in den USA stehen fünfzig, die niemand kennt. Sie treten nicht in New York oder Los Angeles auf, sondern in Städten mit Namen wie Boise, Spokane oder Tucumcari; nicht in Late-Night-Shows im landesweiten TV, sondern auf Kreuzfahrtschiffen, Jahrmärkten und Junggesellenabschieden. Gut und gerne 200 Tage im Jahr stehen sie auf der Bühne. Weil sie es so wollen, schon klar, aber auch weil sie müssen: damit es irgendwie reicht mit dem Geld.

Stand-up-Comedy ist nicht nur glanzvoll, lustig, bisweilen philsophisch. Stand-up ist auch ein finsteres Bergwerk. Und einer der finstersten Arbeiter darin dürfte Billy Ray Schafer sein. Er ist die Hauptfigur von Running the Light, dem wahrscheinlich ersten und bislang einzigen Roman aus der Welt der Stand-up-Comedy, der im Frühjahr 2020 erschienen ist.

Mit der Figur Schafer hat der Autor, der US-amerikanische Comedian Sam Tallent, dem Typus des road comic ein Denkmal gesetzt: Schafer ist ein abgehalfterter Künstler Anfang 50, der das dichte Netz an Comedyclubs in der Provinz bespielt, der aus dem Koffer lebt, manchmal ein Groupie abschleppt und sich ansonsten mit Alkohol, Zigaretten, Kokain und Fastfood kaputt macht.

Das war nicht immer so. Im ausgehenden Comedyboom der 1980er Jahre war Schafer ein vielversprechender Newcomer: Er trat in den Shows von Johnny Carson und David Letterman auf, zeichnete ein Special auf, hatte einen Autorenjob in Los Angeles. Dann der Absturz: Scheidung, vernachlässigte Kinder, Drogensumpf. In einer Mischung aus Kerouac und Bukowski, aber mit Humor, erzählt Tallent, wie Schafer während sieben Tagen road life mit sich hadert und als reuiger Sünder hofft, noch einmal neu anfangen zu können. Gelingt ihm das oder strapaziert er sein Glück? Darauf spielt auch der Titel an: “Running the light” ist Stand-up-Jargon dafür, die zugewiesene Spielzeit auf der Bühne zu überziehen. Wie ist es also mit Schafer? Ist er schon drüber?

Geschicktes Konzept, manchmal übertrieben

Buchcover von Running the Light von Sam Tallent
Tallent, Sam: Running the Light. Denver: Too Big to Fail Press 2020. 290 Seiten.

Zunächst einmal ist er ein Comedian, der zwischen all diesen Welten steht: Er hatte einmal fast alles, nun ist so gut wie nichts übrig. Schafer ist weder Teil des ersten noch des zweiten Comedybooms. Er gehört nie dazu.

Diese Verortung ist eine geschickte konzeptionelle Entscheidung: Auf der Charakterebene gestattet sie Tallent, Schafer als knurrigen Außenseiter darzustellen, ganz Leder, Schweiß, Instinkt und Gewalt, der am liebsten fern jeder Zivilisation mit den Schlangen unter freiem Himmel übernachten würde. Und auf einer abstrakteren Ebene wird Schafer zu einem Prisma, in dem sich Diskurse und Entwicklungen über Stand-up verdichten.

“[Nathan] said he was pleased to meet Billy Ray, that he’d heard his name on podcasts, and Billy Ray asked ‘What’s a podcast?’ and Nathan and Kevin laughed in deference and Billy Ray, unsure, acted like he was joking.”

Derartige Stellen sind köstlich, aber zu häufig auch übertrieben in ihrer Deutlichkeit. Insgesamt wirkt alles, trotz des Rauchs, Drecks und Bluts, doch sehr wie ein klinischer Versuchsaufbau. Die Figuren sind zu typenhaft, die Dialoge generisch. Als würden nicht Personen, sondern Konzepte, Ideen, Überzeugungen miteinander sprechen.

Stand-up-Comedian Sam Tallent
Autor Sam Tallent (Foto: privat)

Running the Light: Ein Roman über Gestrigkeit

Das genannte Aufeinandertreffen mit der nächsten Generation von Comedians ist ein guter inside joke für Comedians und Fans. Erzählerisch erfüllt es keinen Zweck, es entsteht aus keiner inneren Notwendigkeit der Geschichte heraus. Es verpufft als Bloßstellung der Gestrigkeit von Billy Ray, was nicht schlimm wäre, wäre es nicht einer von Dutzenden Belegen für die Gestrigkeit des Protagonisten in einem Roman über Gestrigkeit und das Hadern mit dieser Gestrigkeit durch eine wirklich äußerst gestrige Figur, die aus der Zeit gefallen ist (und obendrein ziemlich gestrig).

Etwas redundant werden auch Männlichkeitsmarker eingesetzt. Schafer ist mit einem antiquierten, heute als toxisch bezeichneten Ideal von Männlichkeit ausgestattet. Die Ausprägungen dieses Ideals sind natürlich bekannt. Tallent findet leider auch keine neuen Worte oder Bilder, in die er diese Männlichkeit kleiden könnte. Kann sein, dass das nicht anders geht: Wie soll man toxische Männlichkeit denn sonst darstellen? Kann aber auch sein, dass der Roman selbst etwas toxische Männlichkeit versprüht, die Grenzen sind nicht immer ganz klar. Auf jeden Fall triefen manche Stellen so vor verzweifelter Männlichkeit, dass es unfreiwillig komisch wird:

“Before he took a shower, he masturbated into the sink with the lights off so as not to see himself in the mirror.”

Wer ist schuld am verkorksten Comedianleben?

Es ist wie mit Stand-up: Freunde zum Lachen bringen macht keinen Comedian. Und eine Reihung von Anekdoten, Onelinern, Stand-up-Sets, Gedanken und Einsichten über das Wesen von Comedians macht noch keinen guten Roman. Da hilft es nicht, dass die Anekdoten geistreich, die Oneliner cool, die Sets eindrucksvoll intuitiv und die Gedanken über den Instinkt von Comedians interessant und präzise sind. Auf der Storyebene hinkt Running the Light hinterher. Wer aber genau die Anekdoten und Einsichten sucht, ist mit Running the Light bestens bedient.

Und die Diskurse und Entwicklungen in Stand-up zu sezieren, dafür gibt der Roman einiges her. Vor allem eine Frage, die selten gestellt wird, leuchtet in Running the Light über allem: Wer ist schuld an diesem verkorksten Comedianleben?

Ist das wirklich Billy Ray Schafer, der schlechte Entscheidungen traf, sein Privatleben und seine Karriere zerstört hat? Oder ist da mehr? Welche Rolle spielt in dem Ganzen die Maschinerie, die aufstrebende Künstler:innen einsaugt, ausquetscht, ausspuckt und am Wegesrand zurücklässt? Tallent beantwortet das nicht, aber dass die Frage immer mitschwingt, ist ein großes Verdienst.

“Of his many titles, more than husband, father, homeowner or sane, it was most important to Billy Ray that he be defined as a comedian, and a good comedian at that.”

Eine Antwort gefunden hat dagegen der Chicago Reader. In einem Artikel heißt es, optimistisch: “It’s for the best that Billy Ray represents a dying species.” Leider trifft es nicht zu: Running the Light ist nicht die Geschichte einer Anomalie, die keinen Platz im Räderwerk findet. Das Räderwerk hat diese Anomalie geschaffen, und mit ihm Hunderte mehr. Das System braucht sie. Hinter jedem erfolgreichen Comedian stehen fünfzig, die niemand kennt.

Wer weiß, vielleicht kokst er heute nicht mehr so viel, säuft auch nicht mehr so viel. Vielleicht sucht er nicht mehr andauernd Streit und Prügel, gut möglich, dass er keine homophoben Witze mehr macht. Aber ausgestorben ist dieser Typus nicht. Billy Ray Schafer is pretty much alive.