1982 schrieb Robert Gernhardt im Satiremagazin Titanic in der Rubrik Humorkritik:
„Wie funktioniert Komisches? Oder: Weshalb funktioniert es so häufig nicht? Bleibt die Gewissensfrage, warum ausgerechnet ich dieser Frage nachgehen muß. Bin ich auserwählt? Oder gestraft? Drängt es mich? Oder dräng ich mich auf? Es gibt doch so viele helle Köpfe in unserem Lande – sollte man da nicht annehmen, daß auch die Kritik des Komischen in besten Händen ist?“
Und wie lauten die Antworten? Die kann man sich selbst geben, wenn man die fast 600 Seiten von Was gibt’s denn da zu lachen? liest, eine Zusammenstellung von Humorkritiken und weiteren Beiträgen Gernhardts:
- Wie funktioniert Komisches? Schön, wenn man’s wüsste. Schnell weiter zur nächsten Frage.
- Weshalb funktioniert es so häufig nicht? Hier hat Gernhardt Fundamentales beizutragen. Dazu gleich mehr.
- Warum ausgerechnet Gernhardt? Nun: Er musste halt, weil die Kritik des Komischen leider eben nicht in besten Händen war.
Oder: Sie war es dann, weil Gernhardt die Aufgabe selbst übernahm. Ohne ihn wäre die komische Landschaft in Deutschland eine andere. Er lebte von 1937 bis 2006 und war als Maler, Autor, Zeichner, Dichter, Karikaturist und Redakteur bei der Satirezeitschrift pardon, aus dem die Neue Frankfurter Schule hervorging, aus der später die Titanic hervorging. Später schrieb er mit an den Filmen von Otto Waalkes. „Unser Woody Allen“, hat die taz Gernhardt einmal genannt. Was natürlich übertrieben ist. Gernhardt ist Gernhardt und das reicht ja wirklich schon.
Eine dreifache Kritik des Komischen
Und Gernhardt hat vorgemacht, wie man über Komik sprechen könnte – ohne die moralischen Fragen nach den Grenzen des Sagbaren. Was gibt’s denn da zu lachen? ist in drei Teile gegliedert, in eine Kritik der Komiker (also der Produzenten von Komischem), eine Kritik der Kritiker (also der Kritiker von Komik) und eine Kritik der Komik. Letzterer ist am schwergängigsten, wohl auch weil so eine „Feldtheorie der Komik“ nahezu unmöglich und theoretisch ist. Und Theorie hilft bei Komik wenig, wie er an anderer Stelle schreibt:
„Mag ja sein, dass Sigmund Freud den Schüttelreimen bescheinigte, daß ‚unser Wohlgefallen an ihnen das nämliche ist, an dem wir den Witz erkennen‘. Gut möglich, daß ‚Bergsons Theorie des Komischen besonders gut auf dies deutsche Produkt‘ paßt. Nur: Was nützen mir die schönsten Theorien zur Komik des Schüttelreims, wenn ich über so gut wie keinen Schüttelreim lachen kann? Je länger mir Komisches begegnet, desto abgetaner erscheint mir die Warum-lachen-wir-Frage, desto unabweislicher dagegen erhebt ihr Widerpart das Haupt, die sehr viel spannendere Frage: Warum lachen wir nicht?“
Lieber bleibt Gernhardt nah an den praktischen Werken, und das sehr breit gefächert: Er nimmt sich DDR-Komik vor, Monty Python, die Cartoons aus dem New Yorker, Filme von Gerhard Polt oder die traurigen Witzrubriken von Medien. Bescheuerte Witzchen sind ihm genauso wert, besprochen zu werden, wie die Kunst von Comiczeichner Robert Crumb. Er tut das ungemein kenntnisreich und hat immer Beispiele aus der Komikgeschichte parat. Auf die Klage, dass Satire in Deutschland früher besser war, reagiert er, indem er den Vorwurf über die Jahrhunderte zurückverfolgt.
„Offensichtlich gibt es überhaupt keine deutsche Satire, es hat sie immer nur gegeben. Kleiner Trost: Während es mit dieser nichtexistenten Satire wenigstens ständig bergab gegangen ist, hat sich ihre Kritik seit über einem halben Jahrhundert auf unverändert niedrigem Niveau gehalten. Große Bitte: Kritiker – laßt Euch doch endlich einmal einen neuen Dreh einfallen, ich kann Euer Ja-damals-Gejammer nicht mehr hören.“
Robert Gernhardt: präzise, klar, vorsichtig
Solche Gemeinplätze sind es, gegen die er sich richtet. Deutsche können keine Komik. Lachen ist die beste Medizin. Das Leichte ist das Schwerste. Das Lachen, das im Hals steckenbleibt, ist das beste Lachen. Man kennt diese Sätze, aber es sind Leerformeln, die die Auseinandersetzung mit Komik behindern. Und damit auch deren Anerkennung als vollwertige Kunstform. All dieser „Unfug, der sich flott liest“ habe kaum Ertrag, schreibt Gernhardt, führe allenfalls zu Urteilen wie „Ich fand’s nicht lustig“ oder „Ich fand’s lustig“ (Leerformeln gibt es auch in Gegenrichtung).
An die Stelle dieser schematischen und von Ahnungen geleiteten Behandlung versucht er, eine sprachlich präzise, am Werk konkret aufzeigbare Kritik zu setzen. Weil er dabei stets vorsichtig ist und sich lieber zurückhält, als Blödsinn zu kritisieren, vermeidet er Peinlichkeit, Besserwisserei oder Herablassung. Er verläuft sich nie auf der Suche nach irgendeinem vermeintlich pädagogischem Wert. Wozu auch? „Es gibt kein niveauvolles Lachen.“ Er genießt schlicht das lustbetonte Lachen, wo immer er es finden kann.
Zwei Einwände noch: DDR-Komik und Film aus den 1980ern? Erschließt sich, das wäre der erste Einwand, da die Kritik einem Leser von heute überhaupt noch? Sehr gut sogar. Gernhardt versteht bzw. verstand es, einem auch unbekannte Werke mit zwei, drei kurzen und treffend gewählten Infos näherzubringen.
Und den zweiten Einwand klaue ich von einer Amazon-Rezensentin: „Nach 400 Seiten spätestens beginnt das Thema ‚Humor‘ den Leser zu ermüden […].“ Aber höchstens den, für den Humor ein „Thema“ ist.