Identität ist kompliziert. Wer man ist, ist gar nicht so leicht zu beantworten, gerade wenn Erwartungen und Zuschreibungen von außen und innen dazukommen. Es ist ein Kunststück, dieses komplexe Gemenge so auf eine Formel zu bringen wie Comedian Khalid Bounouar, Sohn eines Marokkaners und einer Algerierin: “Ich weiß, ich bin kein Türke, aber ich will auch keiner mehr sein”, sagt er zu Beginn von Raus aus’m Zoo, der Stand-up-Show des Comedykollektivs Rebell Comedy.
Das Türkische hat unter migrantischen Kulturen in Deutschland den Status einer “Leitethnie”, wie unter anderem die Linguistin Helga Kotthoff das ausdrückt. (PDF) Es steht stellvertretend für alles Migrantische. Auf diese Tradition nimmt Bounouar Bezug. Aber er markiert am Anfang der Show, die Ende vergangenen Oktober in der Halle Tor 2 in Köln aufgezeichnet wurde, eben auch: Heute kann differenziert werden, Comedy und Gesellschaft haben sich weiterentwickelt. Comedian Hany Siam sagt später: “Vor euch steht gerade ein Dunkelhäutiger, in Deutschland geboren, ein Araber, der pro Homoehe ist, und ein Sohn von Muslimen, der in der Schule Hebräisch hatte. Alles gibt es auf der Welt!”
Diese Diversität wird aber nicht von allen freudig aufgenommen. Denn die deutsche Gesellschaft stellt allerhand Forderungen, Erwartungen und Gebote an Menschen aus Familien mit Einwanderungsgeschichte. Sie sperrt sie als Stellvertreter ihrer Art in einzelne Gehege im Zoo der Menschengruppen. “Ich bin Zoo-Marokkaner”, sagt Benaissa Lamroubal. “Ich repräsentiere etwas, das ich kaum kenne.”
Der Zoo bleibt das bestimmende Motiv der Show, die die sieben Köpfe (plus DJ) von Rebell Comedy mit etwa zehn Minuten langen Sets bestreiten. Mal dient der Zoo als Kulisse wie bei Ususmango, mal wird er zur Metapher der deutschen Gesellschaft schlechthin, wie bei Babak Ghassim. Und im gezeichneten Intro sieht man die Mitglieder in Gehegen schlafen, bis nachts der Ausbruch vorbereitet wird. Dabei schleift Lamroubal einen Bolzenschneider hinter sich her, der Funken schlägt. Was für ein schönes Bild: Das gemeinsame Stand-up-Special ist dieser Funke, der beim Kampf mit den Erwartungen entsteht.
Für das, was Rebell Comedy macht, hat die Mehrheitsgesellschaft in den 1990er Jahren den Ausdruck “Ethno-Comedy” erfunden. Comedians wie Kaya Yanar oder Bülent Ceylan brachten hypertypisierte Figuren auf die Bühne: den türkischen Fahrlehrer oder den freundlichen Inder. Das ließ einerseits Menschen solidarisch mit Migranten lachen, eröffnete aber auch die Möglichkeit des Auslachens. Die Frage, die immer mitschwang: Unterminiert “Ethno-Comedy” Stereotypen – oder verfestigt sie sie?
Wie sieht das bei Rebell Comedy aus? Das Kollektiv wurde 2007 von den Comedians Babak Ghassim und Ususmango (eigentlich Usama Elyas) gegründet, gerade weil es sich von der lauten Holzhammer-Comedy à la Ceylan und Yanar nicht angesprochen fühlte.
Natürlich werden auch in Raus aus’m Zoo Ausländerklischees bemüht. Bounouar bietet Masken und Marihuana zum Kauf an und berichtet von seinen Dutzenden Familienmitgliedern. Denn, wie Lamroubal später ausführt, “ganz ohne Klischees geht’s auch nicht”. Was stimmt, denn gerade weil alle mit Klischees vertraut sind, erlauben diese eine Beschleunigung in der Erzählung, die bei Comedy so wichtig ist: Witze leben davon, dass Referenzen schnell erkannt werden.
Auch Salim Samatou verwendet zahlreiche Klischees wie das des Rosenverkäufers, allerdings als Zitat: Die Klischees sind, teils auch nur mimisch, aber eindeutig als Klischees gerahmt. Allerdings bleibt, wenn fast nur noch zitiert wird, nur wenig Raum für eigenes, zumal wenn das Set nur zehn Minuten lang ist.
Die Falle der “Ethno-Comedy”
Generell leiden in den ersten beiden Dritteln der Show die Sets unter der zeitlichen Beschränkung. Alain Frei und Hany Siam reihen lustige Dinge, überdrehte Geschichten und amüsante Anekdoten aneinander, die sich nicht verbinden. Die Gedanken sind mal mehr, mal weniger orginell, aber die Präsentation hat außer Dynamik nicht viel zu bieten. Allenfalls erweckt ein kleiner Callback den Anschein von Struktur.
Teils ist es irritierend, etwa wenn Hany Siam erwähnt, dass er eigentlich selten über seine Herkunft spreche, da sie ihn seiner Meinung nach nicht definiere – und daraufhin zehn Minuten über seine Herkunft spricht. Diese spielt natürlich heute eigentlich keine Rolle mehr, wird aber minutenlang breitgetreten (und unter dem Label Rebell Comedy vermarktet).
“Ethno-Comedy” ist auch eine Falle, in die Comedians tappen können: wenn sie nur insofern als gut angesehen werden, wie sie es schaffen, ihre Biografie in Comedy zu verhandeln. Dann fallen Comedy und Lebenslauf in eins, Handwerk und die Fähigkeit, von der Biografie zu abstrahieren, werden abgesprochen. Einerseits werden gerade in Stand-up Lebensrealitäten verhandelt, andererseits befördert dieses Verhandeln auch die Festlegung. Einmal “Ethno-Comedian”, immer “Ethno-Comedian”.
Wie man die Falle geschickt umgeht, zeigt zum Beispiel Ususmango. Er erzählt von einem Einschlafspiel, das er mit seiner jüngsten Tochter spielt, als ungeduldiger Erwachsener aber sofort ummünzt in einen Wettbewerb. Ususmango gewinnt das Spiel mit dem ultimativen Zug: “Ich lieb’ dich so viel, wie es plötzlich wieder Rassisten in Deutschland gibt!”
Es spricht nicht mehr der “Ethno-Comedian”
Als Punchline entfaltet der Satz kaum Wirkung. Aber es ist bemerkenswert, wie der Comedian hier eine Erziehungserzählung mit Darstellungen der Kleingeistigkeit von Erwachsenen und kalter Realität verbindet. Ususmango kombiniert in diesem Bit verschiedene Aspekte und verdichtet sie auf drei Minuten Stand-up-Comedy. Er erzählt nicht nacheinander lustige Dinge, vielmehr treten diese Dinge in Wechselwirkung.
Anschließend führt er noch ein Bit auf, das davon handelt, wie er mit seinen beiden älteren Kindern in den Kölner Zoo geht. Anstatt den Ausflug zu genießen, lotst er die Kinder durch den Tag wie ein Befehlshaber und wird ärgerlich, weil sich ein Ballonverkäufer im Zoo so postiert hat, dass seine Kinder ihn zwangsläufig entdecken müssen. Das Geld für die überteuerten Ballons wirft Ususmango dem Verkäufer dann (in der Erzählung) mit einem “Hier, erstick’ dran!” entgegen. Und das ist dann ein sehr nuanciertes, weil ehrliches und ambivalentes, und damit eben auch sehr lustiges Porträt von Elternschaft.
Hier erzählt nicht ein “Ethno-Comedian” lustige Dinge auf der Bühne, hier erzählt Ususmango von Ususmango, von sich als Vater. Die Erzählung ordnet sich nicht dem Einwanderungshintergrund seiner Familie unter, sondern der Einwanderungshintergrund ordnet sich der Erzählung von Elternschaft und Erziehung unter. Deutlich wird das, wenn Ususmango seinen Kindern mit dem Hinweis “is haram” die Süßigkeiten verweigert. Die muslimische Ernährungsvorschrift ist nur mehr ein Trick, um sich Freiraum vor den Kindern zu bewahren.
Das Komische rückt ganz nah an den Humor
Solche Subtilität findet man auch bei Babak Ghassim, der die Show nicht mit Stand-up-Comedy, sondern mit einem Gedicht (“Herzlich willkommen im Zoo”) beschließt. Wie auch der Abspann schmerzlich bewusst macht, wo die Namen der beim rechtsextremen Terroranschlag in Hanau 2020 getöteten Menschen aufgeführt sind: Es gibt ein Residuum, das nicht in Comedy verhandelt werden kann.
Das Leben in diesem Zoo hat einen unerfreulichen Nebeneffekt, der nicht einfach wegzulachen ist. Denn die Botschaften der vielen, vielen Schilder im Zoo, also die vielen Erwartungen, die an Menschen aus Familien mit Einwanderungsgeschichte herangetragen werden, werden irgendwann übernommen. Ghassim spricht von der “Last, sie brechen zu müssen”, “sich selbst beobachten müssen”, “sein eigener Wärter werden im Zoo”.
Auch der Comedian Bülent Ceylan hat früher gesellschaftliche Probleme adressiert, wie die Kommunikationswissenschaftlerin Patricia Carolina Saucedo Añez in ihrem Buch Die Doppelmoral des medialen ethnischen Humors schreibt. Bei Ceylan ging es meist um Rechtsextremisten, die als dumm, gewalttätig, alkoholkrank, sexuell frustriert und psychisch krank gezeichnet wurden. Der Rassismus wurde, so Saucedo Añez, als Randproblem der Gesellschaft gezeigt, eines, das normale Deutsche nicht betreffe. Solange man kein Springerstiefel tragender Nazi war, war alles gut.
Ghassim geht nun in seiner Analyse tiefer. Nicht nur der dämonisierte Rassismus ist ein Problem, auch das alles durchdringende Schubladendenken, das Einteilen in Gehege, die Überwachung der “Arten”, die Erwartungshaltungen und die Internalisierung dieser Mechanismen.
Und das gilt nicht nur für Menschen aus Familien mit Einwanderungsgeschichte. Es gilt auch für die Unterhaltungsindustrie, das mit dem Label “Ethno-Comedy” ja genauso ein Gehege angelegt hat, in das es das nicht der Norm gerechte abschiebt und mit Erwartungen überhäuft. Und es gilt für die Gesellschaft im Ganzen: Mit jedem Gehege, das sie anlegt, beschränkt sie sich selbst. Eine schöne Pointe von Rebell Comedy ist: Das Konzept des Zoos schaffen wir nicht von heute auf morgen ab. Aber bis es soweit ist, weisen wir, für die Dauer einer Comedyshow, auch der weißen Mehrheitsgesellschaft ihr eigenes Gehege zu.