Blackfacing ist eine teure Hypothek

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Investigativer Journalismus, das bedeutet heute: sich durch Millionen Dokumente wälzen, um zum Beispiel Steueroasen offenzulegen. Früher war das anders, da bestand diese Form aus skurrilen Spielereien: Der Journalist Günter Wallraff schleuste sich etwa bei der Bild-Zeitung ein oder spielte einen türkischen Gastarbeiter. Und 2009 malte er sich schwarz an und reiste für einen Film durch Deutschland. Um herauszufinden, wie das so ist mit dem Rassismus im Land.

Man muss sich deutlich vor Augen führen: Schwarze Menschen können es schwer haben, können sich beklagen – aber wer weiß, ob das wirklich stimmt? Da schicken wir doch lieber mal einen Weißen los! Das ist die Botschaft. Das ist die Hypothek des Blackfacing, wie diese Praxis genannt wird. (Oh, und damit haben wir noch nicht einmal über minstrel shows, deutsche Kolonialpolitik oder die Nazizeit gesprochen.)

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Was meint Hypothek? Seit Blackfacing existiert, wurde es nie eingesetzt, um Schwarzen Menschen besondere Ehre zu erweisen (wie auch immer das funktionieren sollte). Es wurde eingesetzt, um sie herabzuwürdigen, ob nun absichtlich oder nicht (siehe Wallraff). Dieser Anteil schwingt immer mit. Wenn wir einen Menschen weinen sehen, werden wir zunächst annehmen, dass etwas nicht stimmt – weil wir gewohnt sind, dass Weinen meistens eine Reaktion auf Schmerz ist. Wenn wir wissen, dass Tante Frieda seit 40 Jahren immer Eierlikör trinkt, wenn sie gestresst ist – dann werden wir, wenn wir sie mit einem Gläschen Eierlikör treffen, fragen: Oh, bist du etwa gestresst? Und bei Blackfacing, das nicht nur Gewohnheit ist, sondern Überlieferung und Tradition, soll das plötzlich anders sein?

Blackfacing: sicher Rassismus, vielleicht Satire

Gewohnheiten lassen sich nicht einfach wegdefinieren, wie jüngst wieder geschehen beim Bayerischen Rundfunk. Der Kabarettist Helmut Schleich betreibt in seiner Sendung SchleichFernsehen regelmäßig Blackfacing – er spielt dann einen heimlichen Sohn des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß. Nun fiel das auf, Menschen fanden das nicht gut, Medien berichteten. Und der BR teilte mit: Ist ja Satire, und die braucht Freiraum.

Satire sollte nicht alles, vor allem sollte sie nicht immer wieder mit traumwandlerischer Sicherheit verkennen, was sie sich aufhalst, wenn sie rassistisch agiert. Satire ist nicht entweder Satire oder Rassismus. Sie kann gut beides sein. Wenn sie Blackfacing nutzt, ist sie aber sicher schon einmal rassistisch. Zu klären wäre dann noch, ob sie treffende Satire ist. Satiriker sind wie Seiltänzer; Satiriker, die Blackfacing betreiben, sind wie Seiltänzer, die sich eine Eisenkugel ans Bein binden. Kann eigentlich nicht gutgehen, geht wahrscheinlich auch nicht gut, aber wir sind gespannt: Falls es doch gutgeht, wäre es der Wahnsinn.

Mir fallen extrem wenige Beispiele ein, wo es gelang, Rassismus mit Rassismus zu dekonstruieren. Dem Comedian Dave Chappelle ist es in der Chappelle’s Show Anfang der 2000er einige Male gelungen. Man muss sich wirklich extrem sicher sein, auf dem Drahtseil zu balancieren. Man muss sich in der Materie auskennen – was aber bei Helmut Schleich gar keine Rolle spielt, da es bei ihm ja schlicht nicht um Rassismus geht, sondern um Deutschland, um Bayern, um die CSU, um Corona. Schleich ist auch nicht dafür bekannt, sich besonders gegen Rassismus zu positionieren oder zu engagieren. Hier kommt also schon die zweite Eisenkugel.

Immer Satire gegen die woke bubble!

Auf Twitter schrieb jemand: Die Tatsache, dass alle empört aufheulen, zeige ja, dass Schleichs Satire die Richtigen getroffen habe. Ich führe diese Argumentation mal aus: Schleich macht also nach außen hin Satire über Strauß, Bayern, die Coronapolitik der Großen Koalition – aber in Wirklichkeit zielt er auf den woken Twittermob, der sich eh immer über alles empört? Mit Verlaub, aber: Hä?

Natürlich lässt sich jede rassistische Äußerung, sogar jede beliebige Beleidigung immer iiiirgendwie so rechtfertigen: „Hey, ich habe dich Arschloch genannt, aber in Wirklichkeit war das eine Satire auf die rigiden Moralvorstellungen der Gesellschaft.“ Glaubwürdig ist das nicht. Und außerdem: Haben Menschen Beleidigungen verdient, weil sie sich von einer Beleidigung oder von Rassismus triggern lassen? Was ist das denn für eine merkwürdige Auffassung?

Wahrscheinlicher ist hier doch, dass Helmut Schleich und seine Redaktion einfach unbedacht waren, das nicht weiter hinterfragt haben, weil man es eben ja früher auch schon so gemacht hat.

Aber die Reaktionen waren doch gemischt, wie der BR jüngst noch einmal schrieb! Manche fanden’s gut, manche schlecht! Also hat keiner recht, oder? Nun: Richtig und Falsch sind keine Mehrheitsentscheide, auch viele Menschen können sich irren. Auch zeugt diese Gewichtung von moralischer Flexibilität beim Sender. Rassismus ist nicht zu vermeiden, weil er Menschen beleidigt, er ist zu vermeiden, weil er Rassismus ist.

Sichtbarkeit bedeutet Macht

Na, dann schalt halt weg, wenn’s dir nicht gefällt! Auch das hört man oft. Das Problem: Schwarze Menschen können nicht einfach wegschalten. Vielleicht den Sender, aber in der Realität sind sie immer noch in einem strukturell rassistischen Land, wo die Zahl rassistischer Übergriffe steigt, wo sie anlasslos in Polizeikontrollen geraten, wo sie überproportional im Niedriglohnsektor vertreten sind, wo sie… diese akuten Probleme verharmlost, wer Schwarzen Menschen angesichts einer „doch nicht so gemeinten“ Satire sagt, sie sollten sich doch mal nicht so haben.

Es ist, heute (zurecht) schwieriger denn je, gute Komik zu machen, indem man rassistische Mittel einsetzt. Mehr Menschen machen sich Gedanken, mehr Menschen haben eine Stimme, mehr Menschen nehmen so etwas nicht mehr hin. Zu glauben, man könnte das mal so eben aus dem Ärmel schütteln, ist gewagt. Und gern würden wir uns überraschen lassen. Aber es geht verlässlich schief. Und anstatt sich stärker zu hinterfragen, weisen die Gatekeeper wie der BR die Verantwortung immer empfindlicher von sich. Es sind keine guten Aussichten.

Kabarettisten, Satiriker, Comedians suchen immer den neuen take, die neue Perspektive, die neue ungewohnte Herangehensweise für ihren Witz. Der Ausdruck „modern day philsophers“ wird in den USA gerne mal bemüht. Angesichts von solchen Fällen wie bei SchleichFernsehen muss man sich fragen: Ist das vielleicht zu hochgegriffen? Warum sollten diese Gruppen besonders intelligent und nuanciert sein? Wahrscheinlicher ist doch, dass sie genauso dumpfe, uninformierte Menschen sind wie wir alle und sich in einem System bewegen, dass die Dumpfheit des Status quo auch noch belohnt.

Eine Fernsehplattform bedeutet Sichtbarkeit bedeutet Macht, und Macht muss permanent kritisch geprüft werden. Das heißt nicht, dass man nichts mehr sagen darf. Es heißt nur: Eine Satiresendung muss anders behandelt werden als der gängige Wald-und-Wiesen-Tweet einer Privatperson.