Koffeinfreie Röstung.
“Der R-Wert der Witze ist im kritischen Bereich und ein Impfstoff ist nicht in Sicht. Fragen Sie Karl Lauterbach, der erklärt es ihnen nochmal.”
Das sagt Produzent Stefan Raab über seine neue Show Täglich frisch geröstet in einem PR-Interview. Und daran hätte man eigentlich schon erkennen können, wohin die Reise geht (Coronajokes, Signalwörter, faule Polit-Jokes und Wortwitze zum Schenkelklopfen). Aber aus irgendwelchen Gründen habe ich mir trotzdem die erste Folge angesehen. Und so ging eine Stunde meines Lebens dahin, die ich nicht mehr wiederbekomme.
Die Show übernimmt das Konzept des Roasts, also des liebevoll-beleidigenden Duells zwischen Comedians. Daher auch das “geröstet” im Namen – obwohl eine Wendung mit “grillen” im Deutschen ja passender wäre und obendrein in Deutschland positive Assoziationen wecken würde, just saying. Allerdings ist das ohnehin egal, denn die Macher vertrauen dem Roastkonzept eh nicht und kombinieren es mit dem Prinzip Late-Night-Show, ich vermute, weil man glaubt, dass man das Publikum so besser abholt. Naja, und weil die Macher dem Konzept immer noch nicht vertrauen, lädt man sich noch Promis wie Mario Basler ein. Kann ja nichts mehr schiefgehen? Doch, sehr wohl.
Allerdings nur, und das war mein Fehler, wenn man das Format nach Gesichtspunkten von Comedy rezipiert. Einen bedeutungslosen Kompromiss wie Täglich frisch geröstet schafft, wer in Reichweite und Zielgruppenansprache denkt. Das ist an sich ja nichts verwerfliches. Aber der Begriff “Comedy” verwässert dadurch zur Bedeutungslosigkeit. “Ich möchte beinahe behaupten, daß es schwerer ist, ein Lustspiel herzustellen, als ein Drama”, sagte mal der Regisseur Ernst Lubitsch vor mehr als 100 Jahren. “Die Abfassung [komischer] Texte erfordert eine ganz besondere Gewandtheit.” Kein markiger Spruch und kein noch so zauberhaft gezwirbeltes Freistoßtor können diese Gewandtheit ersetzen.
Bei Setup/Punchline
… geht es nun, als wär nichts gewesen, weiter mit dem Podcast. Traditionell ist zu Staffelbeginn wieder ein wunderlicher Österreicher zu Gast: David Stockenreitner. Sonst ist David mit seinem Stand-up-Solo Down unterwegs. Das pausiert gerade, aber in der aktuellen Episode könnt ihr euch ja zur Vorbereitung schon einmal mit dem Kärntner vertraut machen. Außerdem gibt es ein Interview mit dem Comedy- und Serienautor Stefan Stuckmann. Der gibt Einblick in die Film- und Fernseh- und Serienwelt und erklärt, warum hippe Produktionsfirmen unweigerlich irgendwann uncool werden. Das ist nämlich (nicht nur) Klischee, sondern lässt sich konkret belegen. Hier geht’s zum Interview. |
Comedy-News
- Mit The Creek and the Cave schließt dieses Jahr der zweite New Yorker Comedyclub. “[T]hey’re going to have to figure something out before this happens to other clubs”, schrieb die Besitzerin einem Journalisten von Vulture.
- Jan Böhmermanns neue Sendung ist gestartet, dasZDF Magazin Royale. Im Zentrum steht ein humoristisch aufbereitetes Faktenstück, in der ersten Sendung etwa Kritik an Verschwörungstheoretikern und Einkommensungleichheit. Die Süddeutsche Zeitung bemängelt, dass das zwar virulente Themen seien, aber ausgelutscht. (Was man Böhmermann schlecht vorwerfen kann, finde ich.) Im Spiegel ist man der Meinung, dass die Sendung “möglicherweise mehr Telegram-User bestärkt als vor den Kopf gestoßen” hat. Denn möglichst viele von denen, die auf der falschen Seite stehen, vor den Kopf zu stoßen, ist ja das Ziel aller Satire. Nicht wahr?
- Das indische Comedyportal DeadAnt listet Seven Big Mistakes Comedians Make (On Stage) When Starting Out auf.Die Lektüre lohnt sich für Comedians und kann bei Comedy-Interessierten die Stand-up-Wahrnehmung schärfen.
- Der Bayerische Kabarettpreis 2020 wurde vergeben, unter anderem in der “Senkrechtstarter”-Kategorie an die Stand-up-Comedienne Tahnee. Die füllt seit ein paar Jahren landauf, landab Hallen mit Tausenden Zuschauer:innen. Insofern wirkt das Label “Senkrechtstarterin” ein wenig merkwürdig. Der Preis für Tahnee steht stellvertretend für die Zerrissenheit des Kabaretts: Es weiß, dass es neue Entwicklungen anerkennen und einbeziehen muss, um relevant zu bleiben (und die vielen Fans einer Künstlerin wie Tahnee nimmt man gerne mit). Gleichzeitig tut es sich mit Umbrüchen schwer. Mit dem “Senkrechtstarter”-Preis gelingt der Spagat: Mit ihm kann sich das Kabarett selbst suggerieren, immer noch die Deutungshoheit darüber zu haben, was in Deutschland als wertvolle komische Kunst gelten kann.
- Einer meiner absoluten Lieblingsfilme als Kind wird 30: Home Alone (oder auf Deutsch: Kevin – Allein zu Haus). Der Guardian zeichnet die Geschichte des Überraschungserfolgs nach. (Jajaja, heute weiß ich auch, dass der Film einige kritikwürdige Botschaften enthält. Ich mag ihn halt trotzdem noch.)
- 31 Jahre sind es schon, seit Mr Bean die Leinwand betrat. Der britische Fernsehsender ITV plant zu dem Anlass eine neue Dokumentation.
Lese-Tipp: Stand-up in Russland
Aus dem Nordkaukasus erreichte mich eine liebe Mail von Jana George. Jana ist vor einigen Jahren in die Stadt Stawropol gezogen und macht Stand-up auf Russisch. Auch in Russland macht sich der Boom bemerkbar. Wie genau, schildert Jana in mehreren Artikeln auf ihrem Blog.
>>> Hier geht es zum Newsletter-Archiv.