Henning Wechsler kam in Leipzig und beim Studium in Weimar immer wieder in Stand-up-Comedy in Kontakt. Damals vor allem noch auf Englisch. Nach einem längeren USA-Aufenthalt traute er sich dann auch mal. Heute lebt er in Berlin, tritt regelmäßig als Comedian auf und veranstaltet die Show „Aufstand Comedy“ im Zosch in Mitte.
Setup-Punchline: Henning, was war dein Erweckungserlebnis für Stand-up?
Henning Wechsler: Ich weiß nicht, ob ich das so klar sagen kann. Am Anfang war das eher ein Gefühl: Das sagt mir mehr zu, das weniger. Später habe ich gelernt: Hier geht es ums Handwerk. Stand-up ist überhaupt zuerst Handwerk. Man muss sich sein Zeug erarbeiten und dafür muss man zwangsläufig auf die Bühne. Erst dort wird das lustig geschliffen, dort wird das rundgespielt. Es ist eine Ochsentour, die man mitmacht, bis lustiges Material entsteht und man viele Lacher drinnen hat.
Reicht es für Stand-up, ein lustiger Mensch zu sein?
Viele denken: Ich kann ja meine Freunde zum Lachen bringen, also auch Fremde. Dann steigt man auf die Bühne und es funktioniert am Anfang sogar noch. Weil man frisch ist und natürlich. Aber allmählich geht‘s mehr um die Themen. Und dann macht das einen Unterschied, ob man vor Fremden oder Freunden steht. Die Fremden können meistens nicht sofort andocken.
Wie schafft man das?
Wie kriege ich die Leute dazu, dass sie mich als Person erfassen, die einen bestimmten Blickwinkel hat? Da muss ich mein Material immer wieder bearbeiten. Das ist ein intuitiver Prozess. Ich werde es nicht beim ersten Mal schaffen, beim zehnten Mal auch nicht, aber irgendwann knackt es.
„Im Optimalfall ist die einzige Erlösung dann: ein Lachen“
Dass Stand-up ein Handwerk ist, hört man oft. Was heißt das?
Es gibt Techniken, die man beherrschen kann. Man kann die aus Büchern lernen, vor allem aus dem amerikanischen Bereich gibt es viele. Man lernt: Setup-Punchline ist die Grundstruktur eines Jokes. Oder man kuckt sich Videos an und betreibt reverse engineering. Warum lachen die Leute da an einer Stelle? Die Technik allein macht es natürlich nicht aus. Bücher sind für Grundgerüst und Theorie gut. Aber man muss sein Material auf der Bühne immer weiter schärfen.
Hast du ein Beispiel dafür, wie du Techniken anwendest?
Comedians verknüpfen oft zwei verschiedene Storys in einem Joke. Ich habe zum Beispiel einen, in dem es es drum geht, dass ich das DHL-Callcenter anrufe und mich rumquäle. Die Frage ist natürlich: Warum gebe ich mir das überhaupt? Ich könnte das Anliegen auch einfach ins Nichts sprechen oder in einen Raum voller fremder Menschen – also in die U-Bahn zum Beispiel. Jetzt bette ich die Callcenter-Story in die U-Bahn ein. Die beiden Storys müssen jetzt im Kopf des Zuschauers zusammengebracht werden. Natürlich passt es nicht zusammen. Im Optimalfall ist die einzige Erlösung dann: ein Lachen.
Ein wichtiges Stichwort dabei ist der self deprecating humour. Das heißt: Witze machen, indem man sich selbst herabsetzt. Wieso ist das lustig?
Man stellt sein persönliches Leiden in den Vordergrund. Daran emotional anzudocken, ist für ein Publikum dann gar nicht so schwer. Das ist ja auch ein gewisser Trost. Es gibt ja eine Menge Sachen, die einem das Leben entgegenwirft. Wir wissen alle nicht, wo der Hase langläuft, aber alle tun so.
Das muss aber ja nicht zwangsläufig lustig sein…
Natürlich nicht. Am Ende entscheidet das Publikum. Das passiert oft: Im Kopf des Comedians hat es Sinn gemacht, es war perfekt einstudiert – und dann lacht aber niemand. An der Bühnenarbeit kommt man nicht vorbei.
Was wenn ein Witz zwar super ist, aber dem Publikum zu hoch – dann werfe ich doch vielleicht voreilig gutes Material aus dem Set…
Das glaube ich nicht. Einzelpersonen im Publikum sind mal klüger, mal dümmer. So sind Menschen halt. Aber alle zusammen sind wahnsinnig schlau, wahnsinnig feinfühlig. Die merken es, wenn du nur abliest oder nicht im Moment bist. Die merken es, wenn du not to them but at them sprichst. Und dann nehmen sie dir das natürlich übel. Stell dir vor, du redest mit Freunden in der Bar bei einem Bierchen, komplett locker, alle konzentrieren sich aufeinander. Dieses Gefühl muss man beim Schreiben von Witzen emulieren. Und da kommt die Erfahrung ins Spiel. Am Anfang ist man frisch. Später orientiert man sich am Handwerk, liest vielleicht Bücher, wird verkopft und technisch. Und dann versucht man, mit dem ganzen anstudierten Know-How wieder zurück zur Frische zu kommen. Es ist ein wahnsinnig langer Prozess.
Die deutsche Szene wächst zwar, aber Stand-up tut sich hier immer noch sehr schwer. Warum ist das so?
Henning Wehn ist ein deutscher Comedian, der in Großbritannien sehr erfolgreich ist. In Deutschland kennt ihn kaum jemand. Danach gefragt, hat er gesagt: There is no such thing as self deprecating humour in Germany.
Daran liegt es?
Sicher nicht nur, aber es ist ein wichtiger Aspekt. In Deutschland habe ich oft den Eindruck, ein Publikum will sich unterhalten lassen, es hat ja auch bezahlt dafür. Wenn dann jemand auf die Bühne geht, verlangen die Leute: Jetzt sag‘ uns, was lustig ist und was nicht. Das ist ein merkwürdiger Spagat. Du hast doch unsere Aufmerksamkeit, du stehst über uns, denkt das Publikum. Warum erniedrigst du dich jetzt? Die Leute sind es eher gewöhnt, dass jemand abrotzt über alles, was kleiner und schwächer ist als er selbst. Jemand anderen fertig zu machen, liegt den Leuten näher, als das eigene Unzulängliche herauszustellen.
Und das eigene Unzulängliche herausstellen macht Stand-up cooler?
Das ist nicht cool, das ist urmenschlich! Da steht ein Mensch vor uns, der genauso verzweifelt ist und leidet. Nicht im dramatischen Sinne, sondern im kleinen Alltag. Diese ganzen Verheißungen: Sport, Yoga, die perfekte Familie – es ist ja alles nicht wahr. Der erlebt den gleichen Mist wie wir alle, und jeden Tag taucht neue Verzweiflung auf an den Dingen, die wir uns so gedacht haben in unseren kleinen Menschengehirnen. Aber man sollte, finde ich, als Comedian den Leuten auch ihre Träume und ihre Hoffnung nicht nehmen. Sonst ist es nicht mehr lustig.
Also gibt es Grenzen in der Comedy?
Man darf über alles Witze machen. Aber nur weil man‘s sagen darf, ist es noch lange nicht lustig. Da verlaufen sehr feine Linien, keine Mauern, man kann da nichts festlegen. Humor hat immer mit Gefühl zu tun.
„Mir ist der Stand-up-Ansatz sympathischer“
Ist das Gefühl wichtiger als witzig zu sein?
Schwer zu sagen. Aber eines geht eben nicht ohne das andere. Comedy kann leere Blödelei sein, aber mir ist der Stand-up-Ansatz sympathischer. Mir hat sich da eine Welt aufgetan: Man lernt sich selbst nochmal besser kennen, man denkt drüber nach, wie oder warum Menschen und Dinge funktionieren. Ich mag das, und ich will niemanden missionieren. Es ist sicherlich nicht so, dass es mit dem Begriff Stand-up neuerdings den Anspruch gibt, nun endlich echt geilen Humor über Deutschland rieseln zu lassen. Das ist es nicht.
Was ist es dann?
Es ist eine Nische, ein Genre. Eines, das nicht verkopft ist, sondern direkt in den Bauch geht. Und das ist auch nicht ausschließlich neu in Deutschland. Nimm‘ doch mal Loriot. Der hat ständig Figuren gespielt, die sich einbilden, sie können es – aber im Fünf-Sekunden-Takt scheitern sie. Dieter Krebs ist ein ähnlicher Charakter. Man merkt: Das sind Menschen, es steckt was dahinter. Aber es ist halt eine Geschmacksfrage. Gerade im Stand-up. Es ist wie in der Musik. Popmusik hat manchmal nicht die Tiefe, läuft aber überall. Das gibt‘s auch bei Stand-up-Comedy in Deutschland. Und dann gibt‘s Stand-up wie Soul. Mit Tiefe. Dafür nicht unbedingt massenkompatibel.
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