Harrison Greenbaum über Comedy und Zauberkunst

Im Podcast spricht der New Yorker Comedian und Zauberer Harrison Greenbaum über Fehlauffassungen, die bei Zauber:innen über Comedy kursieren, und wie man sie beheben könnte. Hier folgt ein gekürztes und verdichtetes Transkript der Episode.

Setup/Punchline: Heute reden wir über eine der merkwürdigsten Kunstformen, die es gibt, nämlich Zauberei. Zauberer und Comedians stehen beide vor einem Publikum und reden die meiste Zeit. Beide wollen Menschen unterhalten, indem sie sie täuschen. Die Frage ist: Warum scheitern Zauberer so oft daran, lustig zu sein? Ich freue mich, das mit dem heutigen Gast zu besprechen. Er ist ein Stand-up-Comedian aus New York. Vor Corona ist er jedes Jahr zwischen 600 und 700 Mal aufgetreten, er war bei Conan, er war bei America’s Got Talent. Und er ist Zauberer. Er hat zum Beispiel im Comedy Cellar in New York gezaubert oder in der Oper in Sydney. Herzlich willkommen, Harrison Greenbaum. Harrison, ich würde gerne mit dir über ein Problem sprechen, das ich seit einiger Zeit beobachte, nämlich dass sich Zauberer, die lustig sein wollen, einfach ein paar Witze zusammengoogeln, ein paar Sprichwörter einbauen, vor allem: Dinge auswendig aufsagen.

Harrison Greenbaum: Vielleicht ein paar Informationen zu meinem Werdegang: Ich hab gezaubert, seit ich ein Kind war. Irgendwann, am College, hat mich ein Freund gefragt, ob ich eine Stand-up-Show spielen kann. Das war das erste Mal, dass ich Stand-up ausprobiert habe. Und in dem Moment war ich gefangen. Ich habe gemerkt: Eigentlich habe ich bis dahin auch nur gezaubert, um Leute zum Lachen zu bringen. Dann bin ich wirklich sehr tief in die Welt von Stand-up eingetaucht. Ich war zum Beispiel Praktikant beim Mad Magazine. Ich habe auch Flyer verteilt, um dafür ein paar Minuten Bühnenzeit zu bekommen. Einmal, ich glaube in meinem ersten Sommer in New York, hat mich ein anderer Comedian dabei beobachtet, wie ich Schwammbälle in meine Tasche packe. Er hat gefragt, was ich da mache, und ich habe gesagt: Das ist nur etwas zur Sicherheit, falls die Jokes nicht zünden. Er hat gesagt: Wenn du etwas „zur Sicherheit“ brauchst, wirst du niemals lernen, lustig zu sein! Das war eine wichtige Erkenntnis für mich als Performer. Ich habe alles, was ich im Laufe der Zeit gelernt habe, in einen Kurs gepackt, der bald irgendwann auch als Buch herauskommt. Der Titel ist „You are all terrible“.

Es geht doch darum: Zauberer gehen ins Zaubergeschäft und kaufen einen Trick. Und oft ist dann ein Skript dabei, eine Anleitung, wie man ihn aufführt. Das ist ja im Grunde wie „Malen nach Zahlen“, aber das macht dich nicht zu einem Künstler. Kunst entsteht so nicht. Ich würde gerne Zauberer mehr an das Modell von Comedians gewöhnen: Du kaufst dein Material nicht! Du schreibst es selbst. Und in diesem Prozess erschaffst du deine eigene, einzigartige Stimme. Und die Idee kommt immer zuerst. Und dann erst machst du dir Gedanken über die Technik. Zauberer sind sehr bequem geworden, es ist normal, einfach Tricks zu kaufen und wiederzugeben. Und das verhindert, dass sie sich als Performer entwickeln und besser werden. Bei Comedy ist das anders, ich nenne das den geheimen Algorithmus von Comedy: Du gehst immer wieder auf die Bühne und das Publikum gibt dir die Daten, du passt deine Witze an, und wenn du das immer und immer wieder machst, wirst du auch als Comedian besser.

Ja, und Zauberer tun so etwas überhaupt nicht. Natürlich üben sie den Ablauf, wo muss diese Hand hin, wann greife ich in die Hosentasche und so weiter. Aber es passiert nicht in diesem Quasi-Dialog mit dem Publikum wie bei Comedians. Eigentlich spielt die Reaktion des Publikums überhaupt keine Rolle. Solange am Ende dann alle über den magischen Effekt staunen.

Ja, Zauberer haben ja immer noch ihre Schwammbälle in der Tasche, zur Sicherheit. Darum werden sie nicht lustiger.

Was für Leute kommen denn eigentlich zu einem Seminar mit dem Titel „You are all terrible“?

Ich habe sehr lange an dem Seminar gearbeitet. Im Grunde habe ich es ständig überarbeitet, wie mein eigenes Set als Comedian. Wenn man über Comedy in Zauberei redet, dann sollte man ja etwas zeigen können, was selbst unterhaltsam ist. Du musst ja zeigen, dass du weißt, wovon du redest. Drum glaube ich, die Leute, die dort hinkommen, sind einerseits welche, die gehört haben, dass der Kurs sehr unterhaltsam ist.

Ich habe manchmal den Eindruck, dass Zauberer Comedy wie ein Gimmick behandeln. Hier ist mein Trick, und jetzt will ich das Ganze halt auch noch möglichst lustig und unterhaltsam machen. Das machen die meisten, indem sie bestimmte Wörter einfügen. Zum Beispiel zeige ich dir einen Kartentrick, und dann erzähle ich halt eine lustige Geschichte dazu, Abrakadabra, das ist ja dann wieder ein Zaubertrick, und dann ist ein lustiger Trick entstanden. Was bringst du den Zauberern bei?

Der Kurs hat zwei Teile. Im ersten geht es um Kunst, und dass Zauberei meistens keine Kunst ist. Denn die meisten Zauberer sind Coverbands. Das Problem ist: Sie sind eine Beatles-Coverband. Aber wenn sie von der Bühne steigen, führen sie sich trotzdem auf, als wären sie John Lennon. Davon will ich sie abbringen. Ich will zeigen: Du brauchst zuerst einmal eine Idee. Es geht darum, was das Publikum sehen soll, was es fühlen soll. Ein Maler geht ja auch nicht ins Geschäft, kauft blaue Farbe und überlegt dann: Ah, ich könnte ja den Himmel malen. Nein, es ist umgekehrt: Er möchte den Himmel malen und überlegt dann, was er dazu an Material, an Farbe, an Pinsel, an Fähigkeiten braucht.

In der zweiten Hälfte geht es dann um Comedy. Ich gebe ihnen Werkzeuge an die Hand, wie sie ihr Writing verbessern. Ich erkläre ihnen, was die drei C von Comedy sind: contrast, compression, clarity (Kontrast, Kompression, Klarheit). Wenn ein Witz nicht zündet, liegt es meistens daran, dass es auf einem dieser Gebiete hapert. Oder dass du dich ständig fragst: Ist der Witz neu? Ist das wahrhaftig? Ist das etwas Persönliches, das nur du sagen kannst?

Unter Zauberern sind diese gekauften Jokes so verbreitet. Wenn du eine Show mit drei Zauberern siehst, wiederholen sich ziemlich sicher einige der Witze. Hast du einen Lieblingsjoke unter den schlechten Zaubererjokes?

Ich bin da sehr von Comedians geprägt. Wenn du einen Joke recyclest oder nimmst, den ein anderer geschrieben hat, dann werden Comedians ziemlich wütend werden. Es gibt diesen Verteidigungsmechanismus in Comedy. Bei Zauberei gibt es das nicht. Ein Joke beziehungsweise ein Trick, den ich ganz merkwürdig finde, ist der: Du verknotest zwei Tücher, eine Zuschauerin steckt sich das in ihr Oberteil. Und wenn die Tücher dann wieder rausgezogen werden, ist ein BH dazwischengeknotet. Zauberer machen diesen Trick seit Jahrzehnten und das muss aufhören! Entweder glaubt das Publikum, dass das nicht der BH der Frau ist. In dem Fall ist das sehr creepy. Oder es glaubt, dass es der BH der Frau ist. In dem Fall ist das Ganze einfach ein Verbrechen, per Definition. Wenn ein Trick entweder creepy oder ein Verbrechen ist, dann solltest du ihn nicht im Repertoire haben. Wenn du niemals selber Witze geschrieben hast, dann verwundert es natürlich eigentlich nicht, wenn du dann das machst, was du zum Beispiel mit 20 lustig gefunden hast.

Du hast gesagt, dass Kunst dazu da ist, eine bestimmte Idee auszudrücken. Ist das Problem mit Zauberei nicht auch, dass die Mittel, um eine Idee auszudrücken sehr sehr begrenzt sind? Weil man ja auch nur eine begrenzte Zahl an Effekten hat: Erscheinen, Verschwinden, Schweben und so weiter.

Ich glaube nicht, dass Zauberern weniger künstlerische Mittel zu Verfügung stehen als Comedians oder anderen Künstlern. In Comedy bist du ja auch begrenzt: Du musst lustig sein, es gibt nur diese und jene Jokestruktur und so weiter. Enge Beschränkungen sind das, was Kunst ausmacht. Malerei wirkt auch sehr begrenzt, aber man sagt auch nicht: Ein Maler malt immer noch auf Leinwand, das Gemälde wird an die Wand gehängt. Oder Ballett, auch da gibt es nur begrenzte Möglichkeiten. Und trotzdem kommt immer wieder jemand, der etwas Neues schafft, ein neues Stück, das anders ist, interessant und zeitgenössisch. Jede Kunstform muss ihr Vokabular begrenzen, ansonsten würde sie aufhören, eine Kunstform zu sein. Bei der Zauberei wirkt es nur so, als wäre die Kunstform so begrenzt, weil Zauberer ständig dieselben Tricks auf dieselbe Weise wiederholen. Aber auch da kommt es vor, dass neue Tricks entstehen, nimm zum Beispiel David Copperfield oder Siegfried und Roy.

Diese Überbetonung von Technik gegenüber Kreativität, ist das nicht auch ein Problem, das Comedians haben? Manchmal nehmen sie etwas in ihr Set auf, weil es lustig ist, aber das heißt noch nicht, dass eine künstlerische Idee dahintersteht.

Prämissen finden ist wirklich schwer. Das Schöne an Comedy ist aber genau das, diese fast archäologische Vorgehensweise, etwas nach und nach und mit viel Hilfe des Publikums freizulegen. Wenn man Dinge ausprobiert, ist es immer ein bisschen so, wie einen Schatz zu suchen. Ist das lustig? Wie findet ihr das?

Das ist eine Analogie, die ich schon öfter gehört habe: Jokewriting ist wie Archäologie. Das Skelett ist da, du musst es nur freilegen. Ist das überhaupt eine Kunst, wenn man etwas freilegt, was ja schon da ist?

Seinfeld hat zum Beispiel ein großartiges Bit über Socken. Das Skelett in diesem Fall wäre: seine Socken zu verlieren. Warum gehen die immer verloren? Die Kunst besteht in diesem Fall darin, überhaupt zu erkennen, dass das ein Skelett ist für einen Witz. Comedy bedeutet, Dinge freizulegen, und erstmal gar nicht zu wissen, handelt es sich um einen Schatz oder ist es einfach Müll. Und dann liegt die Kunst darin, diesen gefundenen Schatz über eine Zeit hinweg zu polieren und besser zu machen. Es ist noch eine Riesenarbeit, aus einer Beobachtung wie „Socken gehen verloren“ ein Bit für die Bühne zu machen.

Ist es dir schon passiert, dass dich das Publikum mit seinem Feedback auch auf eine falsche Fährte geführt hat?

Das Publikum kann dich nicht auf eine falsche Fährte führen. Ein einzelnes Publikum kann sich irren. Aber über eine längere Zeit, zusammengenommen, wird die Weisheit der vielen immer größer sein als die von einer einzelnen Person. Das Ziel ist, das Feedback des Publikums einfließen zu lassen. Wenn du überzeugt bist, dass du es besser weißt, dann bricht dieser ganze Zyklus auseinander. Es gibt Comedians, die in ihrer Nische bleiben. Zum Beispiel wenn ein sehr hipsteriger Comedian aus Brooklyn nach Manhattan kommt, wo etwa auch mehr Touristen in die Shows kommen. Wenn dann deine Jokes nicht mehr funktionieren, hast du die Wahl: Du bleibst in deiner Nische, oder du passt dich an, damit dein Material auch für ein anderes Publikum funktioniert.

Deine Botschaft an Zauberer ist also: Ihr könnt euch an Comedians orientieren, wenn ihr lustig sein wollt. Können umgekehrt auch Comedians irgendetwas von Zauberern lernen?

In den USA ist es zum Beispiel so, dass Zauberer besser bezahlt werden. Wenn sie auch nicht so gut darin sind, Kunst zu machen, sie sind sehr gut in allem, was das Business angeht. Comedy dagegen ist an einem Punkt angelangt, wo sehr viel einfach umsonst gemacht wird. Es führt nirgendwo hin, wenn sich immer jemand findet, der einen Auftritt für nochmal weniger Gage macht. Außerdem sind Zauberer sehr gut bei der Bühnenperformance. Wie bewegt man sich auf der Bühne, wie steht man, wie spricht man? Sie haben verstanden, dass Zauberei eine theatralische Kunst ist. Und das gilt auch für Stand-up, auch wenn sie manchmal in einem dunklen Keller, auf einer Minibühne mit schlechtem Mikro stattfindet. Comedians können sich hier definitiv etwas von Zauberern abschauen.

Also hast du Hoffnung, was Kreativität in der Zauberei angeht?

Zauberer wissen ganz genau, dass viele Leute sie nicht mögen. Sie wissen nur nicht genau warum. Viele sagen: Comedians mögen keine Zauberei. Doch! Sie lieben Zauberei! Aber sie hassen Zauberer. Sie sind nur genervt, weil sie 30 Jahre an ihrem eigenen Material arbeiten und ihre Sets schreiben, und dann sehen sie schon am zweiten Zauberer, den sie sehen, dass sich die Tricks und Jokes wiederholen. Sie fragen: Warum bewegen wir uns überhaupt auf demselben Gebiet? Ich glaube, Zauberer können sich auf demselben Gebiet bewegen, sie sollten es tun. Und dann werden auch viele Comedians gerne mit ihnen zusammenarbeiten oder sich die Bühne teilen.

Es braucht zehn Jahre, um als Comedian gut zu werden. Fünf Jahre, um die Grundlagen zu lernen. Und dann nochmal fünf Jahre, um all das auf sich selbst anzuwenden. Ich dachte am Anfang: Ich kann das sicher unterbieten. Wenn jemand 200 Shows im Jahr spielt – und ich spiele aber 600! – dann brauche ich nur ein Drittel der Zeit. Und das klappt natürlich nicht. Denn ein Teil ist zwar die Bühnenzeit, aber ein Teil ist eben auch, dass du dich als Mensch entwickelst und wächst. Und es gibt hier keine Abkürzungen. Wenn ich also höre, dass ein Zauberer sagt: Ich arbeite jetzt mal an einer Comedy-Routine, dann denk dran: Es dauert zehn Jahre, um rauszukriegen, wie das geht. Viele Zauberer nutzen Tanz in ihrem Aufführungen. David Copperfield zum Beispiel hat einen Choreographen. Und niemand bezeichnet sich als „Zauberer/Tänzer“.

Wenn Zauberer allerdings Comedy machen, geben sie sich immer als „Zauberer/Comedian“ aus. Ein bisschen mehr Respekt gegenüber Comedy wäre schon gut. Wenn du siehst: Alle Künstler auf einem Feld nutzen dieselbe Methode, dann ist das wahrscheinlich eine sehr gute Methode. Und wenn jemand etwas Ähnliches macht wie du, dann mach doch vielleicht etwas anderes. Man sollte sich immer darum bemühen, etwas zu schaffen, was niemand anderer kann.

Und was passiert dann? Wenn du deine Idee als Comedian auf der Bühne vermittelt hast, was wünschst du dir vom Publikum?

Natürlich ist das Hauptziel immer, alle zum Lachen zu bringen. Aber ein guter Joke sollte auch immer irgendwie eine Aussage haben. Sage ich etwas, dass dich die Welt in einem anderen Licht sehen lässt? Fühlst du dich wenigstens ein bisschen besser? Ein anderer Punkt übrigens noch: Ich nenne das die „Sushi-Methode“. Die ist auch ein guter Trenner zwischen Comedy und Zauberei. Ein Kollege von mir, auch Zauberer und Comedian, hat mir den Rat gegeben: 95 Prozent des Publikums sollten das, was du machst, lieben. Und fünf Prozent sollten es mies finden. Im Gegensatz zu: 100 Prozent des Publikums finden es ganz ok.

Das ist wie der Unterschied zwischen Sushi und Vanillepudding. Jeder findet Vanillepudding ganz ok, darum gibt’s den auch im Krankenhaus. Aber wenn du Sushi liebst, kann Sushi den Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Tag ausmachen. Und das ist doch, was Kunst ausmacht: einen Standpunkt haben, eine Meinung ausdrücken. Das heißt, es wird Leute geben, die dir nicht zustimmen werden. Mein Ziel ist immer, Sushi zu machen. Die 95:5-Regel scheint mir eine gute Regel zu sein, und Comedians sind ziemlich gut darin, ihr zu folgen.

Zauberer dagegen scheinen so sehr Angst zu haben, irgendjemanden auszuschließen, dass sie alle zu Vanillepudding werden. Manchmal scheint es mir, dass Zauberer immer Sicherheit anstreben. Manchmal muss man aber auch die unsichere künstlerische Wahl treffen. Was Zauberer von Comedians lernen können, ist auch, diese Risiken mal einzugehen und sich selbst zu exponieren. Und wenn dich mal Leute nicht mögen, ist das ok. Denn darum geht es bei Kunst. Es geht darum, Dinge kaputt zu machen. Geh ein Risiko ein, vielleicht klappt es nicht, nächstes Mal machst du es nicht mehr. Das ist der einzige Weg, als Künstler zu reifen.

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