Comedy-Presseschau vom 18.07.24

  • Nachdem es in München nicht geklappt hat, wollte der Verein Forum Humor und Komische Kunst am Starnberger See ein Museum der Komik aufziehen. Nun streitet man spektakulär mit der Gemeinde Bernried (Hintergründe bei der Süddeutschen). Mir scheint sich da Bernried tatsächlich nicht ganz fein zu verhalten. Aber die Hauptlektion, die am Ende steht, ist halt wieder einmal: Du kannst noch so viele Millionen irgendwo reinpumpen – wenn irgendwo bayerischer Filz im Spiel ist, kommt unterm Strich nichts heraus. Herzlichen Glückwunsch, mit 200 Euro Förderung an einen lokalen Open-Mic-Veranstalter wäre das kulturelle Leben Bernrieds mehr angekurbelt worden.
  • Michael Mittermeiers Lucky Punch Comedy Club läuft nun auch als Mixed-Show-Sendung im Bayerischen Rundfunk. (Agenturmeldung dazu, unter anderem hier) Gestutzt habe ich kurz beim Mittermeier-Zitat “München ist inzwischen auf Augenhöhe mit Hamburg, was die Stand-up-Comedy angeht.” Ein Vergleich mit Berlin läge auf der Hand, meintwegen auch mit Köln wegen der Bedeutung als Fernsehstadt, aber wieso Hamburg, von dem man in der Hinsicht seltener hört, so ins Gespräch bringen?
  • So läuft ein Besuch im Downstairs Comedy Club von Felix Lobrecht abnachzulesen ist das bei watson. Mein main take-away: Besser, man geht selber hin. 
  • Großer Artikel in der New York Times, wie Comedians mit dem Trend zur (oft unlustigen) Crowdwork umgehen. Zugrunde liegt der alte Streit: Was ist solide Stand-up, was nur Content für Social Media? Crowdwork hat den Vorteil, dass sie oft wie etwas aussieht, was sich Menschen auf der Suche nach Authentizität und Gemeinschaft zu finden erhoffen. Und gerade diese Suche befeuert den immer noch anhaltenden Comedyboom. Für manche Comedyfans spielt es gar nicht mehr die große Rolle, das beste Material zu hören, sie möchten Künstler:innen auf der Bühne (vermeintlich) kennenlernen und Teil von besonderen Erlebnissen sein. “I think a lot of comedians are very allergic to changes in the medium,” wird eine Comedienne zitiert. “And I get it. Especially the ones who have been honing their craft for three or four decades only to be upstaged by some people in their 20s who are TikTok famous.” Verschwinden wird der Trend aber vorerst nicht.

Stand-up-Comedienne Ana Lucia

BIT-EMPFEHLUNG: Ana Lucia: Wohnungssuche (2024)

Ab Minute 27:00 spricht Ana Lucia beim Lucky Punch Comedy Club über ihre viel zu häufigen Umzüge und WG-Wechsel. Mein liebster Moment ist der Blick bei 30:55, also streng genommen eine Redepause der Künstlerin. Negativ ist das aber nicht gemeint, denn der Blick funktioniert ja nur, weil er minutenlang vorbereitet wurde. Paradox auch der sich völlig random anschließende wütende Ausbruch: Der ist so bescheuert wie überflüssig und großartig.

  • Mehr Plattformen für Stand-up im Fernsehen bzw. wieder so viele wie früher: Anfang des kommenden Jahres gibt es auch wieder sechs neue Folgen der Pratersterne im ORF, die vor einiger Zeit mal drohten eingestellt zu werden.
  • Warum steigende Lebenshaltungskosten Auswirkungen auf Comedy haben, erklärt der Regisseur Dylan Emery am Beispiel des Edinburgher Fringe Festival. Wer weniger Geld in der Tasche habe, achte viel genauer darauf, was er sich ansieht. “That punishes the new and edgy and interesting and favours the already established brands or a big media pressence”, schreibt Emery. Es setzt sich eben nicht das Beste durch, sondern das Sicherste. Wer Kreativität fördern will, muss also Existenzsicherheit fördern.
  • Bei Vulture erklärt Jesse David Fox, was bei Katy Perrys Musikvideo zum Song Woman’s World schief gelaufen ist. “Just because something is satire doesn’t make it not suck”, schreibt er. Diesen Satz bitte als Poster in die writers’ rooms und Redaktionen der Republik hängen.
  • Jens-Christian Rabe rezensiert in der Süddeutschen Edins Neo Night, eine neue Late-Night-Show mit Schauspieler Edin Hasanović. Kafka-Fans werden ihre Freude haben am Einstieg, der eigentlich keiner weiterer Worte mehr bedarf: “Edins Neo Night gesehen. Getrauert.” Rabe macht dann aber doch noch ein paar Worte, glücklicherweise, unter anderem geht er auf den Unterschied zwischen Schauspielern und Stand-up-Comedians ein, was Bühnenpräsenz und Witzigkeit anbetrifft.
  • Ein britischer Comedyclub hat sich gewehrt, nachdem er als “second filthiest entertainment venue in the UK” ausgezeichnet worden ist, wie Chortle berichtet. Bitte etwas mehr Humor, ich persönlich habe ja an filth in entertainment venues eigentlich nichts auszusetzen.
  • Eine Passage aus dem Newsletter des New Yorker Comedians Matt Ruby, der auf Tour in Europa war und Überlegungen über die unterschiedliche Publika anstellt: In America, the typical audience member is a baseball cap bro eating chicken fingers. [In Europe], I’m doing crowdwork with philosophy grad students, nanotechnology engineers, and World Bank employees who all speak multiple languages. Last night in Leuven, I made references to Hegel and the Congo and the crowd totally got it.” Die Vorstellung eines Comedians, der ein Leben lang drauf wartet, in einem Set endlich seine Hegel-Anspielungen unterzubringen, hat mich doch amüsiert.

Hörtipp: Needs Work mit Myq Kaplan

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Die Berliner Comedienne und Stand-up-Lehrerin Caroline Clifford hat in ihrem Workshop-Podcast den US-amerikanischen late-night-show-gestählten Comedian Myq Kaplan zu Gast. Der gibt bereitwillig Auskunft über seinen Lernprozess. Hängen geblieben ist bei mir das Zitat einer Kollegin Kaplans über dessen Werk: “These are not jokes about words, these are jokes about a person obsessed with words.” Eine wichtige Unterscheidungshilfe. Hier geht’s zur Episode.

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