Tiktokker oder Instagrammer, die leidlich Stand-up machen, aber wegen ihrer Reichweite schnell durch alle Sendungen ziehen, sind ein Thema, das nicht nur die deutsche Szene umtreibt. Comedienne Janine vom Olivenbaum, seit sieben Jahren im Geschäft, beschreibt auf Twitter, dass sie regelmäßig Absagen von Comedyformaten erhalte, während dort aber Newcomer mit kaum Erfahrung zu sehen seien. „Das bringt einem doch auch künstlerisch nix wenn einem nach 1 Jahr schon das Gefühl gegeben wird man wäre richtig gut“, schreibt vom Olivenbaum und hat damit natürlich recht, allerdings geht es bei der Positionierung von Influencern als Comedians ja weniger um künstlerische Entwicklung als darum, die Risiken von Investments beherrschbar zu halten. Comedian David Grashoff nennt es die „Tiktokisierung der deutschen Comedy“, die uns vermutlich auch die kommenden Jahre begleiten wird.
Passend dazu der Eingangssatz dieser kleinen Besprechung des britischen Stand-up-Doku-Formats Backstage With Katherine Ryan im Guardian:„Is there anything connected to comedians that TV viewers wouldn’t watch these days?“
Das ZDF zeigt in den kommenden Wochen (und in der Mediathek) Auszüge des Comedy for Future Festivals.Hier steht mehr zum Programmplan.
Die US-amerikanische Comedienne Mo’Nique ist gegen Netflix vor Gericht gezogen, weil der Streamer die Verhandlungen um ein Special abgebrochen hatte, nachdem (schnauf) die Künstlerin das erste Angebot abgelehnt hatte. Klingt eigentlich nach konventioneller Verhandlungstaktik, trotzdem folgte der Richter aber in Teilen der Argumentation der Comedienne, wonach das eher als Bestrafung einer Schwarzen Frau aufzufassen sei. Nun haben sich die Parteien verglichen. Den Fall findet man prägnant zusammengefasst beim Hollywood Reporter.
Mitte der 90er lief in den USA die Zeit der hacky comedy des Booms des 80er Jahre aus, auch weil alternative comedians wie Garofalo die Bühne betraten. „I got mugged and they got my knapsack with my comedy notebook in it. So if anybody sees two cholos bombing at the Funny Bone chain, that would be them.“ Kann ich mich regelmäßig drüber beömmeln.
Ashley Davies gibt bei Chortlewertvolle Tipps: How to pitch to arts journalists at the Edinburgh Fringe – selbst wenn man mit dem Fringe-Festival nichts zu tun hat, lohnt es sich das umzusetzen. (Und manch Journalist wird es euch danken.)
Der afghanische Youtuber Ajmal Haqiqi ist von den Taliban festgenommen worden, weil er in einem Sketch Koranverse vorlas, wie die FAZ berichtet. (Vielleicht unfreiwillig komisch dabei: Haqiqis Video zeigen laut der Autorin unter anderem „die in der Comedy üblichen Pointen“. Ich bitte um Aufklärung, was das ist.)
Der Guardian porträtiert das US-Satireduo The Good Liars, die sich seit ein paar Jahren regelmäßig irgendwo einschleusen und Leute wie Donald Trump oder den Chef des Waffenverbands NRA bloßstellen. Weil sie das (schon aus Sicherheitsgründen) nicht aus einer auffälligen moralisch erhobenen Position tun, ist das ziemlich erfrischend.
Johannes Franzen schreibt bei 54 Booksüber „das Geschäftsmodell des mutigen Nonkonformisten, dern den uniformierten Zeitgeist herausfordert“. Er zieht eine Linie vom Krawallkolumnisten unserer Zeit bis zum Schriftsteller Botho Strauß – der Artikel könnte genauso gut aber von Faisal Kawusi oder Lisa Eckhart handeln. Mit einigen interessanten Gedanken, z. B dem, „dass ein Mangel an intellektueller Tiefe durch die Simulation einer stilistischen Tiefe ausgeglichen werden muss“. Zum Artikel
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Kann man Stand-up eigentlich auch im Sitzen machen? Kann man Stand-up eigentlich auch machen, ohne mit dem Mikroständer herumzuhantieren? Und was tun Comedians, wenn sie auf der Bühne Schluckauf bekommen? Es gibt hierauf Antworten (ja/vermutlich nicht/sie haben einfach niemals einen), ich komme trotzdem immer wieder auf diese Fragen zurück, weil die eben eine gewisse Faszination ausüben.
Eine andere Frage, die die Unterhaltungsbranche und Menschen in ihrer Umlaufbahn fasziniert, ist: Was macht eigentlich Harald Schmidt? Auch darauf gibt’s eine Antwort. Schmidt hat den NDR-Podcast Raus aus der Depression moderiert. Er lässt sich ab und an auf Bühnen interviewen. Und er ist ab Mitte Juli in Amazons One Mic Stand zu sehen, wo er einen Nachwuchscomedian coachen wird.
Künstlerisch ist das nicht direkt überbordend, aber die Medien kommen trotzdem immer gerne auf Schmidt zurück. Andererseits springt vielleicht auch eine Legende manchmal nur so hoch, wie sie muss. Möglich wär’s, dass es anders herum ist, und also Schmidt sich fragt, warum er sich anstrengen soll, wenn die Medien doch ohnehin ankommen. Geschenkt – eine Legende der deutschen Unterhaltung, darin ist man sich weitgehend einig, ist Schmidt auf jeden Fall. Diesen Status begründen Sendungen wie Schmidteinander und natürlich die Harald Schmidt Show, in einem Land, das Legenden nun eben auch nicht zum Schweinefüttern bereit hat und zum Starkult sowieso ein ambivalentes Verhältnis pflegt. Alles irgendwie verständlich also, das mit dem Medieninteresse.
Dieser Artikel gehört zur Reihe Noten zur Comedy, in der wir alle zwei Wochen einen Blick auf ein virulentes Thema rund um Comedy werfen. Ihr könnt die Noten auch als Newsletter abonnieren, dann kommen sie direkt (mit aktueller Presseschau und besonderem Comedytipp) ins Postfach.
Weniger verständlich, bisweilen irritierend, ist die Melange aus Ratlosigkeit, Eilfertigkeit und Ehrehrbietung (durch die Journalist:innen) und Herablassung (durch Schmidt), die in den Interviews regelmäßig zum Ausdruck kommt. Der Journalist Stefan Niggemeier hat es einmal so zusammengefasst: „[Schmidt] gewährt eine Audienz, die Fragesteller werfen ihm ein paar Brocken zu und hoffen, dass er Pointengold zurückwirft. Dafür nehmen sie es in Kauf, von ihm gedemütigt zu werden; vielleicht lieben sie ihn auch gerade dafür.“
Man konnte das zuletzt in der NZZ beobachten, im Sternoder im Spiegel. Beim PR-Portal oberoesterreich.atwurde Schmidt gefragt, ob Oberösterreich „eine besondere Wirtshauskultur“ habe, obwohl der Interviewer das doch selbst vermutlich besser wissen müsste. Auf die Frage „Ist Essen der Sex des Alters?“ antwortet Schmidt: „Bei mir ist es so: Ich kombiniere das. Ich esse beim Sex.“ Die Such nach dem Pointengold kann eben auch eine sehr angestrengte Tätigkeit sein.
Im jüngsten Beispiel, einem Gespräch mit der Berliner Zeitung, will der Fragensteller von Schmidt wissen: „Kommen Print-Journalisten auf Sie zu, weil Sie [sic] Orientierung brauchen in einer sich immer schneller verändernden Welt?“ (Das „Sie“ im Nebensatz ist tatsächlich groß geschrieben, der Satz hat aber nur mit kleingeschriebenem „sie“ Sinn.) Der Journalist fragt den Gesprächspartner also, warum dieser vom Journalisten interviewt wird. Selbst wenn man zugibt, dass ein Schmidt-Interview keine dankbare Aufgabe ist, ist das eine nachgerade Kapitulation.Aber egal. Man will halt schauen, „was jemand antwortet, der antworten kann, was er will“ (wieder Stefan Niggemeier).
Bei der Berliner Zeitung wechselt Schmidt zwischen den Metaebenen hin und her und sagt launige Dinge. Amüsiert sich über die Aufregung anlässlich eines älteren Interviews. Lästert über Berlin. Behauptet wieder einmal, dass er Jan Böhmermanns ZDF Magazin Royale gar nicht kenne. Auf den ersten Blick sind das eher substanzlose Dinge. Auf den zweiten Blick wird klar, dass sie qua Spielregeln des Schmidt-Interviews auch gar nicht wie Dinge von Substanz gemeint sind. Schmidt nennt sich ja selbst eine „Interview-Maschine“ und spricht davon, dass er „aktuelle Sprachmodule“ lernt und Formulierungen „zusammenbaut“.
Natürlich ist das eine Dekonstruktion des journalistischen Genres Interviews, das halt allzu oft talking points abhakt und sich damit zufrieden gibt, aktuell im Schwange befindliche Floskeln abzubilden. Den Rest gibt sich der Journalismus dann selbst, indem er, weil er funktioniert, wie er heutzutage funktioniert, munter weiter berichtet und weiterdreht. Schmidt lästert über Berlin, Schmidt mit Seitenhieb gegen Böhmermann, Schmidt trollt, Schmidt schießt „frechen Verbal-Pfeil“ ab (klatsch-tratsch.de)… quod erat demonstrandum.
Beeindruckend, wie geschwind Schmidt gedanklich ist. Und doch steigert es die Wucht solcher Streiche nicht unbedingt, wenn man sie über mehrere Jahre durchhält. Trotzdem gibt es Menschen, die das nicht ermüdend, sondern erfrischend finden. Er hat’s wieder einmal geschafft, las ich mehr als einmal auf Twitter, dass sich die Richtigen aufregen. Und genau darum geht’s ja! Wenn Schmidt schon durch sein Kokettieren auf keine Position festzulegen ist, weil er sich ad-hoc Sprachmodule zusammenbaut, so kann man ihm immer noch die Position andichten, Unruhe bei den woken Twitter-Brigaden™ auslösen zu wollen. Und das gilt ja in manchen Kreisen als ein sehr ehrenwertes Anliegen.
Schmidt kann natürlich machen, was er will oder was ihn glücklich macht. Und von wem man Applaus bekommt, kann ein Künstler nicht gänzlich kontrollieren. Aber wenn die eigene Arbeit am stärksten von Boomern bejubelt wird, deren Komikverständnis mit der Formel „owning the libs“ noch wohlwollend und vor allem erschöpfend beschrieben ist, kann das durchauch auch etwas bedeuten.
Da betreibt einer humoristisches Schattenboxen, mit abnehmender Leichtigkeit (Stichwort „Sex des Alters“). Da ist sich einer (Stichwort Berlin-Verachtung) immer öfter auch für die ausgelutschtesten Topoi nicht zu schade. Da kann man erleben, wie einer hack wird, der doch eine Legende war. Und zuzusehen, wie einer all das schafft, anstatt irgendwas Künstlerisches, das ihm die Leute ja ebenso aus der Hand fressen würden, löst bei mir ein bedrückendes Gefühl aus.
Mit seinen kleinen Provokationen und gezielt gestreuten Uneindeutigkeiten erinnert mich Schmidt manchmal an Comedians wie Faisal Kawusi oder Chris Tall. Und dass er so oft in allen Zeitungen, Magazinen und Onlinemedien auftaucht, hat er wiederum mit Comedians gemein, deren Äußerungen oder Leben gerne in „Leute“- oder Lifestyle-Spalten verwurstet werden. Hey, Pete Davidson hat geheiratet. Hey, Bülent Ceylan hat eine Feier im baden-württembergischen Landtag „aufgemischt“. Hey, Matze Knop tut sich schwer, Nationaltrainer Hansi Flick zu parodieren. („Der Hansi weiß immer, was er sagt. Da denkst du dir: Für ihn gut, für’n Parodisten blöd.“)
Hey, Harald Schmidt übernachtet lieber in Hannover als in Berlin. Es ist schon eine merkwürdige Reihe, in die ich ihn gestellt habe, und war das zwar mein Werk, so wäre sowas früher ja undenkbar gewesen. Der stets über allen schwebte, ist herabgetreten und vergleichbar geworden.
Der KO-Tropfen-Fall zeigt: Kawusi spart lieber den Witz aus als die Provokation. Das frisst Aufmerksamkeit, die bei den echten Künstlern besser aufgehoben wäre. Zum Beispiel Alex Stoldt aus Hamburg.
Comedy Dynamics, eine US-amerikanische Produktionsfirma für Stand-up und weitere Allotria, vertreibt nun auch Actionfiguren von Comedians. Laut The Laugh Buttongibt es bislang Miniaturen aus Plastik von Lenny Bruce, Joan Rivers und Bill Hicks.
„Das ist eine neue Art und Weise, das Vermächtnis von Lenny Bruce zu ehren, als einem der größten Pioniere, der stets dem treu blieb, an das er glaubte, als ein Freiheitskämpfer für das first amendment“, hängte die Tochter von Lenny Bruce das ziemlich hoch. Dem Anlass angemessener ließ sich die Tochter von Joan Rivers zitieren: „Der Ausdruck ‚Actionfigur‘ ist möglicherweise eine gewagte Beschreibung für eine Frau, für die es schon Anstrengung bedeutete, einen Martini zuzubereiten.“
Mir stellt sich da unmittelbar eine Frage und, nein, es ist nicht die, ob nicht die Plastifizierung und Vermarktung ehrwürdigster Verfassungsrechte auch ein wenig deren Abschaffung bedingen, zumindest aber befördern. Ebenso wenig interessiert mich, ob nicht ein politischer, von staatlicher Zensur gebeutelter Comedian wie Lenny Bruce derartigen Ausverkauf der Demokratie doch gerade aufgespießt hätte.
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Vielmehr ist es die: Wen würde man da eigentlich in Deutschland nehmen? Welche deutschen Comedians oder Kabarettist:innen ließen sich am ehesten in Plastik pressen? Dieter Hildebrandt, der deutsche Lenny Bruce? Hanne Wieder, die deutsche Joan Rivers? Volker Pispers, der deutsche Bill Hicks? (Bitte dreimal untertänigst um Verzeihung.) Passt aber irgendwie alles nicht.
Einer dagegen, bei dem ich’s mir vorstellen könnte, ist Helge Schneider. Nicht, weil er in irgendeiner Weise symbolisch für Kommerz stünde, sondern weil es auf mich manchmal so wirkt, als habe er tatsächlich Superkräfte. Im Circus Krone, wo Schneider in München traditionell auftritt, konnte ich mich vor kurzem wieder davon überzeugen: die musikalischen Fähigkeiten, angefangen bei der theoretischen Kenntnis des Jazz hin zur Umsetzung an Klavier, Gitarre, Trompete, Vibraphon; der Slapstick, seine wortlose Körpercomedy; nicht zuletzt die Sprache – die Fähigkeit, dem Zeitgeist immer wieder Vokabeln abzulauschen, die jeder kennt und die doch überraschen, die Kombination und Variation, das Spiel mit Worten. Die Mischung ist verblüffend.
Keinen anderen Künstler habe ich so oft live gesehen wie Helge Schneider. Man merkt dann natürlich, dass viel von dem, was aussieht wie anarchische Improvisation, gar keine ist, sondern „nur“ angelegt ist, so zu wirken. (Kein Vorwurf.) Und natürlich ist über die Jahre vieles ähnlich geblieben. Immer gibt es in wechselnden Besetzungen Jazz, immer gibt es dadaistische Geschichten, immer gibt es Spielchen wie den Mikrofonausfall (oder zuletzt in München Stromschläge aus dem Gitarrenkabel an den stillen wie großen Begleitkünstler Sergej Gleithmann).
Der Inhalt wechselt, die Form bleibt bestehen. Ohnehin ist der Inhalt von Schneiders Shows eigentlich nebensächlich – der Satz „Kunst ist Form“ lässt sich an seiner Comedy prächtig illustrieren. Man sieht sich Schneider ja nicht an, um seine Witze weiterzuerzählen. Er ist davon nicht zu trennen: Schneiders Comedy braucht Schneider als Protagonisten. Diesem Protagonisten sieht man zu, wie er König Midas gleich egal was berührt und dann nicht in Gold, sondern in Quatsch verwandelt. (Tragische Verwicklung inklusive – aber das ist ein Thema für einen anderen Artikel.)
Jazz sieht für Laien oft vollkommen beliebig aus. Ein Jazzpianist klimpert in scheinbar chaotischer Folge auf vielen weißen und noch mehr schwarzen Tasten herum. Dadurch entsteht verwirrender Klangbrei. In Wirklichkeit steckt aber Methode dahinter, die erklärbar ist (Harmonielehre, Skalentheorie, Grundsätze der Improvisation etc.), und nur ein Prozent Chaos; ein Prozent Wahnsinn als Funke, der das Ganze zum Leben erweckt.
Helge Schneider ist Jazzpianist. Und er ist Comedian, der auch mit Worten so spielt wie sonst am Klavier mit Tönen. Es wirkt so beliebig – aber jeder, der schon einmal versucht hat, diese Albernheit zu imitieren, merkt, dass das so gut wie nie lustig ist. Offensichtlich plappert da einer nicht einfach, was ihm gerade in den Sinn kommt. Und natürlich wäre es Unfug, Schneider vorzuwerfen, dass viele seiner Shows so ähnlich sind. Als würde man einem Musiker vorwerfen, immer dieselben zwölf Töne zu spielen. Oder einer Autorin, dass sie immer dieselben 26 Buchstaben verwendet. Entscheidend ist ja nicht das Material, sondern wie man es anordnet.
So einer taugt zur Actionfigur, würde ich sagen. Und von mir aus könnte er sofort loslegen, Verbrechen aufzuklären, hätte er das nicht eh auchschon getan.
Der KO-Tropfen-Fall zeigt: Kawusi spart lieber den Witz aus als die Provokation. Das frisst Aufmerksamkeit, die bei den echten Künstlern besser aufgehoben wäre. Zum Beispiel Alex Stoldt aus Hamburg.
Vor zwei Wochen schalt ich den Comedy Clash des SWR wegen des Wettbewerbsformats, der Halle, der Social-Media-Stars, der Knalligkeit, der schlampigen Moderationen und sich edgy gebender Comedians. Alle diese Punkte lassen sich im Fall des Stand-up-Formats Fun’s Not Dead, das beim ZDF auf Youtube erscheint, positiv wenden: kein Wettbewerb, ein lauschiger Raum, ausgeruhte Moderation, Understatement – einfach nur Stand-up ohne Schnickschnack. Fast wie in echt.
Ricky Gervais hat ein neues Special, nämlich Supernature. Es hat ein paar witzige Stellen und die obligatorischen Aufreger. Vor allem aber ist es mit Gervais’ älteren Specials austauschbar. „[E]ven if you buy his argument that a joke has no morality – this is still comically lazy stuff“, schreibt Steve Bennett bei Chortle. (Und es muss nichts heißen, aber wenn Piers Morgan und Elon Musk sich öffentlich als Fans bekennen, könnte bei einem Künstler auch mal eine Warnlampe angehen.) Supernature ist eine Enttäuschung und gleichermaßen Mahnung an Comedians, zu sehen, wie ambitionslos man werden kann, wenn man es erst einmal zu Geld gebracht hat.
Die Karikaturen in der Süddeutschen Zeitung sind ja bekannt für ihre unfreiwillige und bisweilen haarsträubende Komik. Und regelmäßig geht’s schlimm schief: Kürzlich ist wieder eine Zeichnung mit antisemitischer Symbolik erschienen. Hendrik Wieduwilt erklärt den Fall (und die Fälle davor) bei n-tv.Schon merkwürdig, dass die SZ hier einfach nicht dazulernt.
Alles wird teurer, außer die Gagen für Comedians. Rebecca Rush beschreibt bei Mic, dass das in den USA wieder zu einem Streik führen könnte. Der Artikel ist kaum auf die Situation in Deutschland zu übertragen – hierzulande ist Comedian einfach (noch?) kein so stark konventionalisiertes Berufsbild. Mindestens eines können Comedians mitnehmen: wie transparent und fair Comedians wie Maria Bamford und Margaret Cho mit ihren Show-Openern umgehen.
Ein running gag bei Jim Gaffigans Shows ist, wenn der Comedian in die Rolle einer irritierten Besucherin schlüpft und seine eigenen Witze kommentiert und zerlegt. In diesem frühen Special (das u.a. das berühmte Hot-Pockets-Bit enthält) betreibt er das exzessiv, aber so variantenreich, dass es nie manieriert wird. Auch die Gagdichte ist beeindruckend.
Imre Grimm interviewt beim RNDPostillon-Gründer Stefan Sichermann (und bringt im Gespräch die verblüffende und leider unbewiesene Behauptung „Viele Satirekollegen arbeiten eher unregelmäßig“ unter). Kleiner nostalgischer Moment: Als Einfluss seiner Arbeit nennt Sichermann unter anderem die Comics von Clever&Smart. Langes, gemächliches, dabei doch immer lesenswertes Gespräch.
Ein Jahr nach Veröffentlichung seines experimentellen Comedyspecials Inside (hier die damalige Rezension bei s/p) hat Bo Burnham eine Stunde unveröffentlichtes Material auf Youtube gestellt. Und bei Netflix gibt’s das raue, posthum veröffentlichte Special von Norm Macdonald. Zwei Specials ohne Publikum – über die Vorzüge schreibt Jason Zinoman in der New York Times: „Burnham and Macdonald created a more direct relationship with the viewer, one with more intimacy than can be generated by a close-up.“
Manche halten Storytelling für die Königsdisziplin von Stand-up, ich finde, es ist zumindest ein anspruchsvolles Genre. Der Regisseur und Stand-up-Lehrer Chris Head analysiert bei Chortle Stand-up-Bits im Hinblick auf Erwartungsaufbau und erzählerische Struktur. Comedians können wertvolle Tipps mitnehmen – und Zuschauer:innen können ihr Verständnis und somit den Genuss steigern. Hier geht’s zum Artikel.
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Achtung, es wird kompliziert: Am vergangenen Dienstag hat Comedienne Enissa Amani im M&M’sStore in Berlin den „Voting-Champion“ des Projekts Open Mic des Schokoladenherstellers präsentiert, den Frankfurter Comedian Bruno Banarby. Zuvor hatte sich Banarby in einer zwei Monate dauernden Abstimmung gegen Salim Samatou und Sara Karas durchgesetzt. Das Projekt wollte M&M’s als Unterstützung neuer Talente und „Beitrag zu einer inklusiven Comedy-Szene“ verstanden wissen.
Eine Nachricht, die ein wenig unterging. Vielleicht, weil, wie ich das Gefühl nicht loswerde, M&M’s die ganze Sache irgendwie selbst ein wenig peinlich war und das Unternehmen das Projekt suboptimal bewarb. Zum Beispiel wurde das Siegervideo, in dem Banarby von einem erkennbar nicht anwesenden Publikum gefeiert wird, bei Youtube nicht gelistet und entsprechend kaum angesehen.
Vielleicht waren auch einfach nicht genug Interessierte zur Preisverleihung in den Store gekommen. Zumindest lassen die Clips, die Banarby auf Instagram gepostet hat, nicht darauf schließen, dass mehr als folgende sieben Personen anwesend waren: Amani, Banarby, eine Moderatorin, ein Wachmann, zwei Fotografen, eine Person, die für Instagram gefilmt hat, und ein Mensch in einem grünen T-Shirt.
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Vielleicht lag’s auch daran, dass es ohnehin zu viele Comedypreise gibt. Oder dass die deutsche Comedyszene nicht unbedingt auf den Preis eines Schokoladenherstellers gewartet hatte. Oder dass der Preis kaum ernst genommen wird; weil das erklärte Ziel der Diversitätsförderung zwar ein hehres ist, aber schlicht nicht überzeugt, wenn es aus einem Konzern wie Mars (zu dem die Marke M&M’s gehört) heraus formuliert wird, der sich naturgemäß Diversität nur angelegen sein lassen kann, solange das auch auf die geschäftlichen Ziele einzahlt.
Nichts gegen Diversität, nichts gegen ihre Förderung. Aber Marketingmanöver wie das von M&M’s tragen halt wenig dazu bei. Ähnlich wie es ja nicht den Sieg des Feminismus bedeutet, weil das grüne M&M seit Anfang des Jahres keine slutty Stiefel mehr trägt, sondern Sneaker, ändert es auch wenig an der Zusammensetzung einer relativ homogenen, weißen und männlichen Szene, wenn mit Banarby ein Künstler aus einer Familie mit Einwanderungsgeschichte ein wenig gepusht wird.
Will man die Comedyszene in Deutschland wirklich diverser gestalten, reicht es nicht, einem Comedian eine einzelne Leitersprosse (falls überhaupt) nach oben zu helfen. Man müsste Leitern aufstellen, oder besser: Treppen und Aufzüge installieren.
Man müsste Schreibstipendien ausschütten, Betreuungsprogramme für Alleinerziehende auflegen, Streetworker engagieren, Jugendzentren, -treffs und allgemein Räume zur Verfügung stellen, sich für günstigeres Wohnen in den Städten einsetzen, Studien zur Erforschung rassistischer und sexistischer Strukturen im laufenden Betrieb in Auftrag geben. Kurz: Ungleichheit auch und gerade außerhalb des Paradigmas der Repräsentation bekämpfen.
Das bringt für einen Konzern Nachteile mit sich. Es geht nicht von heute auf morgen. Und „über eine Milliarde Kontakte“, wie das M&M’s mit der Open-Mic-Kampagne laut eigenen Angaben anstrebte, lassen sich damit wohl nicht generieren. Aber hey, immerhin wäre wohl Enissa Amani immer noch als Galionsfigur dabei.
Zu Beginn des Jahres hatte Mars angekündigt, dass sich der neue „Marken-Purpose“ zukünftig „noch stärker für eine vielfältige und inklusive Gesellschaft“ einsetzt. „Jede*r“ solle sich zugehörig fühlen. Man wolle Menschen dabei unterstützen, „sich miteinander zu verbinden und gemeinsam Spaß zu haben“.
Ob das auch die (laut einer Studie der Universität Chicago) anderthalb Millionen Kinderarbeiter:innen auf Kakaoplantagen weltweit einschließt, ist indes unklar. Schokoladenproduzierende Konzerne wie Mars, Nestlé oder Ferrero eiern seit Jahrzehnten herum, wenn es darum geht, Kinderarbeit zu beenden. Selbstverpflichtungen wurden immer wieder verschoben. Vor ein paar Jahren einigte man sich darauf, Kinderarbeit bis 2020 um 70 Prozent zu reduzieren. Sogar diese tief hängende Latte wurde gerissen: Kinderarbeit hat in den vergangenen zehn Jahren wieder zugenommen. Laut der Washington Post ließen sich 2019 ein Viertel des Kakos, den Mars bezog, auf Plantagen zurückführen, die im Verdacht standen, Kinder zu beschäftigen.
Bei der Verleihung des Preises an Bruno Banarby sagte die Portfolio Director Chocolate & Ice Cream bei Mars Wrigley Deutschland: „Stand-up Comedy schärft den Blick für gesellschaftliche Verhältnisse.“ Vielleicht schärft sie ihn ja so sehr, dass sich die Erkenntnis durchsetzt: Es gibt möglicherweise für einen Schokoladenhersteller gute Möglichkeiten, seine „Verantwortung“ wahrzunehmen, „Diversität in unserer Gesellschaft zu fördern“. Mir fällt spontan eine gute ein, die auf jeden Fall besser ist, als einen Comedypreis auszuloben.
Und Comedians könnten darüber nachdenken, dass sie aus kommerziellen Kooperationen zwar Nutzen ziehen können, dafür aber auch einen Preis zahlen. Wenn die Authentizität lädiert wird, schwindet eine der mithin wichtigsten Ressourcen für einen Comedian. Verhältnisse satirisch aufspießen und den Canyonero fahren, geht halt schwer zusammen.
Der KO-Tropfen-Fall zeigt: Kawusi spart lieber den Witz aus als die Provokation. Das frisst Aufmerksamkeit, die bei den echten Künstlern besser aufgehoben wäre. Zum Beispiel Alex Stoldt aus Hamburg.
Neue Comedy-Produktionen I: Der SWR hat einen Comedykanal auf Youtube gestartet und zeigt dort erst einmal Ausschnitte des unter anderem von Marvin Endres‘ Endgame Entertainment produzierten Comedy Clash (in der ARD-Mediathek). Der Clash hat Momente, leider wurden aber arg viele Kompromisse gemacht: Das Wettbewerbsformat stört, die Halle stört, neben Comedians braucht es unbedingt „Social-Media-Stars“, außerdem ist alles bunt, knallig und total örbänwie aus den 90ern.Schlampige Moderationen und Comedians, die in Einspielern mutmaßen, ob sie wohl zu hart für das Publikum sind, komplettieren den negativen Eindruck. Bislang gibt’s erst zwei Episoden. Vielleicht wird’s also noch.
Neue Comedy-Produktionen II: Fun’s Not Dead heißt eine für „die Online-Welt des ZDF“ produzierte Comedyshow des Chaos Comedy Club, wie die Produktionsfirma auf Facebook mitteilt.Wie und wann genau ausgestrahlt wird, steht noch nicht fest. (Über das Showformat gleichen Namens, auf dem die Sendung fußt, gab’s hier schon mal was zu lesen.)
Vom 26. bis 29. Mai findet in Berlin das Festival Comedy For Futurestatt, das ein „humoristisches Zeichen für Nachhaltigkeit und Klimaschutz setzen“ möchte. An drei Tagen gibt’s 50 Comedians zu sehen, dazu ein begleitendes Panelprogramm, das sich damit befasst, Eventmanagement nachhaltiger zu gestalten (richtig und wichtig) oder mit der Frage, wie Comedians komplexe Themen transportieren können. Letzteres sehe ich kritisch, da eine solche Indienstnahme von Kunst noch niemals irgendetwas Spannendes hervorgebracht hat. Ferner werden wir den Klimawandel nicht bewältigen, indem Comedians endlich die richtigen Botschaften vermitteln. Das ZDF wird ab Ende Juni Zusammenschnitte des Programms zeigen.
Anfang Mai hat der Wiener Radiosender FM4 ein eigenes kleines Comedyfestival veranstaltet. Viele der Beiträge (unter anderem mit den s/p-Leser:innen bekannten David Stockenreitner oder Josef Jöchl) gibts auf der Homepage zum Nachsehen.
„A mini comedy special about how much I hate Chris D’Elia“, beschreibt die US-amerikanische Comedienne Alice Hamilton ihre half-hour, in der sie ihre Wut ablässt über predators, groomers, sexualisierte Gewalt in der US-Stand-up-Szene und über die gängigen Mechanismen der Rechtfertigung. Hamilton verlässt sich nicht auf die Botschaft, sondern konstruiert Joke um Joke.
Die Sadcom Mapa über den alleinerziehenden Witwer Metin Müller bekommt eine zweite Staffel, wie DWDL berichtet.
Dass es in Deutschland keinen einzigen guten Comedian gebe, befindet der Humorist Heinz Strunk, nachzulesen etwa hier in der FAZ.„Die haben einen Mangel an Talent, Geschmack, ästhetischem Empfinden und natürlich Humor“, sagt Strunk, der damit seine Unkenntnis über eine Szene ausstellt, die doch gerade ständig mit ihren prominentesten Vertretern hadert. Nun äußert er sich also markig und provokant, wohl auch um eine neue Serie zu bewerben. Und beweist damit weniger den Feinsinn der von ihm so hochgeschätzten Neuen Frankfurter Schule als genau das ästhetische Empfinden der verunglimpften Brachialcomedians. Tja.
Wegen Corona musste Netflix sein Festival (Netflix Is a Joke) knapp zwei Jahre verschieben. In der New York Timesgibts eine gute Nachlese von Jason Zinoman und den (wegen erstmals rückläufiger Abozahlen des Streamers) „‚last days of the Roman Empire‘ vibe“ der Veranstaltung: Hart durchgreifende Bodyguards, viel Corporate-Zwinkerzwonker und ein „Comeback“ von John Mulaney, auf das man gespannt sein kann.
What’s the best way to start writing a sitcom? Forget about the jokes – ein Rat, den die US-Autorin Megan Ganz beim Comedyfestival der BBC (Mensch, was für eine festivallastige Ausgabe) gegeben hat. Das und mehr Tipps nachzulesen bei Chortle.
Der Stern führt mit Hazel Brugger, Carolin Kebekus und Maren Kroyman ein Gespräch über Frauen in Comedy, das manch interessante Äußerung beinhaltet, dazu außerdem diesen unfreiwillig komischen und mich zum Schmunzeln verleitenden Anschluss: „KROYMAN: Ich bin ja auf dem zweiten Bildungsweg lesbisch geworden. KEBEKUS: Du warst deiner Zeit wirklich voraus.“
Der US-amerikanische absurde Comedian Andy Kaufman hat Ende der 1980er Jahre einmal zum professionellen Wrestler umgeschult, vermutlich als Teil eines komischen Gesamtkunstwerks. Legendär ist etwa sein Streit mit dem echten (?) Wrestler Jerry Lawler. Darüber ließ er die Doku I’m From Hollywood drehen, die man nun im Internet Archive frei ansehen kann.
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Manche Comedians fühlen sich offenbar dadurch herausgefordert, dass man in Deutschland fast alles meinen und sagen kann, und gerade Künstler:innen nochmal in ihren Werken besonders geschützt sind. Dann suchen sie akribisch Aufregerthemen und den rassistischen, frauenverachtenden oder transphoben Witz, verbitten sich Kritik und pochen beim geringsten Widerspruch auf ihre Meinungsfreiheit. So simpel, so lächerlich. Und doch ist das alles nicht einfach nur ein Witz, sondern politisches Handeln. Selbst wenn manch Künstler das nicht wahrhaben möchte.
Für sein Buch Die letzten Männer des Westens hat der Autor Tobias Ginsburg unter Antifeministen und rechten Männerbünden recherchiert und sich auch die Rolle vorgenommen, die dabei Humor und Comedy spielen. Gekränkte Männer, die sich von progressiven Bewegungen unterdrückt fühlten, sagt Tobias, könnten leicht politisch mobilisiert und evtl. sogar radikalisiert werden. Und gerade sie wenden sich einem provokanten, uneigentlichen Sprechen zu. Nur: Die Grenzen zwischen einem provokanten Ausrutscher und einem überzeugten rassistischen Witz sind fließend. So wird Humor zum Treiber der Agitierung und Radikalisierung.
Wir sprechen über die Alt-right, Faschisten in Polen, gepunktete Socken, Wladimir Putin, Gamergate, Hass und transgressive Witze in Onlineforen und darüber, dass sexistische oder rassistische Witze zwar keine politische Heimat haben, in jedem Fall aber eine nahelegen.
Wer nur über Comedy Bescheid weiß, weiß auch davon nichts. Deshalb unternehmen wir in den „Gesprächen über Comedy“ kleine Ausflüge: Wir nehmen Stand-up-Comedy als Ausgangspunkt und besuchen die angrenzenden Regionen. Auf diese Weise (und durch Vergleichen, Analysieren, Kritisieren, Hinterfragen und Genießen) hoffen wir, verschiedene komische Phänomene zu beleuchten und Konstanten zu erkennen, die unser Entertainment, unsere Popkultur und unsere alltäglichen Unterhaltungen prägen. Hier geht es zu den restlichen Episoden.
Die Comedienne Meltem Kaptan hat jüngst im Interview ohne Worte im SZ-Magazin – wenn ich das Foto richtig interpretiere – die deutsche Comedyszene einer, nun ja, breitbeinigen Brachialität geziehen. Ja, das ist ein Anwurf, der immer geht. Obgleich man schon sagen muss, dass Kaptan zu dieser Brachialität mit ihrer nun auch nicht direkt subtilen Comedy ja auch ihr Scherflein beigetragen hat. Aber nun spielt sie eben in Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush (und, wie ich lese, auch überzeugend). Und in Deutschland hat Film nun mal mehr Glamour als Bühne. Da will man die Vergangenheit dann schon mal hinter sich lassen.
Überhaupt frage ich mich: Liegt was in der Luft? Ist es der Frühling? Haben Bühnenkünstler keine Lust mehr auf Bühne? Der Kabarettist Dieter Nuhr macht gerade eine Ausstellung mit Zeichnungen und verfremdeten Fotografien (Erstere etwas stärker als Letzere). Und der Comedian Faisal Kawusi scheint nur noch auf Instagram und in Talkshows stattzufinden.
Überhaupt kurz zu Kawusi. Der ist ja einer der Sorte Comedians, die lieber den Witz ausspart als die Provokation. Auf seinem Tourplakat inszeniert sich Kawusi als der ermordete Schwarze George Floyd. Er macht auf der Bühne schon mal einen rassistischen Witz oder sagt das (englische) N-Wort. Und er ist einer, der es geschafft hat, über die kürzlich von Joyce Ilg schon recht hoch gelegte Latte behämmerter Witze über KO-Tropfen noch drüberzuspringen. Bei Stern TV durfte er sich dann entschuldigen und sagen: „Ein allgemeines Regelbuch für Comedy aufzustellen, was für alle gilt, das wird niemals funktionieren.“
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Tja, da hat er schon recht, der Kawusi. Aber es ist natürlich auch eine geschickte Verschiebung des Torpfostens – über ein Regelwerk für alle zu sprechen, wo es doch eigentlich nur um die Entgleisungen einer Einzelnen ging. Denn nur weils kein Regelbuch gibt und auch keins geschrieben wird, macht das ja Kawusis Witze nicht besser. Es sind nicht viel mehr als Klingelstreiche, bei denen kein Handwerk stört; aber halt so (hust) brachiale, dass man nicht umhinkommt, die Tür aufzumachen. Weil das im Fall Kawusi aber die Satirikerin Sarah Bosetti schon sehr treffend getan hat, wenden wir uns jetzt einer anderen Sache zu.
Einer ganz unerhörten gar; einer, die oft untergeht, weil Leute wie Kawusi zu viel der Aufmerksamkeit beanspruchen: nämlich der Comedy. Seit ein paar Wochen erfreue ich mich an einem Bit, das der Hamburger Comedian Alex Stoldt im Comedy Studio Berlin gespielt hat. Darin geht es um absolute Stand-up-Klassiker: Exfreundin, Beziehung, Trennung. Aber das Bit unterscheidet sich trotzdem wohltuend von den klassischen on-the-nose-Bearbeitungen dieser dankbaren Stand-up-Topoi (die wir alle kennen? Die wir alle kennen!).
Stoldt reiht nicht nur lustige Beoachtungen aneinander. Er bemüht sich um Jokes, also Erwartungsaufbau und -enttäuschung. Er geht langsam und subtil vor, mit Auge fürs Detail – eine Viertelsekundenpause zu timen wie bei „ich wollt’ halt gerne… mit“ (lang genug, damit’s der Zuschauer merkt, kurz genug, damit der Comedian nicht eitel rüberkommt) kriegen nicht viele hin.
Am auffälligsten aber, weil eben so selten, ist: Die Nummer hat Struktur. Stoldt gibt sich mit dem Sternschnuppenspiel ein Thema vor, das er wiederholen, variieren und absurd steigern kann („Ichwünsch’ mir eine Sternschnuppe“). Der Comedian schafft sich ein Reservoir, das er immer neu für Witze anzapfen kann; Callbacks sind nicht reine Erwähnungen, sondern tragen Neues bei, verändern; und dann ist die Wiederholung selbst ja noch Metakommentar auf die Beziehung – all das innerhalb von nur fünf Minuten.
Comedians wie Kawusi haben meist nur einen Mechanismus zur Verfügung: Sie sagen krasse Dinge und müssen sich – weil sie sich nur auf der Ebene des Inhalts bewegen – naturgemäß immer noch extremer äußern, um sich zu steigern. (So eine Überbietungsspirale funktioniert auch umgekehrt mit woken Botschaften.) Stoldt dagegen bewegt sich auf der Ebene der Form: Er weiß, dass, was der komische Künstler sagt, zweitrangig, wie er es sagt, entscheidend ist.
Das Beziehungsbit ist eine mehrdimensionale Nummer, die atmet. Und selbst wenn man nicht über jeden Joke lachen muss, muss man anerkennen: Hier reiht einer bedächtig Satz an Satz. Hier denkt einer drüber nach, was er tut. Und so sollte das doch sein in Comedy. Aber weil’s in Zeiten von Kawusi, Ilg und Co. nicht so ist, sage ich: Auch mal schön.
Der Comedian Dave Chappelle ist bei einem Auftritt im Rahmen des Netflix-Is-A-Joke-Festivals auf der Bühne attackiert worden. Unschön. Trotzdem bemerkenswert, dass Dave Chappelle seine Dieter-Nuhrisierung fortsetzt, indem er an den Vorfall gleich transphobe Bemerkungen anschloss – wollte ich fast schon schreiben, wenn das nicht so ungerecht gegenüber Dieter Nuhr wäre. Wie Gawker berichtet, hat dann auch noch Chris Rock eine sehr low-hangingfruit gepflückt.
Vor kurzem ging’s hier um Thomas Schwiegers Pläne, eine große komische Revueshow um den Achtsamkeitstrainer Lasse Ånspannung auf die Beine zu stellen. Leider wurde das angepeilte Ziel beim Crowdfunding nicht erreicht. Statt 10.000 kamen nur 4.000 Euro zusammen, die Schwieger nun nicht bekommt. Wie es mit Lasse weitergeht, ist noch unklar. Aber immerhin: 4.000 Euro – wenn schon nicht Las-Vegas-Revue, eine Nachfrage nach Comedy-Nischenprojekten ist offenbar da.
Die internationale filmschule Köln bietet eine Summer School Comedyan. (Wie hier berichtet.) Nun bietet der Cojokingspace noch bis zu drei Stipendien an, bei denen die Teilnahmegebühr deutlich reduziert wird. Mehr Informationen hier. Formlose Bewerbungen können noch bis heute eingesandt werden.
Der Österreicher Benedikt Mittmannsgruber hat das Passauer Scharfrichterbeil gewonnen. Die SZ berichtet von der Verleihung des Kabarettpreises – und ich würde mir wünschen, auch so präzise Vorstellungen davon zu haben, wo Kabarett aufhört und Stand-up beginnt, wie der Autor.
Mirman ist der Hans Thalhammer der Stand-up-Szene in Brooklyn. Das Album enthält großartige Nummern wie I Marry A Couple From The Audience On Stage und hinterher noch Hunderte Tracks, die jeweils nur wenige Sekunden dauern und in denen Mirman Geräusche nachahmt, z.B. Group Of Businessmen Agreeing oder Abortion Doctor Enjoying A Candy Bar. Wen das nicht überzeugt, dem kann ich auch nicht helfen.
Seit einigen Wochen findet in Berlin Versöhnt mit Poesie statt, ein Open-Mic und eine Parodie auf Poetry Slams. Poetry Slams zu veräppeln ist zwar nun nicht die alleroriginellste Motivation. Aber die Darbietungen sind teils so unfassbar treffend, dass sich der Poetry Slam schon auch ein bisschen geschmeichelt fühlen darf.
Es gibt nun eine bayerische Synchronisation der japanischen Familiensoap Hanbun, Aoi. Ehrlich wahr. Unter anderem Gerhard Polt und ein paar andere Granden des bayerischen Films sind beteiligt, wie die SZ berichtet. Hört sich etwas merkwürdig an, denn viele der Sprecher:innen sind jenseits der 60, die japanischen Darsteller aber in ihren Zwanzigern. Trotzdem entwickelt Die Vroni aus Kawasaki (abrufbar bei Servus TV), so der deutsche Titel, einen ganz eigenen komischen Drive.
Barbra Streisand ist 80 geworden. Im deutschen Rolling Stone gibt’s ein gebührend feierliches Porträt der US-amerikanischen Schauspielerin.
Die US-Amerikaner Matt Sienkiewicz und Nick Marx haben das Buch That’s Not Funny: How the Right Makes Comedy Work for Them geschrieben. Die beiden haben in einem „comedy ecosystem“ bestehend aus „rightwing satirists, podcasters and standups“ recherchiert, wie der Guardian schreibt. Interessanter Befund: „‚Comedy, says Marx, is “a powerful recruitment tool‘. These young men are attractive to advertisers too, helping [Joe, s/p] Rogan and others make money but also incentivising comedians to develop brands built on shock tactics.“ Befund, den ich eher skeptisch sehe: „‚Comedy does not have a political orientation,‘ says Sienkiewicz. ‚The comedy industry has had an orientation towards centre-left.'“
Das Schweizer Newsportal Persönlich.com widmet sich in einem vierteiligen Schwerpunkt zu Serien (bzw. natürlich Seriiiiien, sind ja Schweizer). Neben Beiträgen über Spoiler, Bingewatching und Cliffhanger kann ich vor allem den über Writers‘ Rooms empfehlen. Die Autorin Simone Schmid erklärt dabei ihre Vorgehensweise, unter anderem wie sie einzelne Handlungsbögen in Exceltabellen organisiert. Hier geht’s zum Artikel.
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Angenommen, ein guter Freund tritt an uns heran und erzählt, dass er nun Romane schreibe, aber bessere, andere; nicht solchen Mist, wie er in den Feuilletons besprochen wird. Er konzipiere alle Romane als Leselöwen-Bücher, schreibe einen Großteil der Geschichten in Spiegelschrift und klebe auf jede zweite Seite Bildchen von Heinz Rühmann, die er aus alten Illustrierten ausgeschnitten habe.
Man würde diesen Freund natürlich zu seiner Entscheidung beglückwünschen, vielleicht aber zaghaft hinterherschicken: Du weißt aber schon, wie Literatur normalerweise funktioniert? Man würde sich ob seiner Naivität vielleicht sogar ein bisschen lustig machen.
Ein absurdes Szenario. Natürlich ist Geschmack subjektiv (jeder findet etwas anderes gut), aber daraus lässt sich ja nicht folgern, dass alles, was gefällt, auch gut ist. Es gibt gewisse Regeln zu beachten, die Rechtschreibung und Grammatik sollten stimmen, der Plot sollte schlüssig sein. Es gibt einen gewissen Grundkonsens über das, was als zulässiger Beitrag durchgeht und was nicht.
Dieser Artikel gehört zur Reihe Noten zur Comedy, in der wir alle zwei Wochen einen Blick auf ein virulentes Thema rund um Comedy werfen. Ihr könnt die Noten auch als Newsletter abonnieren, dann kommen sie direkt (mit aktueller Presseschau und besonderem Comedytipp) ins Postfach.
Dieser Grundkonsens scheint aufgehoben, sobald es um das Komische geht. Beim Witz herrscht, pun intended, Narrenfreiheit. Man muss sich eigentlich keine Gedanken über gar nichts machen. Man muss nichts können oder wissen und kann sich trotzdem hinterher noch auf die Binsenweisheiten berufen, dass Humor eben subjektiv und die Geschmäcker verschieden seien, doch alles nicht so gemeint und nur ein Witz gewesen sei. Und dann führen wir ausufernde Diskussion darüber, was denn nun Comedy eigentlich darf, wer wann wie welchen Witz aushalten muss, wie und wie weit Comedy Grenzen überschreiten darf/kann/sollte/muss, ob Comedy beleidigend sein muss. Harald Martenstein geht undercover an die Uni und befragt Studierende. Svenja Flaßpöhler schreibt schnell noch ein neues Buch über Resilienz.
Es sind Nebelkerzen. Das Wesentliche gerät aus dem Blick, nämlich die Fragen: Warum sollte ausgerechnet beim Witz das Konzept von künstlerischer Qualität nicht existieren? Warum sollte ausgerechnet dieser Bereich von Werturteilen ausgenommen sein wie: Dieser Witz war schlecht gemacht. Dieser Witz war sterbensdämlich.
Die Schauspielerin Joyce Ilg hat so einen Witz gemacht – sie hat zu Ostern ein Foto von sich und dem Comedian Luke Mockridge in ähnlich gemusterten Sweatern auf Instagram gepostet und dazu geschrieben: „Hat hier irgendwer von euch Eier gefunden? Ich hab nur ein paar K.O. Tropfen bekommen.“ Hashtag-FreedomOfHumour.
Lassen wir kurz Ilg selbst erklären. „Das sollte kein Witz auf Kosten von K.O. Tropfen Opfern sein“, erweiterte sie später ihren Post, „sondern eine Anspielung darauf, dass Luke diesen K.O. Tropfen Gag ja damals in seinem Programm hatte und ihm das nachträglich als vermeintlicher ‚Beweis von Schuld‘ ausgelegt wurde. Er hat aber ja nie jemandem K.O. Tropfen gegeben.“
Ich fasse zusammen: Der Witz besteht also offenbar darin, den Begriff „KO-Tropfen“ zu erwähnen, wobei alles aber erst dann zum Witz wird, wenn man eine ziemlich verquaste Vorgeschichte kennt. Schon witzökonomisch ist das ungünstig. Dass aber ein solcher Post gerade im Verbund mit Mockridge, dem in einem Artikel im Spiegelmehrere Frauen übergriffiges Verhalten vorwarfen, verärgerte Reaktionen nach sich ziehen würde, hätte man durchaus ahnen können, zumal als Instagram-Profi wie Ilg. Und zumal wenn man einen berühmten Comedian zum Freund hat, der sich vor Monaten mal aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, „um zu verstehen, zu lernen und zu heilen“ – der also vielleicht was verstanden, gelernt und geheilt hat, und der obendrein zufällig auch grade anwesend ist, wenn man im Begriff ist einen problematischen Post abzusetzen.
„Mein Humor hat wenig Grenzen und dazu stehe ich auch“, schrieb Ilg auf Instagram, später antwortete sie einer Posterin: „Vielleicht steht mein Humor ja drüber.“ Humor ist bekanntlich subjektiv und zu Ilgs gehört es zum Beispiel, dass sie an Ostern gerne lustige Wortspiele mit „Eiern“ postet. Das ist in Ordnung. Man sollte bei so schön zur Schau gestellter humoristischer Unmusikalität dann aber nicht das FreedomOfHumour-Geschütz auffahren und sich nicht über andere mokieren, wenn man dann in einem Streich noch präsentiert, wie wenig Ahnung man vom Witzehandwerk hat. Dann beweist man nämlich nur, dass der eigene Humor, wenn auch ein subjektiver, gleichwohl ein ziemlich dumpfer ist.
Wenn Comedians drauf verzichten, Witze zu machen, und stattdessen Beipackzettel vorlesen. Ein subtiles wie tragisches Beispiel der Selbstsabotage deutschsprachiger Comedians.