Josh Kingsford über die Form des Stand-up-Specials

Der Stand-up-Comedian Josh Kingsford veröffentlicht auf seinem Youtube-Kanal Comedy Without Errors Analysen von Comedians, Specials und allerlei Stand-up-Phänomenen. Im Podcast spricht er über die Kunstform des Stand-up-Specials und darüber, dass mehr Comedians mit ihr experimentieren sollten. Hier folgt ein gekürztes und verdichtetes Transkript der Episode.

Setup/Punchline: Heute reden wir über das Stand-up-Special, also die audiovisuelle Aufnahme eines Sets oder einer Show eines Comedians. Ich finde, das Special ist die am weitesten verbreitete Form, wie uns heute Stand-up begegnet. Und die kulturelle Bedeutung von Specials steigt immer mehr. Die Frage ist, warum so viele Specials immer so langweilig aussehen. Darüber reden wir mit Josh Kingsford. Er ist ein Comedian aus Wales, lebt heute in Neuseeland und er betreibt den Youtube-Kanal Comedy Without Errors, wo er Comedians, Specials und Stand-up-Phänomene analysiert. Hallo Josh, was glaubst du, sehen wir an, wenn wir ein Special ansehen? Ein wirkliches Ereignis oder eine Illusion?

Josh Kingsford: Das ist einer der fundamentalen Unterschiede, wenn man eine Live-Performance ansieht, im Vergleich zu einer gefilmten Performance. Wenn es gefilmt ist, kann man manipulieren, du kannst das Gelächter lauter machen, kannst die Reihenfolge ändern.

Wie oft siehst du dir ein Special an, wenn du eines deiner Videos machst?

Mein nächstes Video wird über Inside von Bo Burnham gehen. Das habe ich jetzt bestimmt vier oder fünf Mal angesehen. Das ist aber auch mit Abstand eines der komplexesten Specials, die ich je gesehen habe. Die meisten schaue ich zwei oder drei Mal an. Ich finde gerade die Specials interessant, die versuchen, daraus eine mehr cinematische Erfahrung zu machen.

Das Problem mit Stand-up ist ja immer: Man muss dabei gewesen sein. Kann man überhaupt diesen Live-Charakter einfangen?

Es ist sehr schwierig, das auf eine Weise zu tun, die das Gefühl der Live-Performance einfängt. Wenn ein Comedian killt und du im Publikum sitzt, ist das eine unglaublich immersive Erfahrung. Wenn du das filmst und auf Youtube stellst, ist das so eine ganz andere Sache. Jerrod Carmichael nutzt zum Beispiel einige filmische Mittel, nicht um das ursprüngliche Gefühl einzufangen, sondern um etwas Neues zu schaffen. Ich denke, die meiste Stand-up sehen wir sowieso zu Hause, nicht live.

Kannst du einmal beschreiben, was eigentlich ein Stand-up-Special ausmacht?

Ein Comedian hat ein paar Witze. Und dann möchte er diese Witze natürlich irgendwie aufnehmen. Was dann zum Beispiel Netflix macht: Sie bauen ein paar Kameras in irgendeinem Theater auf und filmen den Auftritt. Die Comedians sagen Hallo, am Ende sagen sie guten Abend. Normalerweise ist der beste Joke am Anfang, der zweitbeste Joke am Ende. Und das ist meistens alles ziemlich langweilig gefilmt und hilft in keiner Weise, den Stil des Comedians oder die Witze hervorzuheben.

Was stört dich an der konventionellen Form des Specials?

Die meisten Specials beginnen damit, dass irgendjemand den Comedian ankündigt, und die ersten beiden Minuten flippt das Publikum dann erst einmal aus wie ein paar hyperaktive Affen. Der Comedian steigt auf die Bühne, winkt ins Publikum und geht dann irgendwie zu seinem ersten Joke über. Ich habe das so oft gesehen und es ist so langweilig. Es ist eine Verschwendung der unendlich vielen Möglichkeiten, wie man ein Special beginnen könnte. Du kannst in der Mitte eines Jokes anfangen, du kannst mit der Punchline anfangen. Du kannst irgendwie einen Eindruck vermitteln, was für ein Comedian da überhaupt gerade auftritt. 8 von Jerrod Carmichael beginnt zum Beispiel damit, dass er in einem dunklen Raum sitzt und auf seinem Handy herumtippt. Dieses intime Setting ist fast der perfekte Vorstellung von Jerrod Carmichael.

Was wäre denn ein schlechtes Beispiel?

Me Doing Stand-up von Norm MacDonald, es ist total konventionell gefilmt. Aber das entspricht überhaupt nicht seinem Typ. Sein Stil passt viel besser zu einem kleinen Setting, zu einem kleinen Club, nicht, dass er auf die Bühne geht wie ein Rapper, das ist doch einfach bescheuert. Nur weil man denkt, das wird halt immer so gemacht, muss man das ja nicht so tun.

In deinem Video über Carmichael hast du gesagt, es ist einer der seltenen Fälle, dass Form und Inhalt in perfekter Übereinstimmung liegen. Bei welchen Specials ging es dir ähnlich?

Stewart Lee schafft es ziemlich gut, wenn auch auf ganz andere Weise. Er filmt die Specials so, wie es am nächsten zum Live-Erlebnis ist. Die Kameras machen keine großen Fahrten, sie sind auf Höhe des Publikums angebracht. Und er belässt auch Reaktionen drin, die nicht großes Gelächter sind.

Lee wäre auch ein gutes Beispiel dafür, dass ein Special gar nicht unbedingt filmisch anspruchsvoll sein muss, und trotzdem etwas anders machen kann.

Ja, total. Er hat es sehr gut ausbalanciert. Stand-up ist so eine ehrliche Kunstform, man will natürlich den Menschen auf der Bühne sehen, der seine Jokes performt. Und man will nicht, dass filmischer Schnickschnack vom Eigentlichen ablenkt. Ich hätte einfach gern, dass Comedians wissen: Hier sind Kameras, man kann sie nutzen. Natürlich muss nicht jeder plötzlich schräge Zooms ins Gesicht machen. Es gibt aber Möglichkeiten, die Kameras auszunutzen, ohne dass es zu viel wird.

Wo wir gerade bei Stewart Lee sind: Der macht ja auch noch eine andere Sache ganz anders als die meisten Comedians. Du hast auch ein Video darüber gemacht: Er verzichtet fast komplett auf die Schnittbilder ins lachende Publikum. Warum findest du das so schlimm?

Es ist einfach eine Täuschung, es ist manipulativ. Es soll einem signalisieren: Hey, du solltest lachen. Aber es ist halt unehrlich, es ist oft keine authentische Reaktion auf den jeweiligen Witz, der gerade erzählt wurde. Mich reißt das vollkommen raus, aus dem Witz, aus der Show. Es gibt andere Möglichkeiten, mit dem Publikum zu interagieren, ohne schnell zu ihren großen, dummen, lachenden Gesichtern zu schneiden. Was Lee manchmal macht, ist, dass er nicht schneidet, sondern den Moment stehenlässt, und Witz, Punchline und die Reaktion in einem Bild zeigt. Natürlich zeigt er auch mal lachende Gesichter, aber das sind dann immer Aufnahmen, die gerade die Reaktion auf den eben erzählten Witz zeigen. Das macht es ein bisschen authentischer. In 90s Comedian zeigt er einfach auch mal eine Frau, die den Kopf schüttelt.

Man könnte es ja auch noch weiter treiben, zum Beispiel wie Chelsea Peretti in One of the Greats. Da zeigt sie mal einen Hund, mal ein Baby, mal einen alten Mann, der Tee trinkt. Am Anfang ist das merkwürdig anzusehen. Aber dann merkt man: Eigentlich ist es ja sogar ehrlicher als sonst.

Es ist so eindeutig gefälscht, dass man sich fragt: Ist das, was sie tut, etwa auch gefälscht? Aber es wird dann zum Teil der Show. Sie zeigt ja auch mal einen Mann, der so hysterisch lachen muss, dass er dann von psychiatrischem Personal aus dem Saal geworfen wird. Damit macht sie sich, in nur fünf Sekunden, über so viel von dem lustig, was Stand-up-Specials ausmachen. Das ist beeindruckend.

In Deutschland gibt es ja noch nicht so viele moderne Stand-up-Specials. Darum wird auch noch zaghaft experimentiert. Bei einem Special wurde mal mit einer runden Bühne experimentiert, und die Kameras fuhren außen rum auf Schienen. Es war anstrengend, sie standen niemals still. Es wurde einem schlecht beim Zusehen.

Ja, das war dann einfach zu viel. Immerhin haben sie mal experimentiert. Aber es ist verführerisch, wenn man die Technik hat, sie dann auch vollkommen übertrieben einzusetzen.

Was glaubst du, wo geht es mit Specials generell hin?

Man sieht ja jetzt schon gewisse Entwicklungen, zum Beispiel dass Comedians besondere Locations suchen. Und es ist ein Bewusstsein dafür da, wie Specials aussehen. Ich glaube, dass das durchschnittliche Niveau steigen wird. Vor allem jetzt, während der Pandemie, und weil ich gerade das neue Special von Bo Burnham gesehen habe, hoffe ich, dass Comedians das zum Anlass zum Experimentieren nehmen. Sie sollten wissen: Ein Stand-up-Special kann alles sein, was du willst. Das hat Drew Michael mit seinem Special gemacht: Reduziere Stand-up zu seinen grundlegendsten Elementen, wie du es noch nie gesehen hast, aber wie es trotzdem noch interessant und fesselnd ist. Es ist anders, aber es ist spannend. Ich glaube, dass das, was Bo Burnham gemacht hat, ein ziemlicher Sprung nach vorne für Specials sein kann. Natürlich hat sich Burnhams Comedy schon immer stark an Theater und Performance orientiert. Aber ich würde mir wünschen, dass mehr Comedians hier nachziehen.

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