- „Du simulierst auf der Bühne das Mega-Selbstbewusstsein, aber um erfolgreich zu sein, musst du dir die ganze Zeit deine Fehler eingestehen“, sagt Till Reiners im Spiegel-Porträt.
- Ein weiteres großes Künstlerporträt hat das Zeit-Magazin, nämlich über Anke Engelke, die von der Reporterin über mehrere Monate hinweg begleitet wurde. Beeindruckend fand ich, wie Engelke, eisern schlagfertig und nach Jahrzehnten im Beruf gestählt, trotzdem für einen Auftritt von wenigen Minuten immer noch mehrere Acht-Stunden-Tage Probe vorsieht. Oder vielleicht tut sie’s auch grade deswegen.
- Und Porträt Nummer drei: Die FAZ präsentiert den Senkrechtstarter Tony Bauer, der ein paar gute Stand-up-Aphorismen auf Lager hat („Du erzählst den Leuten eine Geschichte über Sachen, die sie selbst kennen, mit Worten, die sie nicht dafür haben“). Für meinen Geschmack trägt Bauer mitunter etwas dick auf, etwa wenn er das mangelnde Arbeitsethos von Comedians kritisiert, die nur mehr Crowdwork-Clips machen. Vor zwei Jahren kannte Bauer noch niemand, jetzt hat er professionelle Fotos, eine professionelle Webseite, ein abendfüllendes Bühnenprogramm, spielt eine Deutschlandtour vor Tausenden Zuschauern. Der Erfolg wird hier bestimmt nicht den Falschen erwischt haben. Aber ein bisschen mehr Sinn dafür, dass man ihn nicht allein den eigenen Fähigkeiten verdankt, sondern auch einem Business, das pusht und vermarktet, wäre ihm zu wünschen.
- Die Sendung Querköpfe im Deutschlandfunk befasst sich kritisch mit dirty comedy, unter anderem dem Humor auf Basis von Klischees und auf Kosten marginalisierter Gruppen. Das ist schön, darf aber gerne noch etwas mutiger sein. Man darf problematische Comedy auch direkt anprangern, anstatt den Umweg über Formulierungen „Künstler X wurde Frauenfeindlichkeit vorgeworfen / Es gab kritische Stimmen, die das antisemitisch fanden…“ zu wählen.
- Slate befasst sich mit The Cult of Kill Tony, der aktuell weltweit erfolgreichsten Comedyshow. Zitat: „The show might be positioned as a meritocracy, but given Hinchcliffe’s roast-comic tendencies, it’s no surprise it occasionally transforms into something far more mean-spirited.“

BIT-EMPFEHLUNG: Philipp Schlüter: Arbeitskollegen (2019)
Eines meiner liebsten Bits aller Zeiten, es ist so speziell, es ist unklaubar, es erklärt nichts, es exerziert einfach nur vor. Und es bleibt nicht bei den harmlosen Befunden stehen. Die Arbeitswelt ist schrullig und weird, sie ist ein notwendiges Übel, ein Zugeständnis an das Leben im Kapitalismus, das man halt macht. Stimmt alles, aber es geht weiter und weiter. Im Büro öffnen sich die Tore der Hölle.
- Vox beschäftigt sich mit der Absetzung der Late-Show mit Stephen Colbert und analysiert eine Zeit, die uns letzten Endes auch den zweiten Stand-up-Comedy-Boom beschert hat, der ohne diese politischen Entwicklungen nicht denkbar ist. (In Deutschland könnte man da eine Analyse über die Bedeutung der Merkel-Ära für Stand-up anschließen – vielleicht bei anderer Gelegenheit). Zitat:
„There were two big problems with all that success [der politischen Late-Night-Shows]. The first was that the Bush years were over. In 2008, Barack Obama became president, and while his administration had plenty of foibles for liberal comics to skewer, the central joke of the hypocrisy of neoconservatism was no longer available to them. The urgency of their comedy, the sense that they were meeting a moment as no one else could, began to fade away.“
- Didi Hallervorden hasst das Gendern, das ist hinlänglich bekannt. Sprache „entwickelt sich von selbst heraus, aus dem alltäglichen Sprachgebrauch und nicht durch Verordnungen“, diktierte da einer der ZEIT jüngst in den Block, der verordnet hat, dass sein Theater sich am Gendern nicht beteiligt. Hallervorden, der offenbar glaubt, dass das, was er er in seinem Leben so fabriziert hat, „politisch-satirisches Kabarett“ sei, hält auch viel auf seine Neugier, selbst im Alter. So weit geht die Neugier dann natürlich nicht, dass er sich in Menschen mit anderen Meinungen hineinversetzen würde. Menschen sind voller Widersprüche, das ist ja nichts verwerfliches. Und es steht jedem frei, seine Widersprüche mit großem Sendungsbewusstsein zu vertreten.
- Wolfgang M. Schmitt rezensiert Das Kanu des Manitu und geht dabei besonders auf die Lebenslügen der Filmindustrie ein, die sich wie Bully Herbig vorbetet, man würde irgendwie aus der Position des Underdogs gesellschaftskritische Spitzen abfeuern, während man sich jeder Haltung entledigt und den mainstreamigsten Mainstream vom Mainstream produziert.
- Der Youtuber heywolfi hat sich vor einiger Zeit mit dem „tiefen Fall“ von Serdar Somuncu befasst und bringt das Problem mit vielen Künstler:innen auf den Punkt, die sich gerne als tabubrechende edgelords inszenieren. Somuncus Humor „funktioniert am Ende nur, wenn man ihm einen doppelten Boden im Kopf baut, weil sein eigener Humor, sein eigenes Schaffen bringt diesen doppelten Boden nicht von alleine mit“. True.
Hörtipp: Studiogast Deluxe: Matilde Keizer

Comedienne, Improvisatorin, Podcasterin, Autorin und Comedycoach Matilde Keizer spricht im Satire-Deluxe-Studio beim WDR über ihren Werdegang zwischen deutscher und italienischer Kultur und Ihr erstes Soloprogramm Lasagne im Bett. Hier geht’s zur Episode
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