Comedy-Presseschau vom 07.03.24

  • Die Süddeutsche Zeitung hat recherchiert, wie die Veranstaltungslocation Weitblick in München zum Treffpunkt von Querdenkern, Verschwörungstheoretikern und AfD-Politikern wurde. Ich kann hinzufügen: und von Comedians. Ich war vor einigen Monaten dort mal auf einem Stand-up-Auftritt, nicht als Fan, sondern weil ich mal sehen wollte, wie die Fans bestimmter Comedians so aussehen. Hat natürlich nichts mit nichts zu tun, aber ein bisschen funny ist es ja dann doch, wie sich alles so fügt.
  • Leider erst jetzt entdeckt habe ich die Dankesrede, Jakob Schreier und Chiara Grabmayr, die Schöpfer der schönen Comedyserie Fett und fett vor einem halben Jahr bei der Verleihung des Medienpreises Blauer Panther gehalten haben. Die beiden fragen, warum sie eigentlich einen Nachwuchspreis bekommen. Möglicherweise, „weil die deutsche Fernsehlandschaft junge Inhalte, genauso wie diverse, queere Perspektiven konsequent ins Nachwuchsprogramm schiebt, so lange wie möglich, wo sie wenig Geld kosten, und man den Filmemachern sagt, was sie machen sollen“.
  • In den vergangenen Wochen gab es in deutschen Medien merkwürdig viele Interviews mit Entertainer Teddy Teclebrhan, und ich habe selbst lange gebraucht, um zu verstehen, dass er eine neue Show hat, nämlich die Teddy Teclebrhan Show. (Hier die Nachricht in der FAZ) Das erscheint legitim, wenngleich ich Gespräche über die Biografien von Künstlern meist weniger interessant finde als eben die Show (in der für meine Begriffe viel zu viel gelacht wird – nicht die Künstler, das Publikum sollte lachen) und die kritische Auseinandersetzung. Cornelius Pollmer findet die Show bei der Süddeutschen Zeitung „zäh“ und selten lustig und mutmaßt: Weil Künstlerkarrieren immer kürzer werden, glauben die Künstler, ihre wenigen Jahre stark auspressen zu müssen. Damit beraubten sie sich selbst der Zeit, die gute Comedy aber erfordert. Oha, denke ich: Mithin heißt es ja, dass Comedians erst nach zehn Jahren auf der Bühne allmählich gut werden. Bedeutet das, dass sich ausgewogene Stand-up-Comedy und eine erfolgreiche Karriere ausschließen?
  • How Taylor Tomlinson nailed her closing joke, erklärt Jason Zinoman in der New York Times. Gemeint ist der Schlussjoke in Tomlinsons neuem Special Have It All. Anhand von alten Mitschnitten bei Open-Mics wird deutlich, wie Tomlinson ihren Joke nach und nach geschliffen und geformt hat. Für all die, die Setup/Punchline als Podcast vermissen.
  • Chris Lamb hat einen glorifizierenden Artikel über die Exzellenz und Großartigkeit von Saturday-Night-Live-Erfinder Lorne Michaels geschrieben, der ohne ein einziges kritisches Wort über den Kanadier auskommt. (Siehe dazu etwa hier, hier, oder hier) Sehr merkwürdig für einen Journalismusprofessor, aber auch die sind offenbar nicht von der Anziehungskraft des Glamours in der Comedywelt gefeit.

Comedian Yorick Thiede

BIT-EMPFEHLUNG: Yorick Thiede: Der Rasenmäherroboter

Thiede findet ein Bild, das seine Gedanken vorstrukturiert und ihm einen Rahmen für eine Reihe an Witzen gibt. Und weil es so treffend ist und gut (und sparsam, dadurch unaufgesetzt) ausgespielt wird, bleibt es im Gedächtnis haften und kann weitererzählt werden. Wunderbares Bit, über das ich sofort im Podcast sprechen würde, gäbe es ihn noch und wäre Thiede nicht ohnehin mal Gast gewesen.

  • Vor ein paar Jahren trennte sich Saturday Night Live von Stand-up-Comedian Shane Gillis, weil der sich in Podcasts rassistisch und homophob geäußert hatte (auf die ungute, eindeutig uneindeutige Weise). Inzwischen hat Gillis, fernab der traditionellen Kanäle, seine Karriere so weit vorangetrieben, dass er als Gasthost zurückkehren durfte. Paste titelt dazu: Man Too Racist to Join SNL Cast Set to Host SNL. (Über die Gillis-Problematik, der in seinem Podcast gerne auch problematischen Figuren wie Holocaustleugnern eine Plattform gibt, ist bei The Daily Beast nachzulesen.) Das Ergebnis war durchwachsen. Jesse David Fox findet, dass Gillis bei seinem Anfangsmonolog bombte, und analysiert das bei Vulture. Das illustriert schön, dass Diskussionen über das Wesen von Comedy (und was sie darf oder nicht!) fruchtlos sind. Der einzig gangbare Weg führt über die manchmal sehr kleinteilige Auseinandersetzung mit dem Werk.
  • Spotify hat einen neuen Millionendeal mit Podcaster Joe Rogan geschlossen (hier die News beim Deutschlandfunk). Liest sich wieder spektakulär, allerdings: Im Rahmen des Deals soll der Podcast nicht weiter exklusiv auf Spotify zu finden sein, sondern z. B. auch wieder komplett als Video auf Youtube wie früher. Das ist eigentlich ein Eingeständnis, dass die Dinge bislang nicht so gut liefen wie erwartet, erklärt der Kanal Podcast Cringeauf Youtube.
  • Übermedien hat die schöne Rubrik Sachverstand, in der Menschen beschreiben, wie und warum ihr Fachgebiet in den Medien falsch dargestellt wird. Vor kurzem hat das der Schauspieler Tristan Seith getan. Bei der Klage, was alles Schauspielern als schlechtes Schauspiel angelastet wird, während die Regie (oder die zahllosen Sachzwänge beim Dreh) außen vor bleiben, habe ich mich durchaus ertappt gefühlt. Seith schreibt auch: „Ich hab ein paar Jahre gebraucht, bis ich begriffen habe, das sich schauspielerische Probleme nicht intellektuell lösen lassen.“ Guter Satz. Ich habe mich vor allem gefragt: Wirkt nicht auch Comedy oft wie eine Sache des Intellekts, ist aber von seiten der Comedians viel stärker vom Instinkt geprägt? Ich hoffe, dass sich irgendwann mal ein Comedian für die Rubrik empfiehlt.
  • Der Youtube-Kanal nein, marius hat alle Programme von Mario Barth als Fortbildungsmaßnahme geschaut und als Anreiz, sich mit geschlechterspezifischen Stereotypen auseinanderzusetzen. Auch mit einer alten Verteidigung wird aufgeräumt: Es werde klar, dass Barth nichts dran liegt, Stereotype zu brechen oder zu kritisieren, sagt Host Marius, „sondern dass er sie erkennt, glorifiziert und Frauen dafür mehr oder weniger an den Pranger stellt und Männer dafür feiert“.
  • Thomas Münzner, Vice President Content von Joyn hat mit Blick auf Comedy-Formate angekündigt: „In Zukunft werden wir noch stärker in dieses Genre investieren.“ Ja, wir wissen: Comedy ist ein Geschäft, eine Industrie. Aber ganz der Befremdung erwehren kann ich mich dann auch nicht, wenn Menschen, die professionell Comedy produzieren, sprechen wie Aktenordner.

Hörtipp: Hörspiel „Witzig!

Logo zum Hörspiel beim Deutschlandfunk

Dankenswerterweise wurde ich auf dieses schon etwas ältere Hörspiel im Deutschlandfunk hingewiesen, das den unmöglichen Untertitel Was kann und darf Humor heute? trägt. Davon sollte man sich nicht abschrecken lassen. Als Hörspiel hat die Behandlung viel mehr Möglichkeiten als z. B. Artikel in der Welt. Es kann Dinge künstlerisch vorexerzieren und muss nicht schon ewig wiederholte Worte bemühen. Enthält auch einen interessanten Theorieteil, der 1990er-Jahre-Comedy mit dem berühmten „Camp“-Essay von Susan Sontag zusammenbringt. Das hatte ich auch bislang noch nirgendwo gehört.

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