Sebo Sam: Sebo Sam für immer (2024)

Sicherlich hat jeder beim Fernsehkucken schon mal gedacht: Meine Güte, was ist deutsche Bühnencomedy spektakulär beschissen? (#notallcomedians) Da sich aber auch die allermeisten ernsthaften Comedians, um Geld oder Bekanntheit zu verdienen, in irgendeiner Weise genau dem Zweig der Unterhaltungsindustrie andienen müssen, der für die verachtete Comedy verantwortlich ist, hört man bei aller Beschissenheit öffentlich kaum ein schlechtes Wort aus dem Mund von Comedians. Man beißt nicht die Hand, die einen füttert. Umso interessanter, wenn jemand es dann doch tut.

Der Musikcomedian Sebo Sam hat nämlich gar kein Interesse daran, von den maßgeblichen Playern gefüttert zu werden. Beziehungsweise hat er kein Interesse mehr daran: Von seiner Entfremdung von der Comedyindustrie erzählt er regelmäßig im Podcast des Comedykollektivs Vier Feinde, dem er angehört. Und man erfährt es in seinem Special Sebo Sam für immer, das er selbst produziert und im Gloria-Theater in Köln aufgezeichnet hat. Produktionsriese Banijay, Nightwash, der Quatsch Comedy Club, die typischen austauschbaren Animationscomedians des Fernsehens – alle bekommen in Sams Songs etwas von dessen Ärger ab.

Abgesehen davon gibt es aber auch zahlreiche komische Ideen. Ich bin ein schlechter Mensch, weil ich ein Mensch bin lautet ein Songtitel. Ein anderes Mal beschimpft der Comedian einen Spiegel, weil ihm nicht gefällt, was der ihm zeigt. Mal zeigt er sich als Einparkgott, der in einem Choral seine Einparktricks erklärt und diese mit zwei Helfer:innen auf Bobbycars vorführt. Immer wieder animiert er das Publikum mit unentzifferbaren Handbewegungen zum Mitsingen, obwohl das die Lieder noch gar nicht kennen kann. Das versetzt die Show in eine nervöse, aber auch aufregende Spannung. 

Das ist stellenweise sehr random, sehr absurd und sehr großartig. Allerdings: auch sehr disparat – nicht nur auf die Ganzheit der Show bezogen, sondern auch den einzelnen Songs mangelt es manchmal an einem roten Faden. Im Vergleich zum hyperkontrollierten Bo Burnham wirkt Sam wacklig, seine Nummern erinnern eher an Helge Schneider, allerdings ohne dessen dadistische Konsequenz und musikalische Virtuosität. Die Liederform, Einspieler und verschiedene inszenatorische Einfälle verhindern allerdings, dass Sam seine eigenen Songs entgleiten oder ihm gar die Show um die Ohren fliegen würde.

Nun darf man nicht den Fehler machen, Sebo Sam für immer an der 08/15-Comedy zu messen, über die er sich lustig macht. Das Special ist keine Offenbarung der objektiv besseren Comedy, es ist ein subjektiver Entwicklungsroman, die Geschichte vom Suchen der eigenen Stimme als junger Künstler bzw. von der Unmöglichkeit dieser Suche angesichts einer Industrie, die sich das Präfix „kreativ“ anheftet, doch meist nichts anderes tut, als sich den Nachwuchs passend zurechtzudengeln und jegliche Subjektivität zu unterdrücken. Sam erzählt von sich – einem jungen Menschen, der seinen Weg gehen möchte, während das Business ständig irritiert fragt, warum er nicht dort langgeht, wo alle anderen langgegangen sind, und ihm zusätzlich noch Steine in den Weg legt.

Dass Sam dabei nicht alles gelingt und manche Nummern trotz toller Ausgangsideen etwas wenig ausgearbeitet wirken: geschenkt. Der Comedian erzählt seine Geschichte mit viel Mut zur Gestaltung, sodass ein stimmiges Gesamtpaket vorliegt – das ist stellenweise so durchformt, dass ich sogar eine mitten im Video platzierte Werbung für Sams anstehende Tournee zunächst für eine weitere visuelle Idee gehalten habe. 

Die Geschichte vom unaufhaltsamen Aufstieg eines Comedians führt Sam am Ende fast zwangsläufig in die höchste Position: Er wird Gott. Aber dieser Gott ist kein Aufsteiger, der sich selbstgerecht über die erhebt, die ihm übel mitgespielt haben. Der Gott Sebo ist einer, der nicht allwissend ist, einer, der in die Kirche geht, weil er vergisst, dass er Gott ist. Einer, der eigentlich lieber nicht Gott wäre. Bei aller rechtschaffener Lust am Beef mit der Industrie ist da bei Sam immer auch ein Stück Nachdenklichkeit und eine seltene Reflexionstiefe. Am Ende braucht es die auch, sonst wäre da allein Wut. Und die ist bekanntlich ein schlechter Ratgeber für Comedy.

Sebo Sam für immer, 91 Min., abrufbar auf Youtube

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