Harry G: Leben mit dem Isarpreiß (2016)

Von Harry G hat man über die Jahre immer wieder gelesen, er sei wie Gerhard Polt, ein Künstler also, der doppelte Böden einzieht und durch Übertreibung und Überspitzung Widersprüche offenlegt. Zumindest Übertreibung gibt es in Leben mit dem Isarpreiß von 2016, nun ja, übertrieben viel. Aufgenommen wurde die Show im Münchner Kesselhaus, einer für Stand-up sehr coolen und heimeligen Location. Harry G markiert hier die arrogante Rampensau auf Anschlag, ein brachiales Ekel, das sein Selbstbewusstsein, ja sogar seine Existenzberechtigung aus dem Hass gegenüber allem Nicht-Bayerischen zieht.

Als Projektionsfläche für diesen Hass dient dann der titelgebende „Isarpreiß“. Er ist eine Mischung aus Menschen, die mit Gelfrisur und Leasing-Porsche am Tegernsee unterwegs sind; aus Dieter Bohlen; aus „Gestütbesitzern“; aus jungen Müttern, die ins Teehaus gehen; aus Menschen, die Yoga machen; aus Preußen, die Billig-Lederhosen tragen; aus Menschen, die angeblich nach Bayern ziehen, weil es dort so sauber und sicher ist (wer bitte macht das?). Was in den kurzen Clips, durch die Harry G einst Bekanntheit erlangte, noch funktionierte, trägt auf über zwei Stunden nicht mehr. Der Isarpreiß ist alles und nichts. Er ist eine Kreatur wie Frankensteins Monster, nur weniger elegant zusammengenäht.

Dabei gibt sich Harry G maximal unsympathisch. Einem Preußen, der ihm beim Wandern einen guten Morgen wünscht, wünscht der Comedian im Gegenzug den Tod. Es gibt abgeschmackte Witze über Waldorfschulen, Yogastudios und Kinderwagenmütter, es gibt frauenfeindliche Witze, Witze über sexuelle Übergriffigkeit, Witze über Gewalt gegen Kinder, Witze über Ängstlichkeit gegenüber alkoholisierten Autofahrern, dazu rassistische Stimmenimitationen. Der Comedian bringt es sogar fertig, sich über Billiglederhosen zu mokieren und dabei zum butt of the joke ausgerechnet die Arbeiter in der chinesischen Fabrik zu erküren, die diese Lederhosen nähen. Gratis dazu gibt es einen wildly rassistischen Witz über, oh boy, die Augenform der Chinesen, der dann dämlich abmoderiert wird mit „Das war jetzt bissl gemein, aber es war halt naheliegend“. Seufz. Aber nochmal zum Mitschreiben: Naheliegendheit™ ist kein Kriterium für gute Witze und wird auch nie eines sein.

Theoretisch wäre es ja immer noch möglich, dass bei all dem eine gelungene Comedyshow herausspringt, etwa durch kluge Gedanken, durch Ambivalenzen, durch Widerhaken. Aber doppelte Böden sucht man in Leben mit dem Isarpreiß vergebens. Die wenigen selbstironischen Momente stehen komplett im Dienst der Preußenabwehr. Harry G nimmt schlechtere Lebensbedingungen für alle in Kauf – etwa gelten ihm unmenschlich teure Mieten in München wieder als Ausweis der bayerischen Brillanz – damit nur „wieder ein Arschloch weniger“ ins gelobte Land zieht. Es gibt bei Harry G ausschließlich das „zu viel“ und das „drüber“. Ein doppelter Boden entsteht allein durch die Hoffnung des Publikums. Und es wäre sowieso die Frage, ob die Zuschauer:innen, die sich für eine Harry-G-Show in Dirndl und Trachtenjanker werfen und mit dem Künstler abklatschen, das tun, weil sie einen doppelten Boden erwarten.

Letzten Endes leidet Leben mit dem Isarpreiß darunter, dass es ja niemals wirklich einen guten Grund dafür gab, bayerische Überlegenheit zu behaupten. Würde Harry G eigenere Gedanken äußern, die möglicherweise die Frage beantworten, warum ihm das Preißn-Bashing so wichtig ist, könnte das eine interessante Schau in Bayerns Seele werden, ein Tänzeln auf dem schmalen Grat zwischen Rampensauigkeit und Zerbrechlichkeit. Stattdessen bleibt die Einsicht: Dass in Bayern manch blöde Preußen herumlaufen, ist unschön. Aber wenn alle wären wie Harry G, wäre es die Hölle.

Leben mit dem Isarpreiß, 2h 12min, abrufbar bei Netflix

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