Comedy-Presseschau vom 27.10.22

(Foto: Museums Victoria on Unsplash)
  • Was ist nur mit der Satire los? Wundert sich Sebastian Seidler in der Berliner Zeitung. Denn: Krieg, Corona und Faschisten und allerhand Wunden allerorten, aber kaum Finger, die hineingelegt werden wollen – oder nur in einer Weise hingelegt werden, die dem Autor nicht zusagt: Die Filme Triangle of Sadness oder Don’t Look Up zum Beispiel sind Seidler zu harmlos. „Gelungene Satire erkennt man nicht am Lachen der Zielgruppe, sondern am Zorn des Gegners“, schreibt er. Möglicherweise ist das ja das Problem der Satire, dass vielfach weder Gegner noch Emotion klar erkannt werden. Auf jeden Fall lesenswerter Text.
  • Produzent Hugo Egon Balder vermisst medienwirksam (da pünktlich zum RTL-Samstag-Nacht-Revival am Wochenende) die Albernheit in Deutschland.Ist natürlich Quatsch, sage ich, um zu der Gelegenheit mal auf Till Reiners Happy Hour auf 3sat hinzuweisen, die Balder offenbar nicht schaut. In der jüngsten Folge etwa sind Alex Stoldt, Daniel Wolfson, Helene Bockhorst, Coremy und Özcan Cosar zu Gast. Da ist sie doch, die Albernheit, und obendrein viel frische Comedy.
  • Der Mannheimer Morgen beschwert sich, dass bei Felix Lobrechts Show All you can eat in der Stadt die Presse „nicht zugelassen“ war. Soll heißen: keine Pressekarten. Begründung des Veranstalters: Man möchte nicht, „dass die Witze öffentlich verbreitet werden“. Ist natürlich eine Ausrede, zieht man in Betracht, dass Lobrecht ja sogar Clips von Try-out-Shows online stellt. Aber er ist eben auch auf Berichterstattung der Regionalpresse nicht mehr angewiesen, was diese zu einem auch nicht gerade unpeinlichen Lamento veranlasst. Für ein Medienhaus könnten 60 Euro Ticketpreis als Spesen ja schon mal drin sein. Trotzdem: Kunst braucht einen Ort der Reflexion. Wo dieser liegen kann, wenn die Künstler ihn nicht bieten und die einstigen Gatekeeper sich bockig zeigen, ist erst einmal unbestimmt.

Comedian Sheng Wang

SPECIAL-EMPFEHLUNG: Sheng Wang: Sweet and Juicy (2022)

Vermeintlich simples Rezept: Der in Los Angeles lebende Wang beboachtet und formuliert diese Beobachtungen in einem fort neu um, baut bedächtig Satz für Satz auf. Aber wie und was man beobachtet, ist halt auch enscheidend. Mit kleinen, originellen Bits, wie dem über das Ausdrucken von privaten Dokumenten im Büro oder über dysfunktionale Pumpspender für Kosmetik.

  • Ein Reboot der Nackten Kanone steht an. Mit… äh, Liam Neeson. Vielleicht entdeckt er ja noch den Leslie Nielsen in sich.
  • Tim Harding rezensiert bei Chortle einen Auftritt von Joe Rogan in London: „His whole position is so staunchly individualist, so based in not caring, it’s interesting that he comes back so often to the critics and what he’s allowed or not allowed to say from his giant $200million platform.“
  • Jason Zinoman schreibt in der New York Times anlässlich von u.a. Danny Jolles‘You Choose über einen kleinen Trend hin zu interaktiven Comedyspecials, „with the potential to be the most dystopian comedy innovation since the laugh track“.
  • Bei Paste spricht der US-amerikanische Comedian und Autor Joe Pera über den langsamen Rhythmus seiner inzwischen leider abgesetzten Show Joe Pera Talks With You, deren Episoden ohnehin immer recht kurz waren und trotzdem noch Zeit für Phasen der Kontemplation und Reflexion fanden.

Lesetipp: Humour Is Dead

Ausriss von Paul Fairie

Der kanadische Historiker Paul Fairie sammelt auf Twitter regelmäßig Belege dafür, dass heute nichts besser oder auch nur entfernt anders ist als früher. In Ausrissen aus alten (und neuen) Zeitungen verfolgt er Topoi wie jüngst den Vorwurf, dass heute niemand mehr einen rechten Sinn für Humor habe: A Brief History of People Have Lost Their Sense of Humourvon 1907 bis 2022.

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