Comedy-Presseschau vom 23.12.23

  • „Wenn Kunst verletzend, anmaßend, arrogant oder blöd ist, dann wird sie auch kein Publikum finden“, sagt Comedian Rick Kavanian (den man zum Beispiel aus der Bullyparade kennen kann) im Gespräch mit Teleschau. An dieser Stelle kann man sich das Emoji der beiden stumm glotzenden Augen vorstellen. Ach, hier ist es ja: 👀
  • Walter Landshuter, der Initiator des Passauer Scharfrichterbeils, eines renommierten Kabarettpreises, klagt in der Süddeutschen Zeitung: Eigentlich gebe es irrsinnig viel Stoff für Satire, aber Leute, die Talent und Engagement haben, etwas mitzuteilen, seien dünn gesät. Kaum mehr jemand sei politisch interessiert und sattelfest. „Die Programme sind oft sehr selbstreferenziell. […] Ich hoffe, das ist eine vorübergehende Zeiterscheinung, das liegt vielleicht an den sozialen Medien, wo man sowas raushauen kann.“ Anlass des Gesprächs ist der 40. Geburtstag des Scharfrichterbeils. Älter ist nur die Über-einen-Kamm-Scherung von Bühnenkunst, die man nicht mehr versteht.
  • Das Publikum überlässt den Humor in der Musik „irgendwelchen Komikern“ (wie Helge Schneider), Liedermachern (wie Georg Kreisler) oder „Ballermännern“ (wie Micki Krause). Findet zumindest Martin Zips in der Süddeutschen und fragt: „Was aber ist mit dem klugen, dem hintergründigen Humor in diesem Bereich?“ Humor bitte nur, wenns klug und hintergründig ist, und wer das verlangt, der hat meiner Meinung nach auch den plötzlichen Lacher aus der Magengrube nicht verdient.

BIT-EMPFEHLUNG: Andy Daly und leere Comedyhülsen (2007)

Der US-amerikanische Comedian und Improvisator Andy Daly füllt vier Minuten mit nichtssagenden Stand-up-Floskeln wie „You gotta be kidding me“ oder „You know what I mean?“. Das ist so kunstfertig, treffsicher, dabei kritisch und entlarvend für viele Arten der Stand-up – mein allerliebstes Stück Meta-Comedy. Und nicht zu vergessen lustig! Spätestens beim ohne jegliche Kohärenz vorgetragenen „Married people here tonight?“ breche ich ab und wünsche es auch euch sehr. Gibt’s auf Youtube oder Spotify.

  • „Auch bei Satire gibt es zum Beispiel Grenzen des guten Geschmacks oder journalistisch-ethische Grenzen“, findet Ferdinand Wegscheider, manchen vielleicht bekannt als Satiriker aus der Sendung Der Wegscheider auf ServusTV, manchen vielleicht auch als Möchtegernsatiriker aus der Sendung Der Wegscheider auf ServusTV. Vor allem bei „Herrn Böhmermann“ habe er das Gefühl, dass „da Grenzen öfters überschritten werden“. Und das geht ja nicht, denn Böhmermann werde aus öffentlichen Geldern finanziert. Wie übrigens zum Teil auch ServusTV, das nach Berichten des ORF auch Millionen an staatlichen Fördergeldern eingestrichen hat. Meine Güte. Grenzen darf man halt immer nur überschreiten, wenns grade passt.
  • Ein Artikel im Kölner Stadtanzeiger über ein Programm der Kabarettistin Monika Gruber hat eine Wagenladung an Leserbriefen nach sich gezogen, von denen die Zeitung online eine Reihe publiziert hat. Ist ein schöner Überblick über allgemeine zeitgenössische Aufassungen von Humor und Satire. Enthält natürlich auch den Dauerbrenner „Wer sich aber gegen den Mainstream stellt, wie Dieter Nuhr, Lisa Eckhart oder eben Monika Gruber, wird in den Feuilletons zerrissen“. Andersrum wird ja der Schuh draus: Sie sind so erfolgreich, weil sie voll im Mainstream liegen. Ich meine, den Erfolgreichsten der Erfolgreichen noch wohlmeinende Anerkennung durch das Feuilleton angedeihen lassen, kann unser vordringlichstes Ziel nicht sein.
  • Passend dazu als Fundstück ein satirisches Video, mit dem die Freiwillige Feuerwehr Dachau für neue Mitglieder wirbt. Das ist sehr sympathisch, bringt aber auch die weit verbreitete Vorstellung zum Ausdruck, dass Satire eben alles sein kann, was einem so einfällt. Aber Satire muss eben auch halbwegs stimmen. Noch nie haben sich aber irgendwo Umweltaktivisten gezielt vor ein Feuerwehrauto geklebt, um einen Rettungseinsatz zu verhindern, wie das im Clip gezeigt wird. Und ob es wirklich an dem liegt, was man bei der Feuerwehr für Wokeness hält, dass sich immer weniger Menschen ehrenamtlich engagieren? Ist die zugrundeliegende Analyse nicht tragfähig – und die Aussage „Wenn’s brennt, sterben Menschen wegen Wokeness“ schießt möglicherweise ein klein wenig über das Ziel hinaus – fällt die Satire auseinander.
  • Danke an Shahak Shapira, der im Podcast Alles muss raus von Journalist Thilo Mischke yours truly Comedymagazin erwähnt und lobt für das Ernstnehmen von Stand-up. Gibt’s hier zum Nachhören (und nicht nur das Lob ist interessant, sondern auch die restliche Folge, aber das Lob kommt irgendwann nach 1h 10).

Schau-Tipp: Comedy und Games

Das Portal esports.com der ProSieben-Tochter SevenOne produziert auch efernsehen, Fernsehen über E-Sport und Gaming. Eine live im Münchner Lucky Punch Comedy Club aufgezeichnete Episode befasst sich mit dem Verhältnis von Videospielen und Comedy. Dazu gibt’s sehr viele Insider für Nerds und Stand-up-Sets von unter anderem Maxi Gstettenbauer und Jonas Imam. Hier geht’s zur Folge (Einziges Manko: Das einzige mir bekannte Spiel über Stand-up-Comedy, Clam Man 2, kam übrigens leider nicht vor.)

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