Comedy-Presseschau vom 10.02.22

(Foto: Museums Victoria on Unsplash)
  • So, nun ist sie endgültig vorbei, die Satireaffäre um Jan Böhmermann und das Erdoğan-Gedicht. Zumindest was die Juristerei angeht. Die Satireaffäre um Jan Böhmermann und das ErdoğanGedicht ist vorbei, zumindest was die Rechtsmittel in Deutschland angeht. Das Bundesverfassungsgericht hat die Beschwerde des Moderators abgelehnt. Der hatte beklagt, dass 18 von 24 Zeilen des Gedichts verboten worden waren, und gefordert: Ganz oder gar nicht! Da ist auch was dran bzw. wäre was dran gewesen, denn mutet es doch ziemlich idiotisch an, bei der Bewertung eines Kunstwerks einzelne Zeilen herauszureißen. Böhmermann kann nun noch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anrufen. Sofern er das möchte. Also: Vorhang zu und alle Fragen offen. Die Legal Tribune Online hat den Fall ausführlich juristisch zusammengefasst.
  • Rogan I: Spotify hat’s ja nicht leicht dieser Tage, angesichts der wachsweichen Haltung zu Joe Rogan und dem Zünden von Nebelkerzen (Wir sind nur eine Plattform! Und wir sind doch alle wohl nicht gegen free speech!?) völlig zurecht. Sandro Schröder kommentiert bei Übermedien: „Rogan ist überfordert mit seiner Reichweite. Aber zumindest Spotify sollte es nicht sein, wenn es seine weltweiten Ambitionen als zentrale Plattform für Audio ernstmeint.“
  • Rogan II: Als besondere Rogan-Apologetin tat sich in der jüngsten Aufregung die Stand-up-Comedienne Whitney Cummings hervor. Auf Twitter schrieb sie „Comedians did not sign up to be your hero. It’s our job to be irreverent and dangerous“, was bedeuten sollte: Lasst Joe mal in Ruhe und widmet euch den wirklich Mächtigen. Das zog eine Welle an Tweets nach sich, die das Wesen™ von Comedians thematisieren, um Cummings Worte zu parodieren. Einer meiner Favoriten stammt von Comedian Johan Miranda:„the comedian’s job is to point at the guy in the audience who knows what he’s talking about“
  • Cummings Tweets und die kleine Kontroverse nimmt Aja Romano bei Vox zum Anlass, über „Comedy’s existential crisis“ (*da da dam*) zu sinnieren. Diese Krise ist bei näherem Hinsehen dann doch keine, vielmehr geht es um die Tatsache, dass es eben solche und solche Comedy gibt. Empfehlen kann ich den Text trotzdem all jenen, die nochmal sämtliche Comedydiskurse der vergangenen sechs Monate zu einem freundlichen Bündel verschnürt lesen wollen.
  • Deutsche Stand-up-Comedians im TV: Till Reiners folgt auf Sebastian Puffpaff bei Puffpaffs Happy Hour, nachdem der Moderator von ProSieben für die Neuauflage von TV Total verpflichtet wurde. Die Sendung heißt dann natürlich nur noch Happy Hour. Außerdem zeigt das Erste ab März Limbus, eine Personalityshow mit Tahnee über die sieben Todsünden, bei der Promis durch „lustige und anarchische Elemente, Comedy und neue absurde Spiele“ (schön, wie hier „Comedy“ getrennt von Lustigem und Anarchischem genannt wird) vor dem „weiteren Abstieg“ in die Hölle bewahrt werden sollen. Auf jeden Fall lustvoll verwirrend.

SPECIAL-EMPFEHLUNG: Pierre Novellie – Quiet Ones (20212

Der 31 Jahre alte Novellie spricht in Quiet Ones über seinen Hunger, Verschwörungstheorie und traurige Clowns. Er hat ein großartiges Bit über Hühner und ein nicht-abgedroschenes Segment über Corona im Gepäck. Das ist nicht brillant, aber grundsolide. Beeindruckend fand ich Novellies Dichte: Jeder Satz trägt etwas bei, ist entweder Punchline oder bereitet diese vor. Hier geht’s zum Special auf Youtube

  • Was braucht man, um Comedian zu sein? Eine Agenda? Genug Wut im Bauch? Eine Portion Bösartigkeit? Oliva Cathcart geht bei Paste dem nach, What Movies and TV Get Wrong about Stand-Up. Und es ist ja manchmal wirklich absurd.
  • Der Hessische Rundfunk widmet sich in drei halbstündigen Episoden der Macht der Satire. Dominic Harapat rezensiert in der Frankfurter Rundschau: „Die verschiedenen Wortbeiträge sind entgegen meiner Befürchtung und trotz der Teilnahme Florian Schroeders erfreulich gut und kompetent vorgetragen, wenn auch häufig für den Unterhaltungsfaktor durch längere Sketche des ÖRR-eigenen Browser Balletts oder mitunter zu lang anmutenden Zwischensequenzen unterbrochen.“
  • Comedykritiker Seth Simons weist bei Paste auf die reibungslose Rückkehr von Comedian Chris D’Elia in den Stand-up-Zirkel in den USA hin. D’Elia wurde von mehreren Frauen sexual misconduct und grooming vorgeworfen. Er zeigte sich in einem Video reumütig („I do have a problem“). Simons schreibt: „Now he’s on the club circuit again, with nothing but his own word to show he’s no longer the guy who didn’t do what he was accused of. Once again it turns out the comedy industry offers no resistance to the return of unrepentant creeps.“
  • Deutsche Stand-up-Specials, die ich gerne noch erwähnen will: DER, DIE, DAS von Nadiv Molcho gibt’s auf Youtube zu sehen. Eine half-hour von Manuel Wolff aus Köln mit dem Titel geboostert. gibts für fünf Euro in diese Kaffeekasse. Außerdem hat Shahak Shapira sein 2020er Special German Humor nun auch auf Youtube gestellt.

Lesetipp: Buster Keaton’s Comedy

Anlässlich zweier neuer Bücher über Leben und Werk des Stummfilmstars Buster Keaton zieht Adam Gopnik im New Yorker große Linien (von Kubismus, Dadismus und Surrealismus über Keaton bis in die Gegenwart), nimmt eine Unterscheidung von comedy of invasion und comedy of resistance vor und hat allerlei lesenswerte Anekdoten im Gepäck, obendrein den Satz „It takes only one bomb to bring the accountants down on the head of the comedian“. Hier geht’s zum Artikel

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