Comedy-Presseschau vom 04.08.22

(Foto: Museums Victoria on Unsplash)
  • „Der Humor setzt nicht auf Pointe, sondern biegt immer wieder in Wort und Tat um die Ecke.“ In der FAZ bespricht Heike Hupertz lobend und bedächtig die neue Staffel der Comedyserie Fett und fett (je nach Zählung die zweite oder dritte).
  • Von einem gelinde gesagt merkwürdigen Casting für eine Comedyshow im ORF berichtet der österreichische Comedian Xaver Schumacher auf Facebook. Das liest sich wunderbar lustig („zumindest die zipfelwitzchallenge verweigere ich“), leider aus den falschen Gründen: Das Konzept der Show ist fragwürdig und die Aufgaben zeugen nicht nur von einem gestrigen Humorverständnis, sondern auch von einem gestrigen Menschenbild der Macher:innen. Schumacher schreibt:

    „weil das prekariat auch im kabarett-bereich extrem ist, und man eh bereit ist alles zu tun für seinen lebenstraum, finden sich immer junge leute, die zwar einen 100 mal so guten humor haben wie diese typen, aber sich genau diesen humor kaputt machen lassen, indem sie in formate gedrängt werden, die auf allen ebenen so deppat sind, dass es rein physkalisch unmöglich ist irgendwas witziges und geistreiches und relevantes zu machen.“
  • Verrisse erntet Amazons One Mic Stand, die Sendung in der Comedians (wie Hazel Brugger) andere Promis (wie SPD-Politiker Karl Lauterbach) in Stand-up coachen. Das ist teilweise ungut zu lesen – man haut drauf, weil man halt auf missglückte deutsche Comedyversuche so prächtig draufhauen kann und sich obendrein freut, wenn auch die Streamingstreber mal versagen. Unhämisch rezensiert Alexander Krei bei DWDL und findet’s „stellenweise seltsam zäh und künstlich“.
  • Filmanalytiker Wolfgang M. Schmitt rechnet auf Youtube mit der Komödie Liebesdings von Anika Decker ab und stellt grundlegendere Betrachtungen über schlechte deutsche Komödien an – etwa zum erhobenen Zeigefinger, zum Lachen aus Pflichtgefühl und der Tatsache, dass deutsche Komödien immer lachende Menschen ausstellen, wo doch eigentlich das Publikum lachen sollte.

Comedienne Eliza Skinner

SPECIAL-EMPFEHLUNG: Eliza Skinner: Regarding My Lovers (2020)

Wenn schon Witze über Dating, dann doch bitte so wie bei Eliza Skinner: verankert im Individuum, mit unverwechselbarer Perspektive und originellen Bildern (z. B. die feral cats unter dem Auto). Sprachspielereien („buttload of birds“) und ein paar Songs runden das Album ab. Wieso auch nicht.

  • Ist Bill Burr einfach wie Dieter Nuhr, und nur cool, weil er englisch spricht? Las ich vor kurzem irgendwo, ist aber Blödsinn: Burrs Comedy ist viel verspielter, trotz der angry-white-man-Attitüde differenziert und hat keine Spur von Bitterkeit, wie man in seinem neuen Special Live at Red Rocks wieder mal sehen kann. Der Comedian Jake Flores fasst es prägnant zusammen: „Bill burr is basically doing Chappelle level reactionary dumb takes but in a way that’s actually funny and self aware and somehow that makes the entire difference“
  • Der Stand-up-Comedian Maxi Gstettenbauer hat sich von Twitter verabschiedet. Die Begründung: „ich kenne einige von den großen Moralisten hier persönlich und weiß, dass privat ein bisschen anders gedacht wird. Wenn das der Preis für Reichweite heutzutage ist, dann halt ohne mich.“ Es ist irgendwie folgerichtig, dass ein auf Authentizität bedachter Stand-up-Comedian damit hadert, dass seine Kunstform auch ein Business und somit eine Scheinwelt ist. In den USA hat man weniger Probleme, das zusammenzubringen bzw. können Comedians dort komplett im Schein aufgehen. In Deutschland dagegen muss immer alles echt-echt sein.
  • Weil das ZDF mit seiner Late-night-Comedy (Böhmermann, Welke etc.) so erfolgreich ist, wurde man beim Ersten offenbar neidisch und startet mit einer Show um die Fernsehjournalistin Anja Reschke einen eigenen Versuch. Die Show soll „die Expertise der Recherche- und Satire-Redaktionen zusammenführen“, heißt es im Spiegel. Hoffentlich geht das nicht auf Kosten von beiden.
  • Der südafrikanische Comedian Conrad Koch äußert bei Chortle Interessantes: „[C]omedy that gets profile and prestige is almost entirely dictated by who Netflix and Co know pay their subscriptions: rich (and, in the West, mainly white) people. Netflix doesn’t care about anyone living in shacks […].“ Und: Nicht cancel culture und woker Mob™ beschränken Comedians in ihrer Meinungsfreiheit. „Economic power almost entirely dictates what comedians say“, muss doch, wer breiten Erfolg haben will, gemeinhin den alles andere als progressiven Massengeschmack treffen.
  • Jason Zinoman porträtiert in der New York Times die ungemein einflussreiche Janeane Garofalo, die aber keine Arenen spielt, sondern seit mehr als 30 Jahren über Open-Mic-Bühnen tingelt. „She’s not on Twitter, Instagram or any social media. She has no website or podcast, hasn’t done a special in years and doesn’t even have a computer, smartphone or email address.“ Bringt einen dazu, mal gängige Auffassungen von Erfolg zu hinterfragen.

Lesetipp: The Stand-up Who Became a Therapist

Ex-Comedian Oscar Jenkyn-Jones

Oscar Jenkyn-Jones war vor gut zehn Jahren ein „frustratingly contrary maverick“ und eines der aufstrebendsten Talente in der britischen Comedy. Dann tauchte er ab. Der Journalist Ryan Gilbey hat ihn aufgespürt und sich die Geschichte einer Entfremdung erzählen lassen. Im Guardian beschreibt er ohne sad-clown-Folklore, warum Jenkyn-Jones zum Therapeuten umgeschult hat. Zum Artikel

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