Vielleicht liegt es ja daran, dass Enissa Amani 2019 niemandem mehr etwas beweisen muss. Gut 30 Minuten hätte sie bei ihrer Show im Rahmen der Netflix-Reihe Comedians der Welt zur Verfügung, aber sie geht denkbar verschwenderisch damit um.
Es dauert mehrere Minuten, bis der erste Witz kommt. Später gehen viele Minuten darauf, Showkonzept und anderweitige Netflix-Allotria zu kommentieren. Viel Zeit verwendet Amani bei der Aufzeichnung im Berliner Quatsch Comedy Club auch darauf, überhaupt ihr bereits existierendes Netflix-Special Ehrenwort zu bewerben und sich über die internationale Reichweite der Plattform zu freuen. (Sie belässt es beim Amüsements von jemandem, der sein Glück kaum fassen kann, und verpasst es, Witze anzuschließen.) Und dann wiederum spricht sie über Reaktionen auf eines der Bits aus Ehrenwort, was natürlich erfordert, das Bit selbst noch einmal zu wiederholen.
Kurz und gut: Die half-hour ist eine vertane Chance. Es bleibt dann zu wenig Zeit übrig, um Witze wirklich auszuarbeiten, etwa so ein absurdes Gedankenexperiment wie die Frage, ob Nelson Mandela wohl Roggen- oder Dinkelschrotbrot kaufen würde. Solche Ideen haben Potenzial, bleiben aber an der Oberfläche. Interessante Ansätze zu Geschlechterklischees oder zur eigenen Verstrickung in misogyne Denkweisen werden allenfalls kurz angerissen. Viel zu häufig spricht Amani das Allernaheliegendste aus. Zum Beispiel, wenn sie eine elegante italienische Seniorin beschreibt, die mit Sonnenbrille in der U-Bahn sitzt, worüber sich dann imaginierte Deutsche im Witz wundern: Nanu, da sitzt eine Frau mit Sonnenbrille in der U-Bahn, die braucht es hier doch gar nicht. Warum trägt die eine Sonnebrille? Das sind zu kleine gedankliche Sprünge und lädt das Publikum zum Abschalten ein.
Direkt ungut wirken Jokes im „ist doch wahr“-Modus, etwa die Anklage einer Frau, der von 20 Partnern immer wieder Gewalt angetan wird und die also auch selbst schuld sei, so Amani, weil sie nie dazulerne. Es ist nur ein Miniwitz, aber einer, der eine ganze Welt entfaltet und es ausspart, die Problematik einer gewalttätigen Gesellschaft zu thematisieren. Auch Prostituierte im Witz als „geldgeil“ zu framen, lässt angesichts der Zwangslagen und hemmungsloser Dumpingpreise in der Sexarbeit ein schales Gefühl zurück.
Die Ansage „politische Korrektheit hat in Comedy nichts verloren“ wirkt dann auch aufgesetzt, da Amani so edgy selbst ja nicht ist. „Wenn ich das sage, ist bestimmt Hälfte im Saal sauer„, leitet sie ein Bit über den falsch verstandenen Hashtag #couplegoals ein, bei dem man unschlüssig sein darf, ob nicht auch Amani den Hashtag nicht ganz korrekt verstanden hat. Die Basis der Jokes ist immer leicht verrutscht, nicht ganz on point. „Es gibt immer noch Leute, die Stand-up-Comedy nicht raffen„, sagt Amani einmal. Ihre Definition der Kunstform könnte man mit „frech und frei von der Leber weg erzählen“ umschreiben. Ja, so kann man das schon machen. Mehr Struktur und Wille zur Form wären aber nicht verboten.
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