Comedy-Presseschau vom 28.08.24

  • Im Alter von 94 Jahren ist Mitte Juli Stand-up-Legende Bob Newhart gestorben. So gut wie alle heutigen Stand-up-Comedians stehen auf seinen Schultern. Wirkt zwar manchmal wie witty Sprüchklopferei, war aber sarkastisch, satirisch, dummdreist und oft gar nicht so blöd. „Newhart was a bridge between [Richard] Pryor and [George] Carlin and the previous generation of stars like Mort Sahl, who brought political commentary into stand-up; Mike Nichols and Elaine May’s improv acts; and Lenny Bruce. But in his work you may recognize the genesis of Seinfeld’s and Larry David’s style along with that of every other observational humorist“, schreibt Melanie MacFarland bei Salon.
  • Das Fringe Festival im schottischen Edinburgh, das größte (unter anderem) Comedyfestival der Welt, ist eben zu Ende gegangen. Der Comedian Aaron Twitchen beschreibt bei Chortle den Glamour und die künstlerfeindliche Misere in einem Bild: „I just think audiences deserve more than a sweaty comedian forced to change in a disabled cubicle, with a fringe plastered to their forehead, and one wet foot because they stepped in the toilet while changing their shoes.“
  • Ein Comedian, den ich sehr mag, ist der australische Künstler Reuben Solo. Sehr meta, sehr viele Ideen, sehr viel silliness, meine Güte. Irgendwie ist Solo bei der Talentshow America’s Got Talent gelandet und hat einen sagenhaften Bomb hingelegt. Für mich war es faszinierendes Anschauungsmaterial: Warum wurde Solo bei AGT so fatal verachtet, während ich selbst mich beim Schauen derselben Witze in seinem Special kaputtgelacht habe? Vermutlich hat es damit zu tun, dass man als Comedian doch auch eigentlich gar nicht von einem Jurymitglied wie Heidi Klum gut gefunden werden möchte, nicht wahr?
  • Der britische Comedian Finlay Christie stellt die beiden verschiedenen Seelen gegenüber, die in der Brust seines Kollegen Jimmy Carr wohnen: die Beleidigungsknalltüte auf der Bühne und den reflektierten Gutmenschen (hier passt der Begriff mal) in Podcasts. You can’t have it all.
  • Irgendwann in der Zukunft wird es eine Doku über Mitch Hedberg geben, weiß Deadline, einen der verehrtesten Comedians aller Zeiten. Einflussreich war Hedberg übrigens nicht so sehr, weil der Oneliner-Stil, den er pflegte, einfach so sackschwer ist.
  • Josh Kingsford hat auf seinem Kanal Comedy Without Errors eine ausführliche Analyse von Shane Gillis‘ delivery veröffentlicht. Blendet manch problematische Implikation der Figur Gillis aus, erhellt aber die Beliebtheit, die Gillis in den Kreisen der toxic comedy um Joe Rogan und Konsorten genießt.
  • Ex-TV-Total-Moderator Stefan Raab kommt zurück. Moritz Post schreibt in der Frankfurter Rundschau, wie folgerichtig es war, dass Raab eigentlich damals aufgehört hat: „Zappt man […] in alte Folgen von ‚TV total‘, bekommt man unsanft in Erinnerung gerufen, dass Raab damals vor allem mit Witzen auf Kosten marginalisierter Gruppen – Homosexuelle, Ausländer:innen, Menschen mit Behinderungen – beim Publikum zu punkten wusste. Mit dem heutigen Blick zurück kann man dies als rechte Komik oder Comedy bezeichnen, die in Zeiten von Pride-Month, der Ehe für alle und medial weit verbreiteter Bodypositivity nicht mehr verfängt. Dafür brauch es keine Wokeness, sondern einfachste Menschenfreundlichkeit, um das zu erkennen. Es ist jedoch nicht zu erwarten, dass Stefan Raab diese als neue Seite an sich entdeckt haben wird.“
  • Kurzzusammenfassungen von Comedyspecials bei Netflix (und anderen Streamern) sind eine ganz besondere Kunstform. Es ist mir ein Rätsel, wie man auf so wenigen Zeichen so viele Stilblüten und Sinnentstellendes unterbringt. Mein neues Lieblingsbeispiel: „Stand-up-Komiker Michael Mittermeier beschäftigt sich mit dem Aberglauben rund um die Nummer 13 und denkt dabei an seine eigenen Erfahrungen.“ Welche Beispiele habt ihr?

      Lesetipp: An Accidental Comedian of the People

      cindy aus marzahn symbolbild

      Trägt die Figur Cindy aus Marzahn vor allem zur Verspottung armer Menschen und Klassismus bei? So habe ich das lange interpretiert. Eine andere Sichtweise hat mir vor kurzem ein Artikel aus der New York Times von 2012 nahegebracht: „The middle class is shrinking and much of [Germany’s] recent gains came from labor-market changes that […] pressured people to work. […] Cindy brought the low-paying jobs and the secondhand stores onstage, with songs as well as monologues“. Hier geht’s zum Artikel

      Die Presseschau gibt’s auch als Newsletter, einfach hier anmelden:

      Comedy-Newsletter

      Alles zu Stand-up und Comedy: Szeneinfos und Empfehlungen zu Specials, Bits, Interviews, Essays, News, Podcasts und Serien.