Lachen für den Status Quo: Was ist bloß mit der Satire los?

Satire muss weh tun, doch stattdessen wird sie im Kino immer mehr zum Wohlfühl-Genre. Eine Schande, findet unser Autor.

Er macht es richtig: Jan Böhmermann mit seiner Show „ZDF Magazin Royale“.
Er macht es richtig: Jan Böhmermann mit seiner Show „ZDF Magazin Royale“.ZDF/ Jens Koch

Zu lachen gibt es derzeit wenig. Die Krisen der Gegenwart sind erdrückend und für den Einzelnen kaum noch zu verarbeiten. Das Gefühl der Überforderung angesichts der täglichen Schreckensmeldungen, des Krieges in der Ukraine und des voranschreitenden Klimawandels breitet sich aus. In Italien ist eine rechte Regierung an der Macht, und was sich das Coronavirus für den Winter einfallen lässt, wird sich erst noch zeigen. Folgt man einer Aussage des polnischen Schriftsteller Stanislaw Jerzy Lec, müsste Satire, welche Widersprüche der Gegenwart durch Spott, Übertreibung und Zuspitzung aufdeckt, die Kunst der Gegenwart sein: „Wenn es nichts zu lachen gibt, kommen Satiriker auf die Welt.“ Oder eben ins Kino.

Diese Woche startet mit „Triangle of Sadness“ eine Satire, die auf dem Filmfestival in Cannes die Goldene Palme für den besten Film gewonnen hat. Dieser Triumph war alles andere als selbstverständlich, wenn man bedenkt, dass mit Cristian Mungius Rassismus-Studie „R.M.N.“ ein eminent politischer und formal sehr feinsinniger Film ebenfalls im Wettbewerb lief. Die Jury allerdings entschied sich für den kapitalismuskritischen Spaß des Regisseurs Ruben Östlund, dessen Kritik sich allerdings am Ende als Illusion entpuppt.

Bereits 2017 hat der Schwede mit seinem satirischen Drama „The Square“, in dem die Bigotterie der Kunstwelt seziert wird, den Hauptpreis in Cannes gewonnen. In „Triangle of Sadness“ schickt er nun ein Influencer-Pärchen auf eine Luxuskreuzfahrt des Grauens. Bevölkert von schmierigen Oligarchen und Waffenhändlern erreicht die Fahrt beim Captains Dinner ihren ekeligen Höhepunkt: Womöglich verdorbene Speisen und stürmischer Seegang führen dazu, dass kaum jemand seinen Mageninhalt bei sich behalten kann. Die im ersten Teil als Werbespruch der Modebranche proklamierte Behauptung der Gleichheit wird nun wahr: Vor der Toilette sind wir alle gleich.

Gelungene Satire erkennt man am Zorn des Gegners

Einzig der russische Kapitalisten-Oligarch (Zlatko Buric) und der amerikanische Marxisten-Kapitän (Woody Harrelson) sitzen völlig unberührt von all den Körperflüssigkeitsfontänen am Tisch und hauen sich Zitate berühmter Marxisten und Kapitalisten um die Ohren. Ihre Sympathie füreinander ist offenkundig und wird mit Unmengen an Alkohol begossen. Die beiden großen ideologischen Systeme sind die zynischen Randpunkte des Films; sie bilden den Rahmen, innerhalb dessen Habgier, Lächerlichkeit und Unterdrückung munter flotieren. Die Pointe: Der Mensch ist eine dumme, triebhafte Kreatur, und zwar in jedem politischen System.

Der Rest des Films fügt dann nicht viel mehr hinzu. Nachdem das Boot gesunken ist und sich eine kleine Gruppe auf einer einsamen Insel im Versuch des Überlebens eine neue soziale Ordnung aufbaut, ist es plötzlich die Toilettenfrau Abigail, die sich mit ihrem praktischen Wissen an die Spitze der Hierarchie setzt. Die Hoffnung auf eine bessere, fairere Gesellschaft mit der weiblichen Anführerin aus der Arbeiterklasse ist allerdings schnell dahin: Sie errichtet ein unerbittliches Matriarchat.

Arvin Kananian und Woody Harrelson in „Triangle of Sadness“
Arvin Kananian und Woody Harrelson in „Triangle of Sadness“Neon

So unterhaltsam „Triangle of Sadness“ in einzelnen Momenten sein mag, als Satire scheitert der Film, weil er in seiner Unterhaltsamkeit letztlich harmlos ist. Gelungene Satire erkennt man nicht am Lachen der Zielgruppe, sondern am Zorn des Gegners.

Satire, die es mit der Kritik an politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen, rechts wie links, ernst meint, braucht ein Moment der Irritation, einen Ton jenseits der Gefälligkeit. Darin unterscheidet sich die Satire vom Humor, der das, worüber er sich lustig macht, immer auch ein Stück weit liebt. Die Satire aber ätzt, sie ist bösartig. Für den ungarischen Philosophen Georg Lukács lebt sie von, „der Empörung, der Verachtung, einem Hass der aus Leidenschaft, Tiefe und Einsicht hellsichtig wird und hellsichtig in den geringsten Symptomen, in bloßen Möglichkeiten und Zufälligkeiten eines Gesellschaftssystems seine Krankheit, seine Todeswürdigkeit erblickt und gestaltet“. Es darf also nicht bei wohligen Lachern bleiben.

In „Triangle of Sadness“ präsentiert Östlund die vollkommen vulgäre Welt der Reichen, der bösen Kapitalisten. Man lacht. Man geht nach Hause. Wenn nach dem Kollaps des Systems, nach dem Sinken des Schiffes, aus den Trümmern der böse nackte Mensch emporsteigt, dann ist das nicht mehr als tröstender Fatalismus.

Auch „Showgirls“ ist Satire

Es gibt noch weitere solcher mitunter sehr erfolgreichen Beispiele im Kino der Gegenwart. Da wäre Adam McKays Satire „Don’t Look Up“, die den Diskurs über die Klimakrise in Form einer drohenden Apokalypse aufgreift. Darin sind alle Regierungsvertreter dumm und machtbesessen; wir, alle anderen, aber auch nicht viel besser. Und so sitzt man am Ende zu Tisch, tauscht Erinnerungen aus und menschelt, bis der Meteorit auf die Erde kracht. Lustig ist daran vieles, erhellend oder kritisch wenig. 

Unter Einsatz vollkommen irriger satirischer Elemente fährt auch der deutsche Regisseur Bully Herbig seine Aufarbeitung der Relotius-Affäre an die Wand. Die strukturellen Probleme im Journalismus, die es überhaupt erst ermöglicht haben, dass eine Person mit erfundenen Geschichten derart Karriere machen konnte, spielen in „Tausend Zeilen“ keine Rolle. Der Hund liegt in der Führungsetage begraben. Dort sitzen eitle Vollversager, die lieber auf dem Goldplatz stehen und überzeichnete, dumme Sätze stammeln, während sie sich im Ruhm des vermeintlichen Starjournalisten sonnen. Genau so stellen sich wohl nicht wenige Bürger seit dem Skandal eine Redaktion vor. Der Film bestärkt sie darin.

Claas Relotius (Jonas Nay) mit seinen selbstverliebten Chefs in „Tausend Zeilen“
Claas Relotius (Jonas Nay) mit seinen selbstverliebten Chefs in „Tausend Zeilen“Warner Bros

Diese Filme zeigen, was ohnehin alle wissen oder wissen wollen, die Zuschauer können sich sicher fühlen. Doch gute Satire braucht Ambivalenz, sie braucht, nach Lukács, „Verachtung“. Sie muss ein Ärgernis sein.

Oliver Stones „Natural Born Killers“ ist so ein Film. Mit seiner brutalen, überbordenden Wucht und der vollkommen überhöhten Gewalt ist dieser Wahnwitz bis heute eine der besten satirischen Auseinandersetzungen mit der menschlichen Faszination für Gewalt und ihre Darstellung in den Medien.

Oder Lars von Triers Serienkiller-Film „The House That Jack Built“, der von einer spöttischen Lust an der Grenzüberschreitung geprägt ist und einen satirischen, schmerzhaften Blick auf die bürgerliche Doppelmoral wirft.

Auch Paul Verhoevens „Showgirls“ von 1995 gehört in diese Riege. Der Film, fälschlicherweise als Erotikdrama beworben, wird bis heute als einer der schlechtesten Filme aller Zeiten gehandelt. Dabei handelt es sich mit seiner exorbitanten Nacktheit und der Lächerlichkeit der Figuren und Inszenierung tatsächlich um ein waghalsig-satirisches Werk, das Las Vegas als Moloch der Selbstentleerung entlarvt.

Diese Filme machen es ihrem Publikum nicht leicht. Sie provozieren eine Ablehnung, die mehr über ihre Qualität aussagt als breiter Beifall.

Jan Böhmermann verknüpft Satire mit Journalismus

An dieser Stelle ist der Sprung vom Kino ins Fernsehen erhellend. In Bezug auf die Satirewelle im deutschen Fernsehen sprach Michael Meyer Anfang 2017 im Deutschlandfunk vom Lachen als Aufklärung. Formate wie „Extra dry“ und „Die Anstalt“, die „heute-show“ und das „ZDF Magazin Royal“ würden die Menschen befähigen, sich ihres eigenen Verstandes zu bemächtigen. Doch so einfach ist es nicht. Ein Großteil der angeblichen Satire kippt von der Aufklärung ins Parasitäre: Sie ernährt sich von den Missständen und dem Lachen der Zielgruppe, von der Aufmerksamkeit. Zurück bleibt lediglich das Gefühl, man habe es nun ja angesprochen, behandelt und den Finger in die Wunde gelegt. Dann aber doch bitte weiter im Text: The show must go on.

Die „heute-show“ ist ein solcher Parasit: Ob es nun eine schiefe Formulierung des Bundeskanzlers ist, wenn er von einem neuen Maßnahmenpaket als Doppel-Wumms spricht, oder Parolen auf einer Corona-Demo, die als offensichtliche Dummheit entlarvt werden – man macht sich lustig. Schlussfolgern lässt sich aus den Pointen nichts. Letztlich ist das Format nichts anderes als eine anspruchsvollere Version von „TV Total“, die dem Publikum eine Selbstbestätigung erlaubt.

Jan Böhmermann im Studio
Jan Böhmermann im StudioZDF/ Jens Koch

Ganz anders verläuft der Weg, den Jan Böhmermann und sein Team eingeschlagen haben. Im „ZDF Magazin Royale“ verbindet er investigativen Journalismus mit Humor, die Satire wird als Werkzeug der Verstärkung eingesetzt. Die Fallhöhe stimmt und während die politischen Gegner in der „heute-show“ fast immer die gleichen Politiker in ihren so festen wie simplifizierten Charakterrollen sind, sucht Böhmermann immer neue, und zwar durch intensive Recherchen. Das hat mitunter reale Konsequenzen. Der Beitrag über die fragwürdigen Verwicklungen des BSI-Präsidenten Arne Schönbohm (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik) dürfte das Ende dessen politischer Karriere bedeuten.

An ihrer realpolitischen Wirkung muss sich Satire sicherlich nicht messen lassen. Wohl aber am Sichtbarmachen einer notwendigen Veränderung. Satire, die nur aufheitert, tröstet, bestärkt, verkehrt ihre Funktion ins Gegenteil. Sie betäubt ihr Publikum, anstatt es zu ermächtigen, und zementiert damit die bestehenden Verhältnisse, die zu kritisieren eigentlich ihre Aufgabe ist.

„Triangle of Sadness“ und „Tausend Zeilen“ laufen aktuell im Kino, „Don't Look Up“ ist bei Netflix zu sehen