Comedy-Presseschau vom 12.10.24

  • Der bayerische Kabarettist und Comedian avant la lettre Günter Grünwald beendet seine Bühnenkarriere. (Vielleicht nur vorübergehend?) Zu Ende geht auch Grünwalds Sendung Grünwald Freitagscomedy im Bayerischen Rundfunk, wie der Sender mitteilt. Ich habe keinen anderen Comedian so oft live gesehen wie Grünwald, auch ist er verantwortlich für einige der heftigsten Lachanfälle meines Lebens. Wer weiß, gäbe es Setup/Punchline ohne ihn. Nach knapp 40 Jahren (vierzig!) auf der Bühne sei ihm dieser Abschied herzlich gegönnt. Vielen Dank, aber was lange währt, muss auch mal ein Ende haben, wie Grünwald sagt.
  • Ein Comeback dagegen hatte ja Stefan Raab, nämlich im Boxring und mit neuer Show. Hintergründe erläutern in der ZEIT Johanna Jürgens und Stella Schalomon, vor allem zum Geschacher zwischen Brainpool und Banijay um Rechte an alten Shows. Es ergebe sich das „Bild eines Entertainers, der sich mit großem Spektakel aufzurappeln versucht, nachdem seine zweite Karriere als TV-Produzent ins Stocken geraten ist“.
  • Apropos Brainpool: Die haben für ProSiebenSat1 den Bundesvision Comedy Contest produziert. (Komplett bei Joyn, einzelne Beiträge z. B. auf Youtube) Pro Bundesland gab es einen komischen Beitrag, gewonnen hat das sächsische Duo Zärtlichkeiten mit Freunden. Auch wenns am Ende primär gar nicht um Comedy ging, sondern darum, eine Show zu produzieren – einen gewissen Anhaltspunkt für den aktuellen Comedy-Zeitgeist (oder das was Brainpool dafür hält) gibt so etwas dann ja doch. Der Großteil der Beiträge folgte dem seit Jahrzehnten vorherrschenden additiven, magisch-surrealen Paradigma deutscher Comedy (je mehr weirde Ideen angehäuft werden, je besser). Strukturiertere, prämissengetriebene Stand-up-Comedy mit stärkerer Persona hat es in fünf Minuten auf hart ausgeleuchteten Brainpool-Bühnen schwer.
  • In einem Gastbeitrag bei der Süddeutschen Zeitung schreibt Thomas Hermanns über das kreative Ausbluten der Showkultur bei den Öffentlich-Rechtlichen. Früher habe es Lust am Ausprobieren gegeben – mit Ergebnissen wie Zimmer freiSchmidteinander oder Total normal. Davon hätten auch die Comedy-Talente profitiert, die sich kreativ austoben durften. Heute zeigten die Sender lieber die x-te Polizeiruf-Wiederholung. Obwohl es ein bisschen lustig dann doch ist, dass so ein Aufruf vom Gründer des Quatsch Comedy Clubs kommt, der der geneigten Zuschauerin seit mehr als 30 Jahren mehr vom Gleichen bietet, ist Hermanns hier unbedingt beizupflichten.
  • Im Podcast bei Übermedien sprach ich mit Holger Klein über die aktuelle Causa Mockridge und reaktionäre Comedy.

Comedian Fred Costea

BIT-EMPFEHLUNG: Fred Costea: Der Füller-Führerschein (2024)

An Fred Costea gefällt mir, dass er das Spiel mit der Erwartungsenttäuschung beherrscht. Außerdem legt er in seine Jokes gerne eine behutsame Dämlichkeit (wofür genau wird der Füller-Führerschein ausgestellt?), die einem glatt entgehen könnte. Allein im Setup dieses Bits (im Link etwa ab 34:30) steckt so viel Reiches drin, man geht gerne mit auf die Reise.

  • Bei einer Show des US-amerikanischen Comedians Chris D’Elia hatte ein Zuschauer einen Krampfanfall, wie TMZ berichtet. Ein guter Anlass für Comedians, mal in sich zu gehen und zu fragen: Wäre ich eigentlich für so einen Fall vorbereitet? Wenn es im Publikum einen medizinischen Notfall gibt, hat die Person mit MIkrofon in der Hand eine besondere Verantwortung. Rasche und deutliche Ansagen helfen. The show must not um jeden Preis go on.
  • Helen Lewis schreibt im Atlantic ein Porträt über Joe Rogan, das auch die problematischen Seiten nicht ausklammert, wie das sonst bei Rogan-Porträts gerne passiert. „The podcaster and comedian has turned the city into a haven for manosphere influencers, just-asking-questions tech bros, and other ‚free thinkers‘ who happen to all think alike, heißt es im Teaser. Hehe. Nur merkwürdig ist die Diagnose „Of the many recent failures of the American left, one of the greatest is making entry-level battle-of-the-sexes humor seem avant-garde.“ Also man kann den Linken ja viel vorwerfen, aber bitte was?
  • Es gibt keine Meritokratie in Comedy, findet der New Yorker Comedian und Showhost Jad Sleiman. Um gebucht zu werden, sei es weniger wichtig, seine Fähigkeiten als Künstler zu schulen, sondern vielmehr zu networken und eine große Followerschaft aufzubauen, sagte er der New York Times. Gemeinsam mit zwei Freunden hat Sleiman darum einen Club in Brooklyn gegründet, der etwas ganz Unerhörtes versucht: „Simply put, we’re going to actually watch submission tapes.“ Eine absolut unbestechliche und treffsichere Möglichkeit, Talent zu bewerten, ist das natürlich auch nicht. Aber Followerzahlen zunächst mal hintanzustellen, erscheint mir wie keine ganz schlechte Idee.
  • Der Soziologe Harry Lehmann hat ein Buch über Cancel Culture geschrieben. Im Interview mit der Welt sagt er: „Kunst ist nicht allein deswegen schon ‚politisch‘, weil sie ein politisches Thema aufgreift, denn sie wird dieses Thema normalerweise in seiner ganzen Abgründigkeit, Widersprüchlichkeit, Dialektik, Tragik und Lächerlichkeit darstellen.“ Weil das hier im Newsletter ja jüngst Thema war: Nicht jede Sendung, die über Politiker berichtet, ist gleich eine politische Sendung, und schon zweimal ist sie nicht gleich links.
  • Ellen DeGeneres hat ein neues Special auf Netflix. Es heißt For Your Approval, und sie entblödet sich nicht, darin zu behaupten, dass sie ja fieserweise aus der Unterhaltungsindustrie rausgeworfen wurde. Eine der weltweit reichsten Personen im Comedybusiness beklagt sich in einem Netflix-Special darüber… naja, lassen wir das. DeGeneres zeigt, dass sie zu tiefer gehender Reflexion nicht fähig oder willens ist. Eine einordnende Besprechung hat etwa June Thomas bei Slate verfasst.
  • Der US-Comedian Akaash Singh hat mit Gaslit ein ziemlich hacky Special vorgelegt, über das man nicht reden müsste. Geradezu spektakulärer cringe sind aber die „Werbeunterbrechungen“, bei denen Singh Anrufe von seiner Mutter und Schwester bekommt, die ihn mahnen, er solle ja den Hinweis auf ein Online-Wettportal nicht vergessen. Jesus, Maria und Josef, wenn das die Zukunft von Stand-up-Comedy ist…

Lesetipp: Interview mit Studio Braun

Comedytrio Studio Braun

In diesem schon etwas älteren Gespräch mit dem Hamburger Comedy-Trio (urks, die Mitglieder Heinz Strunk, Rocko Schamoni und Jacques Palminger mögen dieses Label verzeihen) geht es um die Verachtung von Comedy, über zeitlose Witze oder warum Studio Braun auf Pointen verzichtet hat und ein Witz umso unfeiner wird, je größer das Publikum ist. Hier geht’s zum Interview

Die Presseschau gibt’s auch als Newsletter, einfach hier anmelden:

Comedy-Newsletter

Alles zu Stand-up und Comedy: Szeneinfos und Empfehlungen zu Specials, Bits, Interviews, Essays, News, Podcasts und Serien.