Helene Bockhorst: Nimm mich ernst (2025)

Bitte nicht die Pagliacci-Anekdote, mag ein comedyaffiner Mensch zu Beginn von Helene Bockhorsts YouTube-Special „NIMM MICH ernst“ denken, aufgezeichnet im Hamburger „Schmidtchen“. Die ist unglaublich ausgelutscht, ihre Verwendung lässt Schlimmes befürchten. Aber es stellt sich heraus: Bockhorst bearbeitet den alten Witz kreativ, beleuchtet ihn von verschiedenen Seiten und variiert das Thema über fast zwei Stunden hinweg. Sie hat Kluges über das Wesen der Unterhaltung beizutragen und das Faszinierende an der Show ist, dass sie es meist nicht explizit tut, sondern die Struktur der Show diese Arbeit erledigen lässt.

Bockhorst tritt auf als Zirkusdirektorin und unterbricht die Stand-up-Comedy immer wieder mit mehr oder weniger artistischen Einlagen wie Zaubertricks, Jonglage oder Feuerspucken. („Ich liebe Clowns und Zauberei und Artistik und diesen ganzen Zirkus-Kack.“) Mit einem Sampler spielt sie in Trinkpausen Werbung für ihr eigenes Buch ein – eine lohnende Idee, die hoffentlich in kommenden Specials weiter ausgeschöpft wird.

Neben diese ungewöhnlichen konzeptionellen Entscheidungen treten teils düstere Bits, die mit Comedy wenig am Hut haben. Einen Text über die sehr schwierige Beziehung zu ihrer Mutter spielt Brockhorst vom Band und schweigt anschließend minutenlang. „Stand Up Comedy & Tragedy“ lautet entsprechend der Untertitel der Show. All das wirft interessante Fragen auf: Was ist eigentlich Unterhaltung? Muss Unterhaltung immer zum Lachen sein? Wer unterhält hier wen? Und zu welchem Preis?

Das hat Längen, auch weil Bockhorsts Comedy ein bisschen zu recherchiert ist. Die Erfahrung, „dass mein Nein und meine Grenzen nicht zählen“, erforscht sie nicht, sondern schwenkt im interessantesten Moment darauf um, eine wissenschaftliche Studie zu zitieren. Oft schildert sie ihre Gefühle, anstatt sie zu präsentieren. Ohne starke Attitüde vermittelt sich aber auch in den Witzen kein rechter Drive. Und dann liegt es in der Natur von Bockhorsts optimistisch-geknickter Bühnenpersona, dass sie ihre Aussagen gerne relativiert. „Was kann ich mit diesem absolut nutzlosen Skill [d.h. mit Kreide schreiben können] anfangen?“ Ist der Skill nutzlos, warum will sie dann etwas damit anfangen? Ist er nicht nutzlos, wieso würdigt sie ihn herab? Das verwässert die Witzbotschaft und irritiert beim Anschauen.

Trotz aller Längen überwiegen aber die Kürzen, Witze etwa wie „Mein Körper gehört jedem Mann, der mir mal neue Winterreifen aufgezogen hat“ oder der sensationell gute Callback „Jetzt bin ich auch mal dran“ nach der Pause. Die Ungeschliffenheit und der Nummerncharakter zeigen: Es geht in Comedy und im Leben nicht zwangsläufig um ein Happy End. Bockhorst vermeidet jede kitschige Äußerung dahingehend, dass ein Mensch an seinen Problemen wachsen kann (und im Kitsch auch muss). Comedy muss nicht die Tragik heilen. Beides existiert nebeneinander. Diese Spannung ist produktiv und macht die nicht immer ganz runde Show sehr sehenswert.

NIMM MICH ernst, 1h 50min, abrufbar auf Youtube

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