Comedy und die Lüge der Authentizität: „Inside“ von Bo Burnham

Comedian Bo Burnham in Inside
Szene aus Inside von Bo Burnham
Der Körper als Leinwand: In Inside greifen Zeiten und Ebenen ineinander. (Screenshot: Netflix)

Im Juli 2011 treffen in einer Episode der Talkshow The Green Room with Paul Provenza zwei Comedywelten aufeinander. Auf der einen Seite: Moderator Provenza, der Filmemacher Judd Apatow und die Stand-up-Comedians Gary Shandling, Ray Romano und Marc Maron. Die Fünf tauschen Insider aus, sie fallen sich ins Wort, sie reden blöd daher und beleidigen sich. Das Durchschnittsalter liegt bei 51 Jahren.

Auf der anderen Seite: der 20 Jahre alte Robert Burnham, genannt Bo. Er sei ja etwas jünger, sagt Burnham, darum habe er sich gefragt: „Who are you?“ Shandling nickt, atmet tief durch, schaut ernst, wartet das Publikumsgelächter ab. Dann sagt er: „It’s so good because it’s so mutual.“ Publikum und Comedians lachen hysterisch, aber das Ganze hat eine leicht aggressive Unterströmung. Burnham ist ein Fremdkörper in dieser Runde.

Und darüber hinaus: Burnham ist ein Fremdkörper in Comedy, weil er Dinge immer anders gemacht hat als die anderen: Er erspielte sich sein Publikum nicht durch tausendfaches Auftreten in Stand-up-Clubs, sondern aus dem Kinderzimmer heraus. Mit dem Song My Whole Family landete er 2006 einen frühen Youtube-Hit, wurde zu einem der meistgespielten Künstler auf Myspace. Seine Specials sind eine aufwendig inszenierte Mischung aus komischen Songs, Stand-up-Parodie und Meta-Performance. Stand-up-Veteranen wie Gary Shandling wirken rau, faltig und weise. Burnham ist klar, glatt und smart bis an die Grenze zur Klugscheißerei.

Nun hat Burnham also mit Inside etwas Neues vorgelegt, das – Überraschung – wieder anders ist als alles, was er oder andere vorher gemacht haben. Inside ist zugleich Special, Clipshow und Film mit dokumentarischen (bzw. pseudo-dokumentarischen) Elementen. Und es ist unter den Bedingungen der Covid-Pandemie entstanden. Burnham hat es geschrieben und in seinem geräumigen Gartenhaus komplett selbst inszeniert, gedreht und geschnitten.

Plakat von Inside von Bo Burnham

Bo Burnham: Inside (2021)

geschrieben, geschnitten, produziert, directed von Bo Burnham
Dauer: 87 Minuten. Erhältlich auf Netflix

Seine klassischen Bühnenspecials what. (2013) und Make Happy (2016) parodierten intensiv klassische Comedy- und Stand-up-Performances und setzten damit eine profunde Kenntnis der Konventionen voraus. Das ist jetzt nicht mehr der Fall: Wenn Burnham in Inside parodiert, dann hauptsächlich Clips aus den Sozialen Medien. Das Special führt also Burnhams bisheriges Werk konsequent fort, bringt es dabei aber fertig, viel zugänglicher zu sein als die Vorgänger.

Inside präsentiert Burnham nach dem Guckkasten-Prinzip in wechselnden Szenarien. In White Womens‘ Instagram singt er über visuelle Klischees (und führt sie vor). Gemeinsam mit der Sockenpuppe „Socko“ erklärt er How the World Works. Er ist ein Gamer in einem Let’s-play-Video, der sich selbst als Figur in einem Videospiel steuert. Dann wiederum gibt er den Youtuber, der gezwungen ist, auf ein eigenes reaction video zu reagieren. Songs wechseln sich ab mit Stand-up-Bits (mit eingespieltem Gelächter) und kurzen Ansprachen an das Sofapublikum.

Die Episoden stehen nicht unverbunden nebeneinander. Denn zum einen bekommt Inside durch die parallel erzählte Entstehungsgeschichte eine Dramaturgie. Zum anderen greifen die Szenen ineinander, sei es durch Schnitte und Voiceovers oder durch den simplen Kniff, dass sich Burnham einfach Projektionen anderer Szenen ansieht. Letzteres gibt Inside stellenweise eine Anmutung einer Licht- und Videoinstallation.

Inhaltlich ist das Special ist von einem konstanten „einerseits – andererseits“ geprägt. Burnham visualisiert mit der Vielzahl an Songs und Clips die Bilderflut in der digitalen Welt – und kritisiert, dass diese Welt des Scheins eigentlich viel realer geworden ist als die „echte“. Er spricht über die Belastung, denen vor allem junge Menschen ausgesetzt sind, wenn man Internetkonzerne auf sie loslässt – und lässt einen eigenen Bildersturm auf seine Fans los. Er bemängelt den Zwang, ständig woke und intelligent rüberkommen zu wollen – und singt woke Songs – deren Wokeness er dann aber wieder wegreflektiert. Er macht Comedy über die Unmöglichkeit, in schwierigen Zeiten Comedy zu machen.

Die Selbstreflexion in „Inside“ ist durch Substanz gedeckt

Szene aus Inside
Gedreht wurde Inside komplett in Burnhams Gartenhaus. (Screenshot: Netflix)

Die Themen sind bekannt, und auch nicht jeder Einfall dazu ist stimmig. Burnham gelingt es allerdings, den doch recht abstrakten Komplex konkret herauszuarbeiten, vor allem die Unmöglichkeit, sich diesem Spiel zu entziehen. Er hat keine Lösung für dieses Problem, er stellt es aber einzigartig aus.

Bisweilen wird Burnham (und anderen Künstler:innen) vorgeworfen, dass sie mittelmäßige Kunst machen und sich dann mit der Trumpfkarte „Selbstreflexion“ gegen Kritik immunisieren. Nach dem Prinzip: Wenn ich zeige, dass ich weiß, dass das mittelmäßig ist, ist es ja gut, oder? Das mag bei manchen zutreffen, bei Burnham jedoch nicht. Die Selbsreflexion ist bei ihm durch Substanz und Formwillen gedeckt.

Das wird deutlich an der Fülle an bewusst gesetzten Details. Man sollte Inside nicht als authentisches Dokument sehen, etwa wie ein Videotagebuch. Es ist bis ins Äußerste durchstilisiert: Jede Haarsträhne fällt richtig, die Schubladen einer Kommode stehen im perfekten Verhältnis offen, jeder Kabelsalat ist richtig drapiert, ein Wutanfall und ein Nervenzusammenbruch sind stimmungsvoll inszeniert.

Ferner beobachtet Burnham sehr genau. Im Song White Womens‘ Instagram stellt er Dutzende Fotoklischees eben jener white women nach. Mal sind das drei kleine Kakteen, mal ein vor den Mund gehaltener großer Lolli. Hier stimmt bis zur Blickrichtung der Augen alles. Weitere Klischees werden im Text benannt, was den Song ungemein dicht macht. Und obendrein ist dann auch noch eine kalte Kritik der assimilierenden Macht der Plattform eingeflochten.

Burnham kann auch schauspielern

Lichtinstallation mit Bo Burnham
Welche Effekte Burnham mit stark beschränkten Mitteln erzielt, ist beeindruckend. (Screenshot: Netflix)

Präzision besitzt Burnham auch in Text, Musik und Schauspiel. Die Songtexte sind geschliffen und detailreich. In That funny feeling beschreibt er dieses Gefühl unter anderem mit „a book on how to be better hand-delivered by a drone“. Eine Zeile, die für sich genommen schon schwerer wiegt als zum Beispiel der komplette Song Ironic von Alanis Morissette („like rain on your wedding day“). Musikalisch ist Burnham kein Virtuose, aber er weiß, worauf es bei verschiedenen Genres ankommt, von Elton John und Madonna hin zu Jahrmarktsmusik. Die Musik hat Wiedererkennungswert, ohne zu viel Aufmerksamkeit zu binden. Ideal für Parodien.

Nicht außer acht lassen sollte man zudem, dass Burnham schauspielen kann. Wenn er einen Youtuber parodiert, der ein reaction video über ein reaction video macht und so fort – dann ist das eine nette Idee, wäre aber ohne sein überzeugendes Spiel nur halb so lustig. Man sieht von Sekunde zu Sekunde seinen Willen schwinden und spürt die Stimmung von Naivität in Selbsthass kippen. Hervorzuheben wäre auch das Gespräch mit der Sockenpuppe Socko, wo er einmal in drei Sekunden drei verschiedene Gesichtsausdrücke setzt.

Burnham verfügt über ein riesiges künstlerisches Arsenal. Er setzt es nicht ein, um etwa als Hippie fröhliche Stimmung zu verbreiten, oder den Rebell zu geben. Er ist Realist: Seine Comedy hat eine düstere Note, denn es gibt kein Entkommen aus der Logik des Internets. Egal wie sehr wir das begreifen und wie sehr wir uns anstrengen: Es gibt in dieser Welt nichts zu gewinnen, nichts zu holen und nichts zu feiern – schon gar nicht einen Geburtstag.

„Inside“ ist ein lächerliches, widersprüchliches Special

Als sein Großvater 30 war, kämpfte der in Vietnam. Nun, wo er selbst 30 ist, baue er ein Vogelhaus mit seiner Mutter, singt Burnham einmal. Was er hier in ein Bild fasst, hat er in der Episode von The Green Room 2011 explizit ausgesprochen: „I’d find myself jealous of the problem that comics have, because I felt like I wasn’t legitimate, because anything that I’ve achieved, I’ve achieved in light of nothing.“ Wozu also Comedy, wo doch vor dem big picture alles bedeutungslos wird?

Dass Burnham dann trotzdem Inside macht, ist widersprüchlich und lächerlich. Aber was wäre die Alternative? Etwa die, die Urgestein Gary Shandling in The Green Room beschreibt? „All my journey is to be authentically who I am“, sagt er. „Not trying to be somebody else under all circumstances. […] To be your true self – it takes enormous work. Then we could start to look at the problems in the world.“

Wenn wir alle unser wahres Selbst finden und möglichst authentisch sind, kommt schon alles in Ordnung. Burnham zeigt in Inside, was für eine Selbsttäuschung diese Haltung ist, und führt vor, was passiert, wenn man die Zwiebel Schicht für Schicht häutet. Und bei aller existenzieller Schwere – er tut das sehr unterhaltsam.